John Maynard Keynes Versöhner für die Arbeitslosen

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Keynes in der Politik

Auch hier hinterließ Keynes seine Fußstapfen - 1919 als Chefunterhändler des Ministeriums bei den Friedensverhandlungen in Versailles Quelle: AP

Nach dem Studium nahm Keynes eine wenig herausfordernde Stelle im Indien-Ministerium der britischen Regierung in London an, die ihm die Gelegenheit gab, während der Arbeitszeit seine Dissertation über Wahrscheinlichkeitstheorie fertigzustellen. In der Hauptstadt schloss er sich der Bloomsbury-Gruppe an. Der elitäre Kreis aus Künstlern, Literaten und Wissenschaftlern, dem auch die Schriftstellerin Virginia Woolf angehörte, pflegte einen hedonistisch-elitären Lebensstil und beeinflusste Keynes weitere geistige Entwicklung. 1908 kehrte er an die Uni in Cambridge zurück, wo er dank der Fürsprache Alfred Marshalls eine Stelle als Privatdozent für Geld und Kredit erhielt.

"Tauber Don Quichote"

Während des Ersten Weltkriegs wechselte er ins Finanzministerium und nahm 1919 als Chefunterhändler des Ministeriums an den Friedensverhandlungen in Versailles teil. Vehement wandte sich Keynes dagegen, Deutschland mit hohen Reparationszahlungen zu belasten, da diese dessen Wirtschaft nach seiner Ansicht ruinierten. Doch seine Warnungen fanden kein Gehör, drei Wochen vor Abschluss des Versailler Vertrags trat Keynes frustriert von seinem Posten zurück. Für die in Versailles versammelte Politikerelite fand er nur Spott. US-Präsidenten Woodrow Wilson bezeichnete er als „tauben Don Quichote“. Wütend verfasste er danach das Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“, ein Pamphlet gegen die ökonomisch unverantwortlichen Reparationsvereinbarungen.

Das Buch machte ihn auf einen Schlag weltberühmt. Keynes wechselte daraufhin in die Privatwirtschaft, wurde Präsident einer Lebensversicherung und Chefmanager einer Investmentgesellschaft. An seinem Bett stand zu jener Zeit ein Telefon, über das er sich morgens schon vor dem Aufstehen ein Vermögen an der Börse zusammenspekulierte.

Kaufkraft und Konsum steigern

Als Keynes 1925 die russische Tänzerin Lydia Lopokowa heiratete – die Ehe hielt bis zu seinem Tod –, geriet er zunehmend in die Klatschspalten der Presse. Im Oktober 1929 brach die New Yorker Börse ein, die Weltwirtschaft taumelte in ihre bis dahin schwerste Krise. Während die meisten Ökonomen den Regierungen empfahlen, sich zurückzuhalten, schwamm Keynes gegen den Strom und forderte von der britischen Regierung, sich pro Jahr 100 Millionen Pfund bei den Banken zu leihen und damit Jobs für 500 000 Arbeitslose zu schaffen. Der Gedanke, der Staat müsse bei einem Wegbrechen der privaten Nachfrage die Lücke schließen und die Wirtschaft vor dem Kollaps bewahren, war die Kernbotschaft seines berühmtesten Werkes, der „Allgemeinen Theorie“.

Das schwer lesbare Buch, das trotz Keynes’ mathematischer Ausbildung ohne viel Formeln auskommt, stellte die Gleichgewichtsvorstellungen der bis dahin dominierenden klassischen Theorie infrage. Den Klassikern zufolge hätte es gar keine Weltwirtschaftskrise geben dürfen. Sie nahmen an, dass Löhne und Preise auf Angebots- und Nachfrageschwankungen flexibel reagierten und so eine Rückkehr zum Gleichgewicht erzeugten.
Eine sinkende Nachfrage, so argumentierten sie, drücke die Preise. Das stärke die reale Kaufkraft und den Konsum. Die Nachfrage steige dadurch wieder auf das Gleichgewichtsniveau. Am Arbeitsmarkt sorgten sinkende Löhne dafür, dass die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften wieder steige und die privaten Haushalte ihr Arbeitsangebot reduzierten. Die Wirtschaft bewege sich auf ein neues Gleichgewicht zu. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit konnte es nicht geben.

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