Würde sich der Vertrauensvorschuss des Westens denn lohnen, wenn er zunächst den Schwellenländern entgegenkommt? China fällt im UN-Sicherheitsrat nicht gerade durch nachhaltige und rationale Politik auf.
Wir werden es nie wissen, wenn wir ihnen nicht mehr Macht geben. Ich verstehe, dass Menschen skeptisch gegenüber den Schwellenländern sind, die oftmals eine andere politische Kultur und Regierungsform – und damit auch andere Interessen haben. Aber Fakt ist: Wenn Länder wie China weiter so wachsen und keine relevante Stimme in Organisationen wie dem IWF oder der Weltbank bekommen, wird deren Macht schwinden – und nicht Chinas Position.
Wir haben viel über China gesprochen. Hat das Land die besten Aussichten der vier BRICs-Staaten?
China befindet sich derzeit von den vier relevanten Schwellenländern in der besten Verfassung. Ihr Vorsprung ist enorm. Allerdings: Ich bin sehr optimistisch, dass sich Indien unter dem neuen Premier Narendra Modi gut entwickeln wird. Indien hatte nie bessere Chancen, als heute!
Das ist eine starke Aussage.
Das ist es ja. Aber sehen Sie: Das Land hat wirklich die Chancen, sein enormes Potenzial endlich auszuschöpfen. In den letzten 20 Jahren hat die indische Politik sehr schlecht gewirtschaftet. Viele Politiker haben sich verzettelt mit Blick auf die vielen Herausforderungen und den unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten. Ich habe oft im Scherz gesagt: Indien und Europa haben eines gemeinsam – sie sind beide unmöglich zu regieren. Unter Modi ändert sich das gerade. Das Land hat fantastische Perspektiven. Ich prognostiziere Ihnen: In der zweites Hälfte dieses Jahrzehnts wird Indien stärker wachsen als China.
In der deutschen Öffentlichkeit wird Indien kaum wahrgenommen. Unterschätzen wir das Land?
Kommentatoren tun das, ja. Vielleicht auch Politiker. Die Märkte aber nicht. Der indische Aktienmarkt hatte bisher ein fantastisches Jahr, auch die Rupie hat deutlich aufgewertet. Deutsche Politiker und Unternehmen sollten Indien nicht ignorieren. Es bietet große Chancen. Alle Produkte, die die Deutschen so erfolgreich nach China verkauft haben, könnten sie schon bald in Indien absetzen. Indien wird das neue China. Die Urbanisierung, die wir erleben, erinnert mich an die Entwicklung Chinas vor 15 Jahren.
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen
China ist der nach Frankreich und den Niederlanden der größte Handelspartner Deutschlands. 2013 wurden Waren im Wert von mehr als 140 Milliarden Euro ausgetauscht. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht davon aus, dass China in etwa zehn Jahren zum Handelspartner Nummer eins aufsteigen wird.
Die Exporte nach China summierten sich 2013 auf rund 67 Milliarden Euro. Exportschlager sind Maschinen, Fahrzeuge und chemische Produkte. Für Unternehmen wie Audi ist China bereits der wichtigste Absatzmarkt.
Die Chinesen schickten 2013 Waren im Wert von gut 73 Milliarden Euro hierher und damit etwa viermal so viel wie 2000. Vor allem Computer, Handys und Elektronik liefert der Exportweltmeister nach Deutschland. Weitere Verkaufsschlager sind Bekleidung und elektrische Ausrüstungen.
Mehr als 26,5 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen bislang in China investiert. Etwa 4000 Firmen sind dort aktiv. Allein 2012 stiegen die deutschen Investitionen in der Volksrepublik um 28,5 Prozent auf 1,45 Milliarden Dollar. Umgekehrt zieht es immer mehr Chinesen nach Deutschland. 98 Unternehmen siedelten sich 2012 hierzulande neu an - China ist damit Auslandsinvestor Nummer drei, nach den USA und der Schweiz. 2000 Unternehmen sind inzwischen hier ansässig.
Welche Länder haben neben China und Indien beste Perspektiven?
Das sind vor allem die Länder, die in der MINT-Gruppe zusammengefasst werden, also Mexiko, Indonesien, Nigeria, Türkei. Bei drei von ihnen bin ich vom Erfolg überzeugt.
Lassen Sie mich raten: Skeptisch sind Sie einzig bei der Türkei?
Richtig. Da bin ich inzwischen besorgt und skeptisch. Das Land hat sich zuletzt negativ entwickelt, insbesondere politisch, und etwa die Fortschritte bei der wirtschaftlichen Freiheit zurückgenommen. Die Türkei hat ein riesiges Leistungsbilanzdefizit, die Währung ist auf Talfahrt. Ich erwarte dort keine riesigen Sprünge in absehbarer Zeit. Die Türkei wurde von einer ganzen Reihe von Ländern überholt. Etwa von Mexiko.
Was zeichnet das mittelamerikanische Land aus?
Die aktuelle mexikanische Regierung macht einfach einen tollen Job. Sie setzen die Reformen um, die Brasilien, Russland oder Europa bräuchten. Von der Bildung bis zum Energiesektor: alles wird unter die Lupe genommen und verbessert. Die mexikanische Administration ist die vielleicht reformfreudigste Regierung innerhalb der G20. Das ist wirklich sehr imposant.