Konjunkturprogramm Historie: Konjunkturprogramm anno 1967

Karl Schiller (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU) starteten 1967 das erste Konjunkturprogramm der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bis heute ist umstritten ob es ein Erfolg war.

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Franz Josef Strauss (CSU) Quelle: AP

Kaum eine Zeit der alten Bundesrepublik bewegt die Menschen so sehr wie das Ende der Sechzigerjahre.

Doch nur wenige verbinden mit ihnen auch einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik. Damals rollte 1966/67 die erste große Nachkriegsrezession heran und trug zum Sturz von Bundeskanzler Ludwig Erhard bei, dem Vater des Wirtschaftswunders.

Die Große Koalition aus Union und Sozialdemokraten kam ans Ruder. Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) und Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) – bald nach Wilhelm Buschs ungleichem Hundepaar „Plisch und Plum“ benannt – ergriffen die Initiative und vollzogen die wirtschaftspolitische Wende: weg von der Selbstregulierung der Märkte hin zu einem eingreifenden Staat. Kaum im Amt, brachten sie im Februar 1967 das erste Konjunkturprogramm auf den Weg: 2,5 Milliarden Mark sollten in Bahn, Post, Straßen und Wissenschaft investiert werden. Schon im September folgte mit 5,3 Milliarden Mark Paket Nummer zwei – insgesamt Mittel in Höhe von zehn Prozent des Haushalts.

Schiller, der Volkswirtschaftsprofessor aus Hamburg, wollte die Milliardenausgaben auch theoretisch fundiert und gesetzlich verankert wissen. Im Mai 1967 verabschiedete der Bundestag ohne eine einzige Gegenstimme das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Wirtschaft“. In den Leitlinien zur Konjunktursteuerung wurden Bund und Länder verpflichtet, ihre Haushalte an der konjunkturellen Lage auszurichten.

Das „magische Viereck“ aus Preisstabilität, Vollbeschäftigung, angemessenem Wachstum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht wurde als Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik definiert. Schiller war überzeugt, der Staat müsse aktiv eingreifen, um das Auf und Ab der Wirtschaft auszugleichen. „Globalsteuerung“ nannte er diese keynesianisch-antizyklische Politik. Sie kurbelt in Krisenzeiten mit höheren Ausgaben die Wirtschaft an und baut die Schulden in guten Zeiten wieder ab.

Die Ökonomen sind bis heute uneins über Schillers Erfolg

Die neue Politik wurde im In- und Ausland stark beachtet, war sie doch einer der ersten Feldversuche staatlicher Steuerung in einem Marktwirtschaftssystem. Tatsächlich ging es nach 1967 schnell wieder bergauf: Die Wirtschaft wuchs um satte sieben bis acht Prozent, die Arbeitslosenquote sank binnen zwei Jahren von 2,2 auf 0,8 Prozent 1969, die Löhne stiegen spürbar an, und der Haushalt verzeichnete 1969 sogar einen Überschuss.

Hatte Schiller also recht behalten? Die Ökonomen sind bis heute uneins. Viele sehen andere Faktoren als ausschlaggebend an: Die Exporte waren im Abschwung weiter gewachsen und hatten so die Wirtschaft gestützt, die Bundesbank hatte die Zinsen gesenkt, vor allem aber hatten sich die Gewerkschaften jahrelang mit moderaten Lohnabschlüssen begnügt. Arbeitgeber und Gewerkschaften kooperierten in der konzertierten Aktion, die Schiller im Februar 1967 ins Leben gerufen hatte. Die Konjunkturpakete, so die Einschätzung der Experten, kamen zu spät, um den Aufschwung mitzuzünden.

Doch die Große Koalition, vor allem die SPD, gewann Vertrauen in der Bevölkerung.

Die Gewinne bei der Wahl 1969 und die folgende sozial-liberale Koalition wären ansonsten nicht denkbar gewesen. Doch der Erfolg währte nur kurz: Die Regierung wurde leichtsinnig und steigerte massiv ihre Ausgaben.

Die Gewerkschaften gaben ihre Zurückhaltung auf und setzten höhere Lohnsteigerungen durch. Schiller, nunmehr Wirtschafts- und Finanzminister, sah die Katastrophe kommen und warnte seine Partei. Doch die Mehrheit empfand seine Belehrungen als penetrant und ignorierte sie. Entnervt warf Schiller 1972 das Handtuch. Er sei nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ agiere, schrieb er in seinem Rücktrittsbrief an Bundeskanzler Willy Brandt.

Dann kam 1973 die Ölkrise, und die Wirtschaft brach ein.

Erneut wurde Schillers Instrumentenkasten ausgepackt. Die Regierung legte Konjunkturprogramme auf und verschuldete sich weiter. Doch diesmal blieb der schnelle Aufschwung aus, die Rahmenbedingungen hatten sich entscheidend verändert.

Die Unternehmen änderten angesichts der hohen Lohnforderungen ihre Erwartungen über Produktivität und Gewinn. Investitionen wurden verschoben, Beschäftigte entlassen. Am Ende der sozial-liberalen Koalition 1982 war die Staatsquote von knapp 39 auf 48 Prozent gestiegen und die Arbeitslosenquote von 0,8 Prozent 1969 auf unvorstellbare 7,6 Prozent in die Höhe geschnellt. Die öffentlichen Ausgaben hatten sich verdreifacht.

Konjunkturprogramme, das zeigt die bundesdeutsche Geschichte, sind äußerst skeptisch zu beurteilen. Wenn überhaupt, so hängt ihr Erfolg von zu vielen äußeren Faktoren ab, die nicht beeinflussbar sind. Eine antizyklische Politik scheint so gut wie nie zu funktionieren. Eher lege sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass Politiker Geld zurücklegten, brachte es Strauß Jahre später auf den Punkt.

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