Kritik am freien Handel Ist der Kapitalismus am Ende?

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Ein Aufstand der Massen droht

 

Die Tea-Party-Bewegung, Occuopy Wall Street oder das Erstarken von Rechtspopulisten in Europa: Für Wallerstein sind diese Phänomene Beleg dafür, dass die Menschen erkennen, dass die Zahl der Arbeitsplätze in den Industrieländern schrumpft (nach dem Abbau von Jobs in der Landwirtschaft und Industrie droht ein ähnlicher Abbau durch neue Technologien auch im Verwaltungs- und Dienstleistungssektor), dass sie gleichzeitig aber nicht bereit sind, sich die wachsende Ungleichheit gefallen zu lassen.

Die Folge: Die Bürger radikalisieren sich. Das Hauptproblem jeder Regierung (…) – von den USA bis nach China, von Frankreich bis Russland oder Brasilien (…) – ist heute die Abwendung eines Aufstands von Beschäftigungslosen im Verbund mit den Mittelschichten, die um ihre Ersparnisse und Renten bangen“, sagt Wallerstein.

Was macht die EU gegen Jugendarbeitslosigkeit?

Ist da was dran? Auf den ersten Blick hört sich die These gewagt an. Wer kann sich schon vorstellen, dass ein Mob durch Düsseldorf, Hamburg, München oder Berlin zieht und die Regierung oder gar das System stürzt? Gleichwohl stimmt der Eindruck, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden.

Nur noch die Hälfte der Menschen geht zu Landtags- oder Kommunalwahlen in Deutschland, in Frankreich kommt der rechtspopulistische Front National, der gegen Freihandel und für Grenzen ist, bei Abstimmungen den Konservativen und Sozialisten immer näher, teilweise ist der FN bei Wahlen schon stärkste Kraft. 

Schulden gefährden die Wirtschaft

Dieser Trend wird weitergehen, glaubt Immanuel Wallerstein. Vor allem, da die Welt eine strukturelle Krise habe und der Reichtum der Industrieländer schwinde. Bisher sei das Wachstum der führenden Wirtschaftsmächte durch den Zweiten Weltkrieg, den Zusammenbruch des Kommunismus und durch immer neue Verschuldungsorgien zustande gekommen. Inzwischen aber seien die westlichen Märkte gesättigt und würden altern.

Zudem sei die Schuldenlast so hoch, dass ein Großteil des geborgten Geldes nicht mehr in die Wirtschaft oder ins Portemonnaie der Bürger gehen, sondern für die Rückzahlung von Zinsen auf alten Krediten verwendet werden muss.

Hinzu kommt: „Der Aufstieg der Schwellenländer vergrößerte die Zahl der Teilhaber am globalen Mehrwertkuchen“, sagt Wallerstein. Immer mehr Volkswirtschaften müssen sich den Markt teilen.

Staatspleiten sind die Regel

Es gäbe inzwischen acht bis zehn Machtzentren, die stark genug sind, um mit den anderen Wirtschaftsgrößen autonom verhandeln zu können. Das Problem: Jede Nation sei darauf bedacht, seinen Vorteil durchzusetzen, zur Not auch in einem Währungs- oder Handelskrieg. „Eine Reaktion [auf die aufkeimende Unzufriedenheit der Bürger] bestand darin, dass alle Regierungen protektionistisch wurden, was sie zugleich vehement dementierten“, schreibt Wallerstein.

Zu sehen ist dies bei den Verhandlungen um das transatlantische Freihandelsabkommen. Sowohl die USA als auch Europa wollen sich für den anderen Markt öffnen – doch die Verhandlungen stocken, da beide Parteien unterschiedliche Interessen haben, abgestimmt auf die eigene Volkswirtschaft. „Das System blockiert sich immer mehr selbst“, schlussfolgert Wallerstein. „Das verschärft wiederum die Ängste und Verirrungen in der Bevölkerung. Es ist ein Teufelskreis.“

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