Kommentar EZB vor schwieriger Entscheidung wegen hoher Inflation

Die Europäische Zentralbank steht heute vor einer schwierigen Entscheidung über die Zinsen. Während sich die Konjunktur stark abkühlt, bleibt die Inflation hoch.

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Die Euro-Skulptur steht vor Quelle: dpa

Wenn sich die Währungshüter der Europäischen Zentralbank heute in Frankfurt treffen, um über die Zinsen zu entscheiden, dürfte der Konflikt zwischen den Tauben und Falken im Zentralbankrat an Schärfe zunehmen. Denn die wirtschaftliche Lage in der Eurozone nähert sich immer mehr einem Szenario an, das  Zentralbanker fürchten wie der Teufel das Weihwasser: Stagflation. Der Begriff wurde in den Siebzigerjahren geprägt, als sich trotz stagnierender Wirtschaft die Inflationsraten – angetrieben von steigenden Ölpreisen und hohen Lohnabschlüssen -  immer weiter beschleunigten.

Für die Notenbanken ist ein solches Szenario schlicht ein Alptraum. Denn um ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, die Preise stabil zu halten, müssten sie eigentlich die Zinsen erhöhen. Das aber würde die schwächelnde Wirtschaft weiter belasten und womöglich eine Rezession heraufbeschwören.

Dass die Wirtschaft in der Eurozone nach dem Boom der vergangenen Jahre jetzt vor dem Abschwung steht, zeigen die jüngsten Konjunkturdaten. Die von der EU-Kommission durch Umfragen ermittelte Stimmung der Unternehmen in der Industrie hat sich im Dezember erneut verschlechtert. Der entsprechende Index sank von 3 auf 2 Punkte und setzte damit seinen Anfang 2007  eingeleiteten Abwärtstrend fort. Auch die Stimmung der Einzelhändler trübte sich angesichts des Umsatzminus von 0,5 Prozent im November weiter ein. 

Die deutsche Wirtschaft, die immerhin knapp ein Drittel zum Bruttoinlandsprodukt Eurolands beisteuert, kann sich diesem Abwärtstrend nicht entziehen. Im Gegenteil. Die heute veröffentlichten Daten zum Umsatz im Einzelhandel im November (minus 1,3 Prozent gegenüber Dezember), zur Industrieproduktion (minus 0,9 Prozent) und zum Export (minus 0,5 Prozent), haben auf breiter Front enttäuscht. Die Volkswirte der Commerzbank haben daher ihre BIP-Wachstumsprognose für das vierte Quartal schon von 0,5 auf nur noch 0,3 Prozent nach unten revidiert. Damit zeichnet sich ab, dass die Wachstumsprognosen vieler Experten für 2008 von 1,7 bis 2,0 Prozent mehr  Wunschtraum denn realistische Vorhersagen sind.

Setzt sich die Abschwächung der Konjunktur in den nächsten Monaten fort – wovon angesichts der rückläufigen Frühindikatoren auszugehen ist – dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis aus der Politik der Ruf nach Zinssenkungen erschallt. Die EZB wird dadurch immer stärker in die Bedrouille geraten. Denn trotz der wirtschaftlichen Abkühlung wird die Inflation in den nächsten Monaten hoch bleiben.

Die Forscher des Münchner Ifo-Instituts, des italienischen ISAE-Instituts und des französischen Insee-Instituts erwarten, dass die Inflationsraten vorerst bei drei Prozent und damit deutlich über der selbstgesetzten Grenze der EZB von knapp zwei  Prozent bleiben. Wenn die Eurohüter ihre Glaubwürdigkeit bei der Inflationsbekämpfung nicht verspielen wollen, dürfen sie die Zinsen also nicht senken.

Bei ihrem Treffen heute werden sie die Zinsen daher wohl unverändert lassen. Zugleich werden sie aggressiv vor einer weiteren Beschleunigung des  Preisauftriebs warnen, um aufkommende Inflationserwartungen zu brechen.

Dabei spielen sie auf Zeit. Sie hoffen, dass die langsamere Gangart der Konjunktur den Preisauftrieb im weiteren Verlauf dieses Jahres allmählich bremsen wird. Dass es so kommt, ist jedoch alles andere als sicher. Denn nicht nur weiter steigende Ölpreise könnten den Währungshütern einen Strich durch die Rechnung machen. Auch überzogene Lohnabschlüsse drohen den Preisauftrieb weiter anzutreiben.

Schlagen die Gewerkschaften über die Stränge, könnten sich die Währungshüter daher schon bald gezwungen sehen, die Zinsen mitten im Abschwung anzuheben – mit negativen Folgen für Konjunktur, Arbeitsplätze und öffentliche Finanzen.

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