Das kapitalistische System als solches führe zu einer immer größeren Ungleichheit der Einkommen, so das Credo der Kapitalismuskritiker, welches jüngst durch Thomas Piketty wiederbelebt wurde. Auch der Wahlkampf 2014 steht einmal mehr im Zeichen der Gerechtigkeit, genauer gesagt der Verteilungsgerechtigkeit. Von Zwangsanleihen über Finanztransaktionssteuern bis hin zur Deckelung von Managergehältern werden viele Vorschläge angeboten, um dem Problem der Ungleichheit abzuhelfen.
Die populistische Strahlkraft solcher Erwägungen ist groß und so manche Interessengruppe greift sie dankbar auf. Doch auch bei den differenzierteren Berichterstattern ist nicht überall eine klare Ablehnung derartiger Maßnahmen auszumachen.
In den vergangenen Jahren sind bis tief hinein ins bürgerliche Lager Zweifel entstanden, ob es angesichts der immensen materiellen Ungleichheit in der Gesellschaft nicht doch zu rechtfertigen ist, den Kapitalismus weiter zu beschneiden und von den wohlhabenden Teilen der Bevölkerung einen größeren Beitrag zur Staatsfinanzierung zu fordern
Der Ursprung materieller Ungerechtigkeit
Nicht ganz zu Unrecht wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage gestellt, ob die Bezahlung eines Angestellten im Finanzsektor in einem angemessenen Verhältnis zur Bezahlung eines Facharbeiters steht. Das Gefühl sagt den Bürgern, dass hier etwas nicht stimmt. Ob tatsächlich ein Missverhältnis besteht, lässt sich allerdings nicht beantworten, wenn man nicht nach den Ursachen der Phänomene fragt.
Woher kommt also die materielle Ungleichheit, die die stark überdurchschnittliche Besteuerung einiger weniger überhaupt zulässt?
Zur Person
Hendrik Hagedorn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Konjunkturpolitik des DIW Berlin. Er ist Diplomphysiker und promovierter Ökonom. In seiner Dissertation entwickelte er ein quantitatives Modell gemäß den Lehrsätzen der österreichischen Schule.
Ein Blick auf den Bundeshaushalt macht deutlich, dass der Etat des Bundes primär durch die Sozialausgaben bestimmt wird. Dies ist die Folge der stetigen Ausweitung staatlicher Kompetenzen, welche seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik platzgreift.
Häufig werden Bedürfnisse formuliert, denen dann durch eine entsprechende Sozialgesetzgebung entsprochen wird. All dies geschieht unter dem Siegel der Gerechtigkeit und dient vorgeblich der Abfederung sozialer Härten.
Die wichtigsten Begriffe in der Kapitalismus-Debatte
Unter Geldmenge versteht man den gesamten Bestand an Geld, der in einer Volkswirtschaft zur Verfügung steht. Die Geldmenge kann durch Geldschöpfung erhöht und durch Geldvernichtung gesenkt werden. In der Volkswirtschaftslehre und von den Zentralbanken werden verschiedene Geldmengenkonzepte unterschieden, die mit einem M, gefolgt von einer Zahl bezeichnet werden. Für M1 und die folgenden Geldmengenaggregate M2 und M3 gilt stets, dass das Geldmengenaggregat mit einer höheren Zahl das mit einer niedrigeren einschließt. Eine niedrigere Zahl bedeutet mehr Nähe zur betrachteten Geldmenge und zu unmittelbaren realwirtschaftlichen Transaktionen. Die Geldbasis M0 stellt die Summe von Bargeldumlauf und Zentralbankgeldbestand der Kreditinstitute dar. Geldvolumen M-1 = Bargeldumlauf ohne Kassenbestände der Banken, aber einschließlich Sichteinlagen inländischer Nichtbanken. M-2 = Geldvolumen M-1 zuzüglich Termingelder inländischer Nichtbanken mit Laufzeiten unter vier Jahren. M-3 = Geldvolumen M-2 zuzüglich Spareinlagen inländischer Nichtbanken mit gesetzlicher Kündigungsfrist.
Die Goldparität ist der fixierte Wert einer Währungseinheit gegenüber dem Goldpreis. Sie entspricht der Menge von Gold in Gramm, die man für eine Währungseinheit erhält. Diese Menge ist im Rahmen eines Goldstandards staatlich oder durch internationale Vereinbarungen festgelegt. Über den Wert des Goldes ist damit der Wert der Währung bestimmt. Bei der Goldparität handelt sich um einen Sonderfall der Wechselkursparität. Ein mögliches Beispiel hierfür ist die Festlegung des Wertes des Dollars im Bretton-Woods-System. Die Goldparität des Dollars besteht jedoch seit Ende der 1960er nicht mehr, da sie durch Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds ersetzt wurde.
Bezeichnung für eine Inflation, bei der die Preise langsam, nahezu unmerklich steigen. Meist wird von schleichender Inflation bei relativ geringen jährlichen Preissteigerungsraten von unter 5 Prozent gesprochen.
In verschiedenen Bedeutungen verwendeter Begriff. Wird häufig den Begriffen Geld oder Vermögen gleichgesetzt. Volkswirtschaftlich einer der drei Produktionsfaktoren neben Arbeit und Boden. Gesamtwert aller Güter, mit denen die Unternehmung arbeitet (Aktivseite der Bilanz). Buchhalterisch die Posten des Gesamtvermögens, die auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen werden. Auch: für Investitionen zur Verfügung stehendes Geld (Geldkapital).
Der Markt ist ein ökonomischer Ort des Tausches, an dem sich durch ein Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage Preise bilden.
Beziffert, welchen Anteil des BIP der Staat und die Sozialversicherungen ausgeben.
Steuern sind Zwangsabgaben, die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen (der Staat) von Personen oder Unternehmen verlangt, um seinen Finanzbedarf zu decken und seine Aufgaben erfüllen zu können. Steuern sind die Haupteinnahmequelle von Bund, Ländern und Gemeinden. Ein Anspruch auf eine konkrete Gegenleistung besteht nicht. Rechtliche Grundlage für alle Steuern in Deutschland ist die Abgabenordnung (AO). Über Steuern hat der Staat die Möglichkeit, das Verhalten seiner Bürger zu lenken, z.B. kann die Erhöhung der Tabaksteuer oder der Stromsteuer zu einem verminderten Konsum führen. Wenn die persönlichen Verhältnisse von Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, handelt es sich um Personen-Steuern, ansonsten um Objekt-Steuern. Artikel 106 im Grundgesetz teilt die Steuern in vier Kategorien ein: Gemeinschaftssteuern (Verbundsteuern), Bundessteuern, Ländersteuern und Gemeindesteuern.
Hinzu kommen bei den staatlichen Aktivitäten die Bereitstellung von öffentlichen Gütern oder solchen, die von Politikern als öffentlich erachtet werden, sowie allerlei Subventionen. Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen ist ebenfalls stets der Schutz von sozial schwächeren Gruppen. Außerdem werden die Erfordernisse der Globalsteuerung zu ihrer Rechtfertigung herangezogen.
Für seine vielfältigen Aktivitäten benötigt der Staat jedoch Geld, das er entweder als Steuer erheben oder am Kreditmarkt beschaffen kann. Da letzteres politisch einfacher ist und die Steuereinnahmen zur Finanzierung der Sozialprogramme nicht annähernd ausreichen, besteht eine grundlegende Tendenz zur Staatsverschuldung. In immer neuen Schüben werden also Staatsanleihen begeben und in immer neuen Spielarten wird Geld unters Volk gebracht.
Auf Wachstum angewiesen
Da eine Netto-Tilgung der Staatsschuld ausbleibt, entsteht mit der Zeit eine Situation, in der der Staat aufgrund seiner umfangreichen Zahlungsverpflichtungen zwingend auf Wachstum angewiesen ist. Denn nur so entstehen die Steuereinnahmen, die die Zahlungsfähigkeit des Staates gewährleisten.
Eine der wichtigsten Institutionen, die Wachstum und Steueraufkommen fördert, ist die Zentralbank. Selbst wenn sie sich gemäß ihres Mandats lediglich an der Teuerungsrate der Konsumentenpreise orientiert, so arbeitet sie doch auf eine Stabilisierung des Wachstums hin. Sobald die Wirtschaft in einen Abschwung gerät, wird umgehend das Zinsniveau gesenkt, um den Preisverfall zu stoppen. Gleichzeitig werden so aber auch Wachstum und Steueraufkommen stimuliert.
Geschöpftes Geld verteilt sich nur langsam
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass mit dem Absenken des Zinsniveaus immer eine Geldmengenausweitung einhergeht. Wenn die Zinsen niedrig sind, erscheinen viele Investitionsprojekte profitabel und es entsteht die entsprechende privatwirtschaftliche Geldnachfrage. Umgekehrt geht die Geldmenge bei einer Anhebung des Zinssatzes jedoch nicht zurück. Es wird dann nur weniger neues Geld in Umlauf gebracht.
Dies lässt sich empirisch eindeutig belegen. Verteilungsökonomisch entscheidend ist dabei, dass Geldmengenausweitung niemals ein gleichförmiges Phänomen ist. Geld tritt stets punktuell in den Geldkreislauf ein. Es fließt bestimmten Personen oder Gesellschaften zu und diese nutzen es für bestimmte Zwecke. Geschöpftes Geld verteilt sich also erst allmählich in der Volkswirtschaft.
Aus diesem Ausbreitungsprozess gehen zwei Gruppen als Gewinner hervor. Zum einen profitieren diejenigen Akteure, die relativ früh an Kredite gelangen, denn sie können sich mit dem geschöpften Geld Güter kaufen bevor sich das Preisniveau an die neue Geldmenge angepasst hat. Der kreditwürdigste Teil der Bevölkerung ist im Allgemeinen der Teil, der die meisten Sicherheiten stellen kann. So gesehen bringt die Geldmengenausweitung bereits eine Umverteilung von unten nach oben mit sich.
Vor allem aber profitiert bei einer Geldmengenausweitung der Finanzsektor. Denn fast jede Transaktion, die zur Ausbreitung des Geldes beiträgt, wird von einem Akteur des Finanzsektors begleitet. Wenn beispielsweise ein Unternehmen einen Kredit nutzt, um ein anderes Unternehmen zu kaufen, dann fließt das geschöpfte Geld einerseits zu den Eigentümern des zu kaufenden Unternehmens und andererseits zu der Investmentbank, den Brokern und den Anwälten, die diese Transaktion begleiten. Die ehemaligen Eigner des nun verkauften Unternehmens nutzen ihre Einkünfte in der Regel, um wiederum selbst zu investieren. Dabei gehen sie erneut über den Finanzsektor.
Immer die gleichen Parteien
Während das Geld also allmählich in die Volkswirtschaft einsickert, sitzen immer wieder die gleichen Drittparteien mit am Tisch. Bis sich dann eine Gleichverteilung eingestellt hat, haben Hunderte, ja Tausende Transaktionen stattgefunden. Und bei jeder dieser Transaktionen wurde ein Teil der ursprünglich zur Verfügung gestellten Geldmenge abgezweigt.
Auf diese Weise entstehen die Überschüsse in Bankhäusern und Anwaltskanzleien, welche zu den hohen Bonuszahlungen führen, die allseits zu beobachten sind.
Wenn also in einer Volkswirtschaft die Geldmenge wächst, so werden ständig bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt. Der Staat schafft somit durch seine Eingriffe ins Finanzsystem erst die Ungleichheiten, die er vorgeblich auf dem Wege von Sozialleistungen zu bekämpfen sucht.
Jeder Versuch, soziale Ungleichheit zu beseitigen, der auf Geldmengenausweitung beruht oder eine solche hervorruft, ist langfristig kontraproduktiv. Er konterkariert sich selbst und potenziert die materielle Ungleichheit, die den Zusammenhalt der Gesellschaft immer wieder auf eine harte Probe stellt.
Die Diskussionen um Reichensteuern und Zwangsanleihen gehen somit am Kern der Problematik vorbei. Voraussetzung für Verteilungsgerechtigkeit ist vielmehr eine konstante Geldmenge und mithin ein ausgeglichener Staatshaushalt. Unter diesen Voraussetzungen würden Verteilungskämpfe automatisch an Schärfe verlieren und sowohl der Grund als auch die Möglichkeit für die Besteuerung von Reichen würden mittelfristig entfallen.
Letztlich könnte sich eine solche Gesellschaft auch zunehmend der fatalen Anreiz- und Allokationswirkungen entledigen, die ein steuerfinanzierte Sozialsystem mit sich bringt. Die Politik jedoch beschreitet ohne Unterlass den gegenteiligen Weg. Auf zunehmende Ungleichheit wird mit einer Ausweitung von Sozialprogrammen und somit weiteren Steuern und Schulden reagiert.
Ob den jeweiligen Regierungen die Sinnlosigkeit ihrer Unterfangen bewusst ist, ist unbekannt.