Kapitalismuskritik Der Sozialstaat schafft Ungleichheit

Die Einkommen und Vermögen in Deutschland gehen immer weiter auseinander. Der Ruf nach mehr Staat ist verständlich - aber kontraproduktiv.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Sozialstaat nimmt viel Geld in die Hand, doch die Gerechtigkeitsprobleme vermag er so nicht zu lösen. Quelle: Marcel Stahn

Das kapitalistische System als solches führe zu einer immer größeren Ungleichheit der Einkommen, so das Credo der Kapitalismuskritiker, welches jüngst durch Thomas Piketty wiederbelebt wurde. Auch der Wahlkampf 2014 steht einmal mehr im Zeichen der Gerechtigkeit, genauer gesagt der Verteilungsgerechtigkeit. Von Zwangsanleihen über Finanztransaktionssteuern bis hin zur Deckelung von Managergehältern werden viele Vorschläge angeboten, um dem Problem der Ungleichheit abzuhelfen.

Die populistische Strahlkraft solcher Erwägungen ist groß und so manche Interessengruppe greift sie dankbar auf. Doch auch bei den differenzierteren Berichterstattern ist nicht überall eine klare Ablehnung derartiger Maßnahmen auszumachen. 

In den vergangenen Jahren sind bis tief hinein ins bürgerliche Lager Zweifel entstanden, ob es angesichts der immensen materiellen Ungleichheit in der Gesellschaft nicht doch zu rechtfertigen ist, den Kapitalismus weiter zu beschneiden und von den wohlhabenden Teilen der Bevölkerung einen größeren Beitrag zur Staatsfinanzierung zu fordern

Hendrik Hagedorn Quelle: Presse

Der Ursprung materieller Ungerechtigkeit

Nicht ganz zu Unrecht wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage gestellt, ob die Bezahlung eines Angestellten im Finanzsektor in einem angemessenen Verhältnis zur Bezahlung eines Facharbeiters steht. Das Gefühl sagt den Bürgern, dass hier etwas nicht stimmt. Ob tatsächlich ein Missverhältnis besteht, lässt sich allerdings nicht beantworten, wenn man nicht nach den Ursachen der Phänomene fragt.

Woher kommt also die materielle Ungleichheit, die die stark überdurchschnittliche Besteuerung einiger weniger überhaupt zulässt?

Zur Person

Ein Blick auf den Bundeshaushalt macht deutlich, dass der Etat des Bundes primär durch die Sozialausgaben bestimmt wird. Dies ist die Folge der stetigen Ausweitung staatlicher Kompetenzen, welche seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik platzgreift.

Häufig werden Bedürfnisse formuliert, denen dann durch eine entsprechende Sozialgesetzgebung entsprochen wird. All dies geschieht unter dem Siegel der Gerechtigkeit und dient vorgeblich der Abfederung sozialer Härten.

Die wichtigsten Begriffe in der Kapitalismus-Debatte

Hinzu kommen bei den staatlichen Aktivitäten die Bereitstellung von öffentlichen Gütern oder solchen, die von Politikern als öffentlich erachtet werden, sowie allerlei Subventionen. Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen ist ebenfalls stets der Schutz von sozial schwächeren Gruppen. Außerdem werden die Erfordernisse der Globalsteuerung zu ihrer Rechtfertigung herangezogen.

Für seine vielfältigen Aktivitäten benötigt der Staat jedoch Geld, das er entweder als Steuer erheben oder am Kreditmarkt beschaffen kann. Da letzteres politisch einfacher ist und die Steuereinnahmen zur Finanzierung der Sozialprogramme nicht annähernd ausreichen, besteht eine grundlegende Tendenz zur Staatsverschuldung. In immer neuen Schüben werden also Staatsanleihen begeben und in immer neuen Spielarten wird Geld unters Volk gebracht.

Auf Wachstum angewiesen

Die Geschichte der freien Marktwirtschaft
Metamorphose IIn der Frühphase des Kapitalismus werden aus Landarbeitern Handwerker: Webstuhl im 19. Jahrhundert in England. Quelle: imago / united archives international
Metamorphose IIMit der Industrialisierung werden aus Handwerkern Arbeiter: Produktion bei Krupp in Essen, 1914. Quelle: dpa
Metamorphose IIIIm Wissenskapitalismus werden Arbeiter zu Angestellten und Proletarier zu Konsumenten: Produktion von Solarzellen in Sachsen. Quelle: dpa
Ort der VerteilungsgerechtigkeitDen reibungslosen Tausch und die Abwesenheit von Betrug – das alles musste der Staat am Markt anfangs durchsetzen. Quelle: Gemeinfrei
Ort der KapitalkonzentrationDer Börsenticker rattert, die Märkte schnurren, solange der Staat ein wachsames Auge auf sie wirft Quelle: Library of Congress/ Thomas J. O'Halloran
Ort der WachstumsillusionWenn Staaten Banken kapitalisieren, sind das Banken, die Staaten kapitalisieren, um Banken zu kapitalisieren... Quelle: AP
Karl MarxFür ihn war der Unternehmer ein roher Kapitalist, ein Ausbeuter, der Arbeiter ihrer Freiheit beraubt. Quelle: dpa

Da eine Netto-Tilgung der Staatsschuld ausbleibt, entsteht mit der Zeit eine Situation, in der der Staat aufgrund seiner umfangreichen Zahlungsverpflichtungen zwingend auf Wachstum angewiesen ist. Denn nur so entstehen die Steuereinnahmen, die die Zahlungsfähigkeit des Staates gewährleisten.

Eine der wichtigsten Institutionen, die Wachstum und Steueraufkommen fördert, ist die Zentralbank. Selbst wenn sie sich gemäß ihres Mandats lediglich an der Teuerungsrate der Konsumentenpreise orientiert, so arbeitet sie doch auf eine Stabilisierung des Wachstums hin. Sobald die Wirtschaft in einen Abschwung gerät, wird umgehend das Zinsniveau gesenkt, um den Preisverfall zu stoppen. Gleichzeitig werden so aber auch Wachstum und Steueraufkommen stimuliert.

Geschöpftes Geld verteilt sich nur langsam

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass mit dem Absenken des Zinsniveaus immer eine Geldmengenausweitung einhergeht. Wenn die Zinsen niedrig sind, erscheinen viele Investitionsprojekte profitabel und es entsteht die entsprechende privatwirtschaftliche Geldnachfrage. Umgekehrt geht die Geldmenge bei einer Anhebung des Zinssatzes jedoch nicht zurück. Es wird dann nur weniger neues Geld in Umlauf gebracht.

Dies lässt sich empirisch eindeutig belegen. Verteilungsökonomisch entscheidend ist dabei, dass Geldmengenausweitung niemals ein gleichförmiges Phänomen ist. Geld tritt stets punktuell in den Geldkreislauf ein. Es fließt bestimmten Personen oder Gesellschaften zu und diese nutzen es für bestimmte Zwecke. Geschöpftes Geld verteilt sich also erst allmählich in der Volkswirtschaft.

Aus diesem Ausbreitungsprozess gehen zwei Gruppen als Gewinner hervor. Zum einen profitieren diejenigen Akteure, die relativ früh an Kredite gelangen, denn sie können sich mit dem geschöpften Geld Güter kaufen bevor sich das Preisniveau an die neue Geldmenge angepasst hat. Der kreditwürdigste Teil der Bevölkerung ist im Allgemeinen der Teil, der die meisten Sicherheiten stellen kann. So gesehen bringt die Geldmengenausweitung bereits eine Umverteilung von unten nach oben mit sich.

Vor allem aber profitiert bei einer Geldmengenausweitung der Finanzsektor. Denn fast jede Transaktion, die zur Ausbreitung des Geldes beiträgt, wird von einem Akteur des Finanzsektors begleitet. Wenn beispielsweise ein Unternehmen einen Kredit nutzt, um ein anderes Unternehmen zu kaufen, dann fließt das geschöpfte Geld einerseits zu den Eigentümern des zu kaufenden Unternehmens und andererseits zu der Investmentbank, den Brokern und den Anwälten, die diese Transaktion begleiten. Die ehemaligen Eigner des nun verkauften Unternehmens nutzen ihre Einkünfte in der Regel, um wiederum selbst zu investieren. Dabei gehen sie erneut über den Finanzsektor.

Immer die gleichen Parteien

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Während das Geld also allmählich in die Volkswirtschaft einsickert, sitzen immer wieder die gleichen Drittparteien mit am Tisch. Bis sich dann eine Gleichverteilung eingestellt hat, haben Hunderte, ja Tausende Transaktionen stattgefunden. Und bei jeder dieser Transaktionen wurde ein Teil der ursprünglich zur Verfügung gestellten Geldmenge abgezweigt.

Auf diese Weise entstehen die Überschüsse in Bankhäusern und Anwaltskanzleien, welche zu den hohen Bonuszahlungen führen, die allseits zu beobachten sind.

Wenn also in einer Volkswirtschaft die Geldmenge wächst, so werden ständig bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt. Der Staat schafft somit durch seine Eingriffe ins Finanzsystem erst die Ungleichheiten, die er vorgeblich auf dem Wege von Sozialleistungen zu bekämpfen sucht.

Jeder Versuch, soziale Ungleichheit zu beseitigen, der auf Geldmengenausweitung beruht oder eine solche hervorruft, ist langfristig kontraproduktiv. Er konterkariert sich selbst und potenziert die materielle Ungleichheit, die den Zusammenhalt der Gesellschaft immer wieder auf eine harte Probe stellt.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Müssen wir den Kapitalismus überwinden? Brauchen wir mehr Staat? Nein, sagt Ökonom Guido Hülsmann, besser wäre eine Rückkehr zur Goldanbindung.
von Tim Rahmann

Die Diskussionen um Reichensteuern und Zwangsanleihen gehen somit am Kern der Problematik vorbei. Voraussetzung für Verteilungsgerechtigkeit ist vielmehr eine konstante Geldmenge und mithin ein ausgeglichener Staatshaushalt. Unter diesen Voraussetzungen würden Verteilungskämpfe automatisch an Schärfe verlieren und sowohl der Grund als auch die Möglichkeit für die Besteuerung von Reichen würden mittelfristig entfallen.

Letztlich könnte sich eine solche Gesellschaft auch zunehmend der fatalen Anreiz- und Allokationswirkungen entledigen, die ein steuerfinanzierte Sozialsystem mit sich bringt. Die Politik jedoch beschreitet ohne Unterlass den gegenteiligen Weg. Auf zunehmende Ungleichheit wird mit einer Ausweitung von Sozialprogrammen und somit weiteren Steuern und Schulden reagiert.

Ob den jeweiligen Regierungen die Sinnlosigkeit ihrer Unterfangen bewusst ist, ist unbekannt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%