Konjunktur Das Fundament unseres Wohlstands bröckelt

Deutschland geht es wirtschaftlich besser als den meisten Ländern Europas. Das dürfte auch im nächsten Jahr so bleiben. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Bürger sind in Kauflaune, der Bau boomt. Doch die Oberfläche glänzt vor allem, weil billiges Geld der Notenbank den Aufschwung treibt. Darunter bröckelt das Fundament unseres Wohlstands. Statt das Land für die demografische Zeitenwende fit zu machen, gefährdet die Politik die Wettbewerbsfähigkeit.

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Konjunktur: Deutschland ist kaufstark! Quelle: dpa Picture-Alliance

Angst vor der Zukunft? Für Stefan Skotarek ist das kein Thema. Der Geschäftsführer von AVT Abfüll- und Verpackungstechnik, einem Hersteller von Reinigungsmitteln und Kosmetika mit Sitz in Wuppertal, freut sich über die gut laufenden Geschäfte. „Unser Umsatz ist in den vergangenen Jahren gestiegen, die Kapazitäten sind sehr gut ausgelastet“, sagt Skotarek, der das mittelständische Unternehmen zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder führt. Zu den Kunden zählen große Einzelhändler wie Aldi, Lidl und Rossmann, die von der Kauflaune der Bundesbürger profitieren.

Um die vielen Aufträge abzuarbeiten, hat Skotarek zusätzliches Personal eingestellt. Derzeit stehen mehr als 150 Mitarbeiter auf der Gehaltsliste. Das hohe Niveau von Umsatz und Beschäftigung hofft der Wuppertaler Unternehmer im nächsten Jahr halten zu können.

Wie Skotarek blicken derzeit viele Unternehmer mit Zuversicht auf das nächste Jahr. Laut einer exklusiven Umfrage des Münchner ifo Instituts im Auftrag der WirtschaftsWoche erwarten 51 Prozent der befragten Manager, dass die Wirtschaft auch 2017 wächst, wenn auch langsamer als in diesem Jahr. Nur eine kleine Minderheit von drei Prozent geht von einem stärkeren Wachstum aus.

Die Analysten in Banken und Forschungsinstituten haben ihre Wachstumserwartungen zuletzt freilich etwas zurückgeschraubt. Die Spannweite der Prognosen reicht von rund einem bis knapp zwei Prozent. Ein Teil der Verlangsamung ist darauf zurückzuführen, dass das nächste Jahr weniger Arbeitstage hat als 2016. Dennoch: Alles spricht dafür, dass die konjunkturelle Wohlfühlstimmung anhält. Die Beschäftigung legt zu, die Löhne steigen, die Verbraucher sind in Kauflaune, und die Bauwirtschaft boomt. Sogar der Staatshaushalt befindet sich in den schwarzen Zahlen.

Alles im Lot also, könnte man meinen. Doch Vorsicht! Der Glanz der konjunkturellen Fassade trügt. Denn der Aufschwung ist das Produkt von Niedrigzinsen und Geldvermehrung, mit denen die Europäische Zentralbank (EZB) die Wirtschaft stützt. Das hat zwar die Konjunktur angefacht, die Bereitschaft der Politiker zu Reformen aber wurde dadurch eingeschläfert. Auch in Deutschland. Statt die Wirtschaft auf die demografische Zeitenwende vorzubereiten, rollt die Bundesregierung in Berlin die Agenda-2010-Reformen aus der Schröder-Zeit zurück – und verspielt so die Chance auf einen langfristig steileren Wachstumspfad.

Sogar die sonst eher zurückhaltende Bundesbank sieht sich zu Kritik veranlasst. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnt, angesichts der robusten Konjunktur, den Blick für die Standortrisiken nicht zu verlieren. „Wir haben in Deutschland bislang zu wenig getan, um den Herausforderungen der demografischen Entwicklung zu begegnen. Die Reformen bei der Rente gingen teilweise eher in die falsche Richtung, denn sie verschlechtern die Tragfähigkeit des Rentensystems und entziehen dem Arbeitsmarkt potenziell Fachkräfte, die dringend gebraucht werden“, kritisiert Weidmann mit Blick auf die abschlagsfreie Rente mit 63 und die Mütter-Rente, die die Regierung in den vergangenen Jahren eingeführt hat.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, fürchtet gar, Deutschland könne das Schicksal Frankreichs ereilen. Das Land hatte in der Zeit sinkender Zinsen zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts über seine Verhältnisse gelebt und Reformen auf die lange Bank geschoben. „Heute ist Frankreich der kranke Mann Europas, in ein paar Jahren könnte es Deutschland sein“, sagt Krämer.

Noch sind Warner wie Weidmann und Krämer einsame Rufer in der Wüste. Denn die Konjunktur läuft rund. Und anders als früher ist diesmal die Binnennachfrage die treibende Kraft. Die Exporte haben dagegen an Dynamik verloren, weil die schwächelnde Wirtschaft in den wichtigsten Handelspartnerländern Deutschlands Exporteuren zu schaffen macht.

„China steht vor schwierigen Zeiten“

Daran dürfte sich so bald nichts ändern. Denn auch in Südeuropa ist der Reformeifer erlahmt. Statt durch Deregulierung mehr Dynamik aus der Wirtschaft herauszukitzeln, suchen die Regierungen ihr Heil (schon wieder!) in mehr Schulden. Ähnlich sieht es in China aus. Mit staatlichen Infrastrukturprogrammen und administrativ gelenkter Kreditvergabe zugunsten maroder Staatsunternehmen stützt die Regierung in Peking die Konjunktur. Damit aber entzieht sie privaten Unternehmen Ressourcen und blockiert den Strukturwandel. Immer mehr Anleger kehren dem Land daher den Rücken. Um den Absturz der Landeswährung Renminbi zu verhindern, hat die Regierung den Kapitalexport eingeschränkt. Das schmälert die Attraktivität des Landes für ausländische Investoren.

Versiegt der Kapitalzustrom, wird China der Sprung vom Schwellen- zum Industrieland nicht gelingen. „China steht vor schwierigen Zeiten“, urteilt Commerzbanker Krämer. Das Land werde in den nächsten Jahren „wirtschaftlich enttäuschen“. Für die Weltwirtschaft und die deutschen Exporteure ist das eine schlechte Nachricht. Denn China steuert rund ein Drittel zum globalen Wirtschaftswachstum bei und ist nach wie vor dessen wichtigster Motor.

Andere Schwellenländer können die nachlassende Dynamik Chinas nicht ausgleichen. Indiens Regierung hat die Wirtschaft soeben mit einer missratenen Bargeldreform in die Krise gestürzt. In Russland und Brasilien dürfte sich die Konjunktur dank anziehender Rohstoffpreise zwar berappeln. Von einem kräftigen Aufschwung sind beide Länder aber weit entfernt. Zudem ist das Risiko hoch, dass Anleger ihr Geld abziehen, um es in den USA anzulegen.

Dort nämlich hat die Notenbank Fed die Geldpolitik gestrafft. Die vom künftigen US-Präsidenten Donald Trump in Aussicht gestellten Steuersenkungen und Infrastrukturinvestitionen könnten sie zu weiteren Zinsschritten veranlassen, glaubt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. Er hält einen Konflikt zwischen Geld- und Fiskalpolitik für möglich, der die USA in die Rezession treibt.

Ob Trump seine Steuersenkungsversprechen im Parlament durchsetzt, ist jedoch nicht sicher. Selbst wenn es ihm gelingt, dürfte dies die Konjunktur erst 2018 ankurbeln. Die Fed könnte es daher mit Zinserhöhungen nächstes Jahr locker angehen lassen. „Kräftig steigende Zinsen kann sich Amerika wegen der noch immer hohen Verschuldung von Staat und Bürgern gar nicht leisten“, sagt Stefan Schilbe, Chefökonom der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt.

Verläuft der Aufwärtstrend des Dollar daraufhin flach, bleibt der Rückenwind für die deutschen Exporteure vom Devisenmarkt ein laues Lüftchen. Die Ökonomen der Deutschen Bank gehen davon aus, dass die Ausfuhren 2017 um weniger als zwei Prozent zulegen. 2015 waren sie noch um mehr als fünf Prozent gestiegen.

Die Rolle des Konjunkturmotors dürfte daher der private Konsum, unterstützt von der Bauwirtschaft, übernehmen. Mehr Jobs und höhere Löhne werden den Verbrauchern auch im nächsten Jahr das Portemonnaie füllen. Dazu kommt, dass Transferzahlungen wie die Hartz-IV-Sätze und die Renten deutlich steigen. Die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft erwarten daher, dass die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im nächsten Jahr um 2,7 Prozent und damit ebenso kräftig wie in diesem Jahr zulegen.

Zwar dürfte sich die Inflation im Gefolge der anziehenden Rohstoffpreise auf etwa 1,5 Prozent beschleunigen (2016: 0,5 Prozent). Per saldo verbleibt den Arbeitnehmern dadurch immerhin ein realer Kaufkraftzuwachs von mehr als einem Prozent – genug, damit die Ladenkassen auch nach den Rekordumsätzen im Weihnachtsgeschäft weiter klingeln. Zumal sich das Sparen infolge der niedrigen Zinsen kaum noch lohnt.

Niedrige Zinsen als Aufputschmittel

In der Bauwirtschaft wirken die niedrigen Zinsen ebenfalls wie ein Aufputschmittel. Die Branche sitzt auf den höchsten Auftragsbeständen seit 21 Jahren. Vor allem im Wohnungsbau geht die Post ab. „Die niedrigen Zinsen machen das Bauen erschwinglicher und treiben die Anleger auf der Suche nach Rendite in den Immobilienmarkt“, sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Zudem lassen die Binnenwanderungen in die großen und mittelgroßen Städte den Bedarf an günstigem Wohnraum steigen. „Obendrauf kommt noch der Bau von Flüchtlingswohnheimen“, sagt Stiepelmann. Nach dem Rekordplus von acht bis neun Prozent in diesem Jahr rechnet Stiepelmann für 2017 mit einem Umsatzzuwachs im Wohnungsbau von sieben bis acht Prozent. „In manchen Regionen besteht die Gefahr einer Blasenbildung“, warnt der Bauexperte.

Optimismus ist auch beim öffentlichen Bau angesagt

So hat die Bundesregierung die Mittel für den Ausbau der Infrastruktur kräftig aufgestockt. Bis zum Jahr 2018 will sie die finanziellen Mittel für Straßen, Schienen und Wasserwege auf 14 Milliarden Euro pro Jahr aufstocken. Danach, so hofft die Bauindustrie, werden die steigenden Mittel aus der ausgeweiteten Lkw-Maut für einen steten Ordereingang bei den Bauunternehmen sorgen. Für nächstes Jahr rechnet sie daher mit einem Umsatzplus von fünf Prozent im öffentlichen Bau.

Weniger günstig sieht es im Wirtschaftsbau aus. Hier macht sich die Energiewende negativ bemerkbar. „Die energieintensiv produzierenden Unternehmen schreiben seit Jahren mehr Altanlagen ab, als in neue zu investieren, der Kapitalstock erodiert“, warnt Stiepelmann.

Dazu kommt, dass die Energieversorger weniger Geld in Kraftwerke stecken. Im Maschinenbau bremst die Schwäche Chinas die Investitionsneigung, der Bau von Bürogebäuden leidet unter der Bankenkrise. Für 2017 erwartet Stiepelmann für den Wirtschaftsbau daher lediglich ein Umsatzplus von zwei Prozent.

Insgesamt aber dürften die Bauumsätze 2017 ebenso kräftig zulegen wie in diesem Jahr (plus fünf bis sechs Prozent). Der Bau bleibt damit ein Stützpfeiler der Konjunktur.

Das lässt sich von den Investitionen der Unternehmen in neue Maschinen und Anlagen nicht behaupten. Zuletzt sind sie sogar zurückgegangen. „Die Ausrüstungsinvestitionen sind im historischen Vergleich schwach“, urteilt HSBC-Ökonom Schilbe. Das sollte die Politiker aufhorchen lassen. Denn wenn der Kapitalstock veraltet, erodiert der Wohlstand.

Gründe, nicht in Deutschland zu investieren, gibt es zur Genüge. Vor allem die Wirtschaftspolitik ist zum Standortrisiko geworden. So fordern 64 Prozent der vom ifo Institut befragten Unternehmen, die Regierung müsse schleunigst die Bürokratie abbauen. Denn die ist nicht nur lästig, sondern auch teuer. Hinzu kommen neue Regulierungen. Beispiel Zeitarbeit. Im nächsten Jahr müssen Unternehmen Zeitarbeitern nach neun Monaten den gleichen Lohn zahlen wie den Stammbeschäftigten – auch wenn sie weniger produktiv sind. „Die Beschäftigung von Zeitarbeitern wird unattraktiver“, sagt Unternehmer Skotarek.

Das gilt auch für die Beschäftigung von gering Qualifizierten, für die bald ein höherer Mindestlohn fällig wird. Das dürfte dazu beitragen, die Lohnstückkosten, die schon seit geraumer Zeit rascher steigen als in anderen Euro-Ländern, weiter nach oben zu treiben. „Die deutschen Unternehmen verlieren an Wettbewerbsfähigkeit“, warnt Ökonom Krämer.

In den nächsten Jahren dürfte sich das Problem noch verschärfen. Denn auch die Zuwanderung wird schon bald die alterungsbedingte Schrumpfung des Arbeitskräftepotenzials nicht mehr kompensieren.

Umso dringender ist es, das Rentenzugangsalter anzuheben. Doch in Berlin hat man die Diskussion darüber offenbar zum politischen Tabu erklärt.

Das aber hat fatale Folgen: Verknappen sich die Arbeitskräfte, steigen die Löhne noch schneller. Die Unternehmen dürften ihre Investitionen dann vermehrt ins Ausland verlagern.

Läuft der von der lockeren Geldpolitik angefachte Konsum- und Bauboom eines Tages aus, könnte es für Deutschland ein böses Erwachen geben.

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