Konjunktur Warum wächst die Weltwirtschaft so schwach?

Der Weltwirtschaft gehen die Wachstumstreiber aus. Miese Wirtschaftspolitik der USA, Niedrigzins, zu wenig Reformen oder ist doch die schwache Nachfrage schuld? Ökonomen streiten über die Gründe der Misere.

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Gute Aussichten für die deutsche Wirtschaft
Eine Euro-Münze Quelle: dpa
Container werden auf Lastwagen geladen Quelle: dpa
Eine geöffnete Kasse Quelle: dpa
Ein Sparschwein und Cent-Münzen auf einem Sparbuch Quelle: dpa
Eine Baustelle Quelle: dpa
Ölpumpen Quelle: dpa
Jemand mit einem Schweißbrennner Quelle: dpa

Eigentlich soll die US-Wirtschaft das neue Zugpferd der Weltwirtschaft werden. Doch so richtig will sie diese Rolle nicht einnehmen - auch nicht knapp einen Monat nachdem die US-Notenbank Fed erstmals seit 2006 die Zinsen wieder leicht erhöht hat. Deshalb sind richtige Impulse für die globale Wirtschaft nicht in Sicht, das Wachstum der Weltwirtschaft plätschert dahin. Das liegt auch daran, dass die Schwellenländer längst nicht mehr so stark wachsen wie noch vor einigen Jahren. Vor allem China wird immer mehr zum Problemfall.

Kein Wunder, dass das langsame Weltwirtschaftswachstum auch auf der diesjährigen Tagung der American Economic Association (AEA), dem größten Ökonomentreffen der Welt, das dominierende Thema war. 12.000 Ökonomen aus aller Welt diskutierten in San Francisco, warum die Weltwirtschaft mehr als sieben Jahre nach der Lehman-Pleite und nach jahrelanger Nullzinspolitik der Zentralbanken noch immer viel langsamer wächst als in früheren Aufschwungphasen. Manche Teilnehmer nahmen gar das böse R-Wort von einer drohenden Rezession in den Mund.

Zwar wurde dies nur als Risikoszenario diskutiert. Doch der jüngste Kurseinbruch an den Aktienmärkten verleiht diesem Szenario eine unerwartete Dramatik.

In den USA hat sich die Wirtschaft zwar rascher von der Finanzkrise erholt als in Europa. Doch von einem fulminanten Aufschwung kann in Amerika keine Rede sein. Waren in der Vergangenheit nach schweren Rezessionen im Aufschwung Wachstumsraten von vier bis fünf Prozent üblich, so müssen sich die USA derzeit mit halb so hohen Raten zufrieden geben. Einig waren sich die Ökonomen, dass sich daran so schnell nichts ändern werde. Uneinigkeit herrschte hingegen über die Gründe für das bescheidene Wachstum.

Politik hält auf

John Taylor, Professor an der Universität von Stanford, machte die schlechte Wirtschaftspolitik der Regierung in Washington für das blutleere Wachstum verantwortlich. Die Politiker hätten die Lektion der Achtzigerjahre vergessen. Diese laute: Deregulierungen und Steuersenkungen verhelfen der Wirtschaft zu höherem Wachstum. Seit Jahren fahre der Zug in die falsche Richtung, monierte Taylor. Zusätzliche Regulierungen und höhere Steuern nähmen der Wirtschaft die Luft zum Atmen. Daher sei eine angebotspolitische Reformoffensive erforderlich, bei der die Steuersätze gesenkt und die Steuerbasis verbreitert werden müssten. Zudem sollten die Sozialleistungen kritisch unter die Lupe genommen werden.

Hingegen sei der Versuch gescheitert, durch eine ultralockere Geldpolitik mehr Wachstum zu generieren. “Die Politik der quantitativen Lockerung sowie der Versuch der Fed, die Zinserwartungen der Märkte zu steuern, waren Misserfolge”, kritisierte Taylor die Politik der US-Notenbank Fed.

Stimmen zur Zinswende der Fed

Ähnlich argumentierte der Harvard-Ökonom Martin Feldstein. Zwar habe die US-Wirtschaft einige strukturelle Stärken, die es ihr erlaubten, schneller zu wachsen als die Wirtschaft in Europa. Dazu zählte Feldstein neben der Kultur des Unternehmertums den flexiblen Arbeitsmarkt und die führende Stellung der USA in der Spitzenforschung. Dagegen gingen von den nach wie vor hohen Staatsschulden sowie dem mangelhaften Bildungssystem unterhalb der Eliteunis bremsende Effekte auf das Wachstum der US-Wirtschaft aus. Für die nächsten Jahre erwartet Feldstein daher nur Wachstumsraten von maximal 2,5 Prozent.

Das größte Risiko für die US-Wirtschaft sieht Feldstein in der Niedrigzinspolitik der US-Notenbank. Die Fed habe die Zinsen nach unten gedrückt, um die Anleger aus den Staatsanleihen in andere Assetklassen wie Aktien und Immobilien zu drängen. Der dadurch ausgelöste Preisanstieg bei Aktien und Immobilien hat die Vermögen der Bürger wachsen lassen und ihre Konsumlaune verbessert.

Gefährliche Nebenwirkungen

Zwar expandiere der private Konsum derzeit mit Raten von rund drei Prozent. Doch die ultralockere Geldpolitik habe gefährliche Nebenwirkungen in Form von Assetpreisblasen geschaffen. So lägen die Aktienkurse derzeit um rund 40 Prozent über ihrem historischen Durchschnitt, sagte Feldstein. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen müssten gemessen an der wirtschaftlichen Situation eigentlich doppelt so hoch ausfallen. Auch die Zinsen für risikoreiche Unternehmensanleihen seien viel zu niedrig.

Was hat das Wirtschaftsjahr 2015 gebracht?
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Der Harvard-Ökonom fürchtet, dass die realen Leitzinsen trotz der jüngst eingeleiteten Zinswende der Fed noch viel zu lange im negativen Bereich verharren werden. Das kurbele die Inflation an und treibe die Renditen für Staatsanleihen nach oben. Dadurch könnten die Preise für Aktien und Immobilien wieder auf Talfahrt gehen. Das Vermögen der Bürger schmelze dann dahin wie Schnee in der Sonne, ihre Konsumfreude ebenfalls. In diesem Fall sei eine Rezession nicht mehr auszuschließen.

Um die US-Wirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad zu bringen, empfiehlt Feldstein Deregulierungen und eine Steuerreform, die keine zusätzlichen Belastungen für die Bürger bringt. Dass die Politiker derzeit nichts in diese Richtung unternähmen, sei der Tatsache geschuldet, dass sie glaubten, die Finanzkrise überwunden zu haben. "Das abnehmende Krisenbewusstsein hat die Politiker selbstgefällig werden lassen", sagt Feldstein.

Eine andere Sicht vertritt Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger von der Columbia Universität in New York. Er sieht den Grund für das blutleere Wachstum nicht im Mangel an Reformen, sondern im Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. "Hätte die Regierung die Nachfrage nach der Finanzkrise stärker stimuliert, ginge es der Wirtschaft heute besser", urteilt Stiglitz.

Hilft Keynes?

Daher sprach er sich für höhere Staatsausgaben aus, die durch höhere Steuern finanziert werden. Das löse Multiplikatoreffekte aus, die das Wachstum stärkten. Konkret forderte er die Regierung auf, die Umweltsteuern zu erhöhen und die Einnahmen daraus in den Ausbau der Infrastruktur und der Bildung zu stecken.

Die expansive Geldpolitik der Fed sieht Stiglitz hingegen kritisch. Niedrige Zinsen regten zwar die Investitionen an. Doch die höhere Kapitalintensität der Produktion vernichte Arbeitsplätze. Zudem verschärften die Anleihekäufe der Fed die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, die das Wachstum ebenfalls bremse.

Für mehr staatliche Investitionen sprach sich auch Catherine Mann, Chefökonomin der OECD, aus. Weltweit seien die Investitionen extrem schwach, konstatierte sie. In den USA lägen sie derzeit nur um fünf Prozent über ihrem Vorkrisenniveau. Gemessen an früheren Aufschwüngen müssten sie jedoch um 20 bis 40 Prozent höher sein. Noch übler sei es um die Investitionen in Europa bestellt, die Entwicklung auf dem alten Kontinent sei ein "wahres Desaster".

Ausschlaggebend für die Investitionsschwäche sei ein Bündel an Ursachen. Größtes Investitionshemmnis sei die allgemeine Nachfrageschwäche. Dazu kämen geopolitische Unsicherheiten sowie der Mangel an Liberalisierungen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten.

Schwierige Zeiten für die Weltwirtschaft?

Staatliche Investitionen könnten daher helfen, die Nachfrageschwäche zu überwinden. So zeigten Berechnungen der OECD, dass staatliche Investitionen - auch wenn sie mit Schulden finanziert werden - die Schuldenquoten senken. Der Grund: Die Investitionen kurbeln das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so stark an, dass die Schulden in Relation zum BIP sinken.

Was Analysten für das Anlagejahr 2016 erwarten
Deutsche Bank Quelle: REUTERS
Deka BankDie Fondsspezialisten der Sparkassen erwarten, dass der Goldpreis im kommenden Jahr deutlich unter die kritische Marke von 1000 Dollar fallen wird. S&P 500: 2000 Punkte Nikkei: 17000 Punkte Gold: 960 Dollar Öl: 57 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen 10 Jahre: 1 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,9 Prozent Quelle: dpa
PostbankIm Gegensatz zur Deka Bank ist die Postbank beim Goldpreis etwas optimistischer. Ein möglicher Impuls kommt von der Schmucknachfrage, da die Konjunktur in Indien zuletzt deutlich besser lief als erwartet. S&P 500: 2250 Punkte Nikkei: 21750 Punkte Gold: 1100 Dollar Öl: 57 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen Rendite 10 Jahre: 1,0 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,75 Prozent Quelle: dpa
Berenberg BankDeutschlands älteste Privatbank ist im Vergleich zur Konkurrenz vergleichsweise optimistisch, was den Euro angeht. S&P 500: 2200 Punkte Gold: 1150 Dollar Öl: 55 Dollar Euro/Dollar: 1,15 Dollar Bundesanleihen 10 Jahre Rendite: 1,1 Prozent US-Treasury Rendite 10 Jahre: 2,8 Prozent Quelle: obs
SantanderS&P 500: 2250 Punkte Gold: 1050 Dollar Öl: 55 Dollar Euro/Dollar: 1 Dollar Bundesanleihen Rendite 10-jährige: 0,9 Prozent US-Treasury Rendite 10-jährige: 2,75 Prozent Quelle: AP
Credit Suisse Quelle: REUTERS
Commerzbank Quelle: dpa

Eine staatliche Investitionsoffensive sei allerdings nur dann erfolgreich, wenn sie durch durchgreifende Strukturreformen begleitet werde. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies politisch umgesetzt werde, schätzte Mann jedoch gering ein. Den Preis für die Untätigkeit der Politiker müssten die Bürger und die Unternehmen in Form eines geringeren langfristigen Wachstumstrends zahlen.

Unsicherheit herrschte über den wahren Zustand der chinesischen Wirtschaft. Die offizielle Datenbasis der Regierung sei alles andere als zuverlässig, kritisierten die Ökonomen. Es sei denkbar, dass die tatsächliche Lage schlechter sei als die offiziellen Wachstumsraten suggerieren. OECD-Chefökonomin Mann verwies auf den jüngsten dramatischen Einbruch das globalen Handelswachstums. Das sei in der Vergangenheit meist ein Zeichen für eine Weltrezession gewesen. Derzeit sei dafür das schwache Importwachstum Chinas verantwortlich.

Konjunkturindikatoren

Die Regierung in Peking habe zwar angekündigt, das Wachstumsmodell des Landes zu ändern und stärker auf die Binnennachfrage und den Dienstleistungssektor auszurichten. "Um die Wirtschaft anzukurbeln, greift die Regierung jedoch auf Instrumente wie die Abwertung der eigenen Währung zurück, die die Exporte stimulieren", sagte Mann.

Dale Jorgenson, Professor an der Harvard-Universität, sieht die Weltwirtschaft mit Blick auf China vor einer Zeitenwende. China werde die Rolle der globalen Konjunkturlokomotive, die es in den vergangenen Jahren übernommen habe, in Zukunft immer weniger wahrnehmen können. Denn der wirtschaftliche Aufholprozess Chinas laufe aus. Dem Land ergehe es ähnlich wie Japan in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Damals habe Japan durch hohe Wachstumsraten geglänzt und galt als Shootingstar der Weltwirtschaft. Doch nach wenigen Jahrzehnten war der Aufholprozess abgeschlossen, das Wachstum ließ nach. "Der Unterschied ist, dass China von einem deutlich niedrigeren Entwicklungsniveau gestartet ist als Japan und höhere Wachstumsraten hatte, nun fällt die Entschleunigung umso markanter aus", sagte Jorgenson.

Zwar werde China auch weiterhin schneller wachsen als die meisten Industrieländer. Das Problem des Landes sei allerdings, dass es versäumt habe, seine Bevölkerung in der Breite gut auszubilden. Taiwan sei China in diesem Punkt meilenweit voraus. Ohne eine breite Bildung der Bevölkerung werde es China schwer fallen, sein Wachstumspotenzial voll auszuschöpfen. Der Weltwirtschaft könnten also schwierige Zeiten bevorstehen.

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