Konjunktur Die Regierung hemmt die Wirtschaft

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Billig, Billiger, Öl

Seit dem Sommer ist der Preis für ein Fass Öl der Sorte Brent von mehr als 115 Dollar (85 Euro) auf rund 60 Dollar (unter 50 Euro) gefallen. Hinter der Baisse am Ölmarkt stecken die schwächelnde globale Nachfrage sowie das deutlich höhere Angebot in Amerika. Dank der Fracking-Technologie holen die USA derzeit mehr als zwölf Millionen Fass Öl pro Tag aus der Erde, so viel wie kein anderes Land der Welt. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Saudis und andere Mitglieder des Opec-Kartells der Welt durch geschicktes Drehen an der Förderschraube hohe Preise diktieren konnten. Jetzt kämpfen die Scheichs gegen die USA um Marktanteile.

Wie der deutsche Haushaltsüberschuss zustande kam

Indem sie den Weltmarkt fluten, versuchen die Saudis, den Preis für das schwarze Gold unter die Förderkosten der amerikanischen Fracking-Industrie zu drücken. Diese liegen je nach Region zwischen 40 und 80 Dollar je Fass. Ob das Kalkül, die US-Produzenten so vom Markt zu drängen, aufgeht, ist fraglich. Fahren die US-Unternehmen unter dem Eindruck der sinkenden Preise die Förderung zurück, dürfte der Ölpreis zwar wieder nach oben gehen. Dann würde es aber wohl nicht allzu lange dauern, bis sich Fracking wieder lohnt – und der Preis wieder sinkt. Daher könnten die Ölpreise in den nächsten Jahren wie an einem Jo-Jo auf und ab tanzen. Im Durchschnitt dürften sie jedoch niedriger liegen als in den vergangenen zehn Jahren.

Für Ölförderländer wie Venezuela, Russland, Nigeria, Irak und Iran ist das eine schlechte Nachricht. Denn sie benötigen Ölpreise von weit mehr als 80 Dollar, um ihre üppig bemessenen Sozialprogramme zu finanzieren, mit denen sie ihre Bevölkerung ruhig- und das Überleben ihrer Regime sicherstellen. So benötigt die Regierung in Venezuela einen Ölpreis von 118 Dollar, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die Finanzmärkte taxieren die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts Venezuelas daher auf 94 Prozent.

Wie Rubel- und Ölkrise auf Dax-Unternehmen wirken
HeidelbergCementDer Baustoffkonzern ist einer der Profiteure der Turbulenzen am Energiemarkt. Denn normalerweise sind die Ausgaben für Energie mit rund 1,6 Milliarden Euro einer der größten Kostentreiber des Dax-Konzerns, fast ein Drittel davon geht für Öl drauf. Die Analysten der Privatbank M.M. Warburg schätzen die Einsparungen der Heidelberger dank des niedrigen Ölpreises auf rund 100 Millionen Euro. Das könnte auch den Kurs befeuern, die Analysten bewerten die Aktie als Kauf mit einem Preisziel von 70 Euro (aktuell 57,50 Euro, Stand 18.12.2014). Quelle: Presse
AdidasDer Sportartikelhersteller ist einer der Hauptleidtragenden der Russland-Krise. Schon im Sommer kurz nach der Fußball-WM musste der Konzern seine Gewinnprognose kassieren – gegen die Verluste aus dem Russland-Geschäft kommt nicht mal der Verkauf des Vier-Sterne-Trikots an. Schon jetzt hat der Konzern angekündigt, im kommenden Jahr weniger neue Geschäfte in Russland zu eröffnen als ursprünglich geplant. Quelle: dpa
HenkelZwar bekommet auch Henkel die Krise in Russland zu spüren. Rund sieben Prozent der Verkäufe sind dort zu verorten. Allerdings werden diese negativen Effekte laut den Warburg-Analysten wohl kompensiert. Zum einen durch positive Effekte beim starken Dollar, zum anderen weil auch Henkel vom niedrigen Ölpreis profitiert. Immerhin rund 20 Millionen Euro könne der Konzern durch einen Rubel-Fall von zehn Prozent einsparen, so die Schätzungen der Analysten. Das beziehe sich vor allem auf die Produktion in der Waschmittelsparte. Quelle: dpa
E.OnDas Geschäft des Konzerns in Russland leidet unter dem fallenden Rubel. Während die Warburg-Analysten zunächst mit einem Zuwachs der Sparte gerechnet hatten, wurde dieser jetzt nach unten korrigiert. Der niedrige Ölpreis bringt dem Konzern geringe Einsparungen, der Großteil des Geschäfts ist vom Gaspreis abhängig. Quelle: dapd
RWEBeim Konkurrent RWE drängt vor allem der Verkauf der Öl- und Gastochter Dea. Eigentlich sollte das Unternehmen an den russischen Oligarchen Mikhail Fridman und dessen Investmentfirma LetterOne verkauft werden. Angesichts des stark sinkenden Ölpreises wird die Zeit allerdings knapp. RWE ist in Sorge, dass der Oligarch den Verkaufspreis von rund 5,1 Milliarden Euro noch drücken könnte.   Quelle: dpa
Deutsche PostDer niedrige Ölpreis bringt der Deutschen Post leichte Vorteile. Kostenvorteile in der Expresszustellung und bei Nachsendeaufträgen werden an die Kunden weitergegeben, in Verwaltung und Service sinken die Betriebskosten leicht. Der Absturz des Rubel hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen. Quelle: REUTERS
DaimlerZwar rechnen die Analysten der Privatbank M.M. Warburg mit einer um ein Viertel niedrigeren Nachfrage nach Lastkraftwagen in Russland. Auf Daimler hat das jedoch nur geringen Einfluss, laut M.M.Warburg läge er gemessen am gesamten Lkw-Absatz von Daimler unter einem Prozent. Andererseits hält Daimler eine 15-Prozent-Beteiligung am russischen Lkw-Hersteller Kamaz. Dort könnten die Einnahmen deutlich sinken. Ansonsten hat der russische Markt nur begrenzten Einfluss auf die Geschäfte. Es ist zu erwarten, dass Daimler die Preise für in Russland verkaufte Fahrzeuge erhöht, um den gefallenen Wechselkurs auszugleichen. Die Nachfrage – insbesondere nach der hochpreisigen S-Klasse – ist sehr stabil, so dass Preiserhöhungen keinen großen Einfluss haben sollten. Daimler selbst erläutert die Auswirkungen des Rubel-Verfalls nicht. Vielmehr deutete der Konzern an, dass er im kommenden Jahr Rückenwind von der Währungsseite für die USA und Kanada erwartet, während Rubel, brasilianischer Real und japanischer Yen den positiven Effekt wieder abschwächen. Quelle: dpa

Auch für die Gläubiger Russlands steigt das Risiko, Geld zu verlieren. Zwar verfügt das Land mit knapp 400 Milliarden Dollar Fremdwährungsreserven über die viertgrößten Devisenbestände der Welt. Doch die könnten rasch aufgebraucht sein, wenn die Zentralbank weiter versucht, den Rubel zu stützen. Die Bankrottwahrscheinlichkeit für das Land liege daher bei 26 Prozent, heißt es an den Märkten. Kein Wunder, dass sich die Börsen der Ölförderländer auf Talfahrt befinden.

Der Westen gewinnt

Für Deutschland und die Weltwirtschaft insgesamt aber ist das billige Öl ein Gewinn. Denn deren wichtigste Wachstumszentren sind allesamt Ölimporteure. Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank, betrachtet das billige Öl daher als „ein gewaltiges, nicht inflationäres Konjunkturprogramm für den Westen, das von den Ölförderstaaten bezahlt wird“. Dass die fehlenden Öleinnahmen dort zu sozialen Unruhen führen und auf diese Weise negativ auf die Weltwirtschaft zurückschlagen könnten, fürchtet Schmieding nicht. „Das billige Öl stärkt Europa, die USA, Japan, China und Indien, und es schwächt Russland, Iran, Saudi-Arabien und Venezuela. Dadurch macht es die Welt langfristig zu einem sichereren Ort“, so Schmieding. Und die deutsche Exportwirtschaft? Für die sind die Märkte in Europa und den USA viel wichtiger als die im Nahen Osten.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Bleibt der Ölpreis auf seinem aktuellen Niveau, mindert dies die Importrechnung Deutschlands um rund 30 Milliarden Euro, hat Andreas Rees, Ökonom der italienischen Bank UniCredit, ausgerechnet. Das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weil die Preise für Fernwärme und Gas verzögert auf den Ölpreis reagieren, zeichnen sich für die nächsten Monate weitere Entlastungen für die Bundesbürger ab.

Dazu kommt, dass Energie bei der Gewinnung von Agrarprodukten und Metallen eine große Rolle spielt, rund die Hälfte der Kosten entfällt auf sie. So drückt das billige Öl auch die Preise dieser Produkte nach unten. Zweitrundeneffekt heißt das im Ökonomenjargon. Der Bloomberg Commodity Index, der die Preise von 22 Rohstoffen misst, ist seit Jahresbeginn um insgesamt elf Prozent gesunken. Baumwolle hat sich seither um rund 30 Prozent verbilligt, Eisenerz um die Hälfte.

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