Ludwig von Mises Der unbeugsame Visionär

Hätte man die Finanzkrise vorhersehen können? Ja. Man hätte nur die Werke von Ludwig von Mises lesen müssen. Seine Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie sind so aktuell wie nie zuvor.

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Ludwig von Mises Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA

Fragt man fünf Ökonomen nach den Ursachen der Finanzkrise, erhält man oft fünf verschiedene Antworten. Doch in einer Sache sind sich alle Vertreter der Zunft einig: Niemand habe die Krise vorhersehen können. Wirklich nicht? Oh doch! Man hätte nur die Werke eines Ökonomen lesen müssen, der zwar schon seit knapp 40 Jahren tot ist, dessen Ideen und Theorien aber so aktuell sind wie nie zuvor. Die Rede ist von Ludwig von Mises.

Der österreichische Ökonom hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen die Zentralbank dann mit noch mehr Geld und Kredit zu noch niedrigeren Zinsen zu bekämpfen versucht, was weitere Boom-Bust-Zyklen auslöst.

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Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Mises’ Theorie fand in Fachkreisen zunächst große Anerkennung, geriet dann jedoch durch das Vordringen der staatsinterventionistischen Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes ab Mitte der Dreißigerjahre in den Hintergrund. Seit Ende der Neunzigerjahre ist das Interesse an von Mises und der österreichischen Schule der Nationalökonomie, dessen herausragender Vertreter er war, neu erwacht. Mises’ Œuvre geht dabei weit über die Geld- und Konjunkturtheorie hinaus. Er zeigte, dass der Sozialismus zum Scheitern verurteilt ist und der Kapitalismus die einzig geeignete Wirtschaftsform für eine freie Gesellschaft darstellt. In seinem Opus magnum „Human Action“ entwickelte Mises unter Rückgriff auf die erkenntnistheoretischen Arbeiten von Immanuel Kant eine Theorie der Logik menschlichen Handelns, in die er die Ökonomie als Teildisziplin einbettete.

Ludwig Heinrich Edler von Mises wurde am 29. September 1881 in Lemberg geboren, einer Stadt im damaligen Österreich-Ungarn (heute Ukraine). Er war noch ein Kind, als sein Vater, der im österreichischen Eisenbahnministerium arbeitete, mit der Familie nach Wien übersiedelte. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums entschloss sich Mises, Rechtswissenschaften in Wien zu studieren. Dies war damals die einzige Möglichkeit, Vorlesungen in Ökonomie zu belegen. Unter dem Einfluss des Marxisten Carl Grünberg wurde Mises dort zunächst in der Tradition der Historischen Schule ausgebildet, deren Vertreter sich als Sozialingenieure verstanden, die praktische Lösungen für die sozialen Probleme ihrer Zeit entwickelten. Im Zentrum stand für sie das Kollektiv. Entsprechend sprachen sie dem Staat die Aufgabe zu, korrigierend in die Wirtschaft einzugreifen. Eine übergreifende Wirtschaftstheorie lehnten sie ab, stattdessen betteten sie die Analyse in den historischen Kontext ein.

Lehre bei Böhm-Bawerk

Von Mises (rechts) mit Friedrich August von Hayek Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA

Doch dann stieß Mises auf die Werke von Carl Menger (1840–1921), dem Gründer der Österreichischen Schule. Menger stand mit der Historischen Schule auf Kriegsfuß. Er vertrat die Auffassung, dass es sehr wohl ökonomische Gesetzmäßigkeiten gibt, die sich durch logisch-deduktive Überlegungen herleiten lassen. Statt des Kollektivs stellte Menger den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Das menschliche Handeln sah er auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ausgerichtet. Seiner subjektivistischen Sichtweise entsprechend, leitete er den Wert eines Gutes aus dem Nutzen ab, den eine zusätzliche Einheit dem Käufer liefert. Menger wurde zum geistigen Vater der Grenznutzenlehre und Auslöser der marginalistischen Revolution.

Literatur von und über Ludwig von Mises

Fasziniert von Mengers Lehren besuchte Mises das Seminar von Eugen von Böhm-Bawerk, einem Schüler Mengers. Böhm-Bawerk entwickelte Mengers subjektivistischen Ansatz weiter, indem er den Faktor Zeit in das menschliche Handeln einfügte. Er argumentierte, dass Menschen ihre Ziele lieber heute als morgen erreichen. Diese Präferenz für das Hier und Jetzt gilt auch für den Konsum. Deshalb verlangen die Menschen Zinsen, wenn sie auf heutigen Konsum verzichten und Ersparnisse bilden. Je höher die Vorliebe für Gegenwartskonsum, desto höher der Zins. Dieser lässt sich als Zeitpräferenzrate interpretieren.

Geld als Gut

Nach seiner Promotion 1906 arbeitete Mises einige Jahre als Rechtsanwalt in einer Wiener Sozietät, bevor er 1909 bei der Handelskammer Wien anheuerte. Dort arbeitete er für die folgenden 25 Jahre. Neben seiner Arbeit besuchte er weiter das Seminar von Böhm-Bawerk und arbeitete an seiner Habilitationsschrift, die er 1912 unter dem Titel „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“ veröffentlichte. Es wurde ein Meilenstein der Geldtheorie.

Mises verband darin die klassische Geldtheorie mit der Grenznutzenlehre Mengers und gab ihr so eine mikroökonomische Fundierung. Dabei behandelte er Geld als ein Gut wie jedes andere. Sein Preis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt, wobei der Preis in seiner Kaufkraft besteht. Da die Nachfrage nach Geld ihrerseits durch dessen Kaufkraft bestimmt wird, entsteht eine wechselseitige Kausalität (Österreichischer Zirkel), für die es keine logische Lösung zu geben schien.

In seinem Regressionstheorem bot Mises einen Ausweg, indem er auf der Zeitschiene argumentierte. Er zeigte, dass sich die Nachfrage nach Geld heute durch dessen Kaufkraft am Vortag erklären lässt. Die Kaufkraft wiederum erklärte sich durch Angebot und Nachfrage, wobei Letztere von der Kaufkraft des Geldes am Vorvortag abhing, und so weiter. Dieser Regress auf die Vergangenheit endet an dem Tag, an dem das Geld am Vortag noch eine Handelsware in einer Gesellschaft mit Tauschwirtschaft gewesen war. Für Mises geht daher der „älteste Geldwert auf den Warenwert des Geldstoffes zurück“. Geld ist also historisch in einem freien Marktprozess aus einem physisch-werthaltigen Gut entstanden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ungedecktes Papiergeld eine marktwidrige Entwicklung darstellt, die darauf zurückzuführen ist, dass der Staat sich im Laufe der Zeit das Monopol an der Geldproduktion verschafft hat. Auf Dauer, so argwöhnte Mises, könne ein solches Geldsystem nicht bestehen – sondern nur ein Edelmetallstandard.

Mises' Geldtheorie

Mises Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA

Mises widerlegte in seiner Geldtheorie die Neutralitätsthese der klassischen Quantitätstheorie. Er wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen.

Mises zeigte zudem, dass Inflation nicht alle Wirtschaftssubjekte gleichermaßen trifft, sondern sich in Schüben ausbreitet, wodurch es zu Inflationsgewinnern und -verlierern kommt. Auf der Gewinnerseite stehen der Staat, seine Vertragspartner, die Beamten und die Banken. Sie erhalten das frisch gedruckte Geld als Erste und können Güter und Dienste noch zu vergleichsweise niedrigen Preisen kaufen. Auf der Verliererseite stehen die Bürger und Rentner, die das zusätzlich in Umlauf gebrachte Geld später erhalten, wenn die meisten Güterpreise schon gestiegen sind.

In seiner monetären Konjunkturtheorie verband Mises die Zinstheorie Böhm-Bawerks mit der Idee des natürlichen Zinses des schwedischen Ökonomen Knut Wicksell. Er konnte zeigen, dass eine ausufernde Kredit- und Geldschöpfung ungesunde Boom-Bust-Zyklen auslöst und am Ende das gesamte Währungssystem zerstört.

Notwendige Bereinigungsprozesse

Wenn Banken Kredite vergeben, die nicht durch Spareinlagen gedeckt sind, produzieren sie neues Geld aus dem Nichts. Das zusätzliche Kreditangebot drückt den Marktzins unter den natürlichen Zins, der durch die Zeitpräferenzrate der Marktakteure bestimmt ist. Dadurch erscheinen auch Investitionsprojekte rentabel, die es bei genauer Betrachtung gar nicht sind. Die Folge ist ein kreditfinanzierter Boom mit zahlreichen Fehlinvestitionen. Die hohe Nachfrage und die zusätzliche Geldmenge treiben die Preise für Güter und Vermögensaktiva in die Höhe.

Der Boom endet, wenn die Bürger an der Party teilhaben wollen. Dann schrauben sie ihren Konsum hoch und fahren ihre Ersparnisse zurück. Kapital wird knapp, und der Marktzins steigt, bis er der Zeitpräferenzrate entspricht. Investitionen, die zuvor noch rentabel erschienen, lohnen sich nicht mehr. Arbeitsplätze gehen verloren, die Wirtschaft stürzt ab.

Mises sieht darin den notwendigen Bereinigungsprozess, der die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringt. Die öffentliche Meinung aber verkenne die wahre Ursache der Krise und sehe „in noch mehr Geld und Kredit das einzige Heilmittel gegen das Übel, das durch die Geld- und Kreditexpansion hervorgerufen wurde“. Doch der „finale Kollaps“ sei nicht zu vermeiden. „Die Alternative ist nur, ob die Krise durch einen freiwilligen Ausstieg aus der Kreditexpansion früher kommt oder ob sie später als totale und finale Katastrophe des Währungssystems eintritt“, schreibt Mises.

Der einzige Ausweg sei, die Kreditvergabe der Banken mit einer 100-prozentigen Reservepflicht in Hartgeld (Gold) zu belegen. Mises forderte daher, das staatliche Geldmonopol abzuschaffen und freies Marktgeld zuzulassen, das von Banken und anderen privaten Institutionen ausgegeben wird. Der Wettbewerb führe dazu, dass sich das voll (durch Gold) gedeckte Geld durchsetzt.

Kompromisslose Haltung

Ludwig von Mises Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA

Mises’ Ideen prägten das Denken vieler seiner Schüler. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem Mises als Artillerieoffizier an der Front kämpfte, nahm er 1918 seinen Dienst in der Handelskammer wieder auf und hielt als außerordentlicher Professor Vorlesungen an der Universität Wien ab.

Von 1920 bis 1934 hielt er in seinem Büro in der Handelskammer jeden zweiten Freitag ein Privatseminar ab. Zu den Teilnehmern zählten berühmte Ökonomen wie Friedrich August von Hayek, Gottfried von Haberler und Oskar Morgenstern, der spätere Begründer der Spieltheorie. Nach mehrstündiger Diskussion in Mises’ Büro setzten die Teilnehmer ihre Debatten regelmäßig in einem Restaurant fort und zogen nachts weiter in ein nahes Cafe, um über Ökonomie zu diskutieren.

Mises hoffte damals auf eine feste, voll bezahlte Professorenstelle in Wien. Doch dazu kam es nie, was seine Freunde und Schüler auf drei Faktoren zurückführten: Erstens war Mises vom Laissez-faire-Ideal des Liberalismus überzeugt zu einer Zeit, in der Sozialismus und Faschismus auf dem Vormarsch waren. Zweitens war er unbeugsam in seiner liberalen Haltung. Drittens war er Jude, was die Karriere im zunehmend antisemitischen Österreich erschwerte. Hayek meinte, die Berufungskommission hätte über zwei der drei Punkte hinweggesehen, „aber nie über alle drei“.

Gegen den Zeitgeist, für freie Märkte

Mises’ kompromisslose Haltung spiegelt sich auch in seinem zweiten großen Werk „Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus“ von 1922 wider, einer schonungslosen Analyse planwirtschaftlicher Systeme. Mises argumentierte, dass der Sozialismus zwangsläufig scheitern müsse, weil er auf staatlichem Zwang statt auf freiwilligem Austausch auf Märkten beruht. Weil die Preise von Behörden festgelegt sind, spiegeln sie nicht die tatsächlichen Knappheiten wider und sind zur Kalkulation von Kosten und Renditen ungeeignet. Die Folge sind Fehlallokationen und wirtschaftlicher Niedergang.

Das Werk schlug ein wie eine Bombe. Euphorisiert von der russischen Oktoberrevolution hatten viele junge Intellektuelle nach dem Ende des Ersten Weltkriegs den Sozialismus als Weg in eine bessere Zukunft betrachtet. „Dann kam dieses Buch“, sagte später Friedrich Hayek, damals selbst noch ein Anhänger sozialistischer Ideen. Auch die Anhänger eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus rüttelte Mises aus ihren Träumen. In seiner „Kritik des Interventionismus“ zeigte er, dass staatliche Eingriffe in den Markt keine Probleme lösen, sondern neue schaffen, auf die der Staat mit immer weiteren Interventionen reagiert. Der Dirigismus führt am Ende in den Sozialismus. Für Mises ist daher der Kapitalismus die einzig richtige Wirtschaftsform für eine freie Gesellschaft.

Mises’ Streitschriften gegen den überbordenden Staat gaben der Österreichischen Schule ihre entscheidende Prägung als marktliberale Lehre. Da er sich damals gegen den Zeitgeist für freie Märkte in die Bresche warf, galt er vielen Zeitgenossen als „letzter Ritter des Liberalismus“. Dass dabei zuweilen sein aufbrausender Charakter mit ihm durchging, bekamen auch liberale Zeitgenossen zu spüren. Auf einer Sitzung der liberalen Mont-Pelerin-Gesellschaft, zu deren Mitgründern Mises zählte, sprang er einmal auf und stürmte mit den Worten „Ihr seid alle ein Haufen Sozialisten“ aus dem Saal.

Disput mit Milton Friedman

Milton Friedman Quelle: AP

1934 folgte der eingefleischte Junggeselle, der bis dahin bei seiner Mutter in Wien gewohnt hatte, dem Ruf als Professor an die Universität Genf, wo er 1938 die Schauspielerin Margit Sereny-Herzfeld heiratete. Wegen des Vordringens des Nationalsozialismus entschlossen sich beide, 1940 nach New York überzusiedeln. 1945 erhielt Mises eine Gastprofessur an der New York University, die er bis 1969 innehatte.

1949 veröffentlichte er sein monumentales Werk „Human Action – A Treatise on Economics“. Darin fasst er die Lehren der Österreichischen Schule zusammen und entwickelt eine Theorie der Logik menschlichen Handelns, die er „Praxeologie“ nannte. Beeinflusst von den Lehren Immanuel Kants, definiert Mises die Ökonomie als logisch-deduktive Wissenschaft, die aus a priori bekannten Wahrheiten und logischem Denken ihre Erkenntnisse gewinnt. Diese bedürfen Mises zufolge keiner empirischen Überprüfung mehr.

Damit wandte er sich methodologisch gegen den Positivismus, wie ihn Milton Friedman vertrat. Friedman forderte, aus der ökonomischen Theorie Hypothesen abzuleiten und diese empirisch zu überprüfen. Mises dagegen betrachtete die Empirie eher als das Sammeln von vergangenheitsbezogenen Daten, die sich allenfalls zur Geschichtsschreibung eigneten. Statt zu rechnen, sollten die Ökonomen lieber denken, um Erkenntnisse zu gewinnen. In diesem Zusammenhang lehnte Mises die Anwendung der Mathematik in der ökonomischen Forschung als eine „vollkommen teuflische Methode ab, die von falschen Annahmen ausgeht und zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führt“. Darauf entgegnete Friedman, wenn alle Ökonomen Praxeologen wären, ließen sich ökonomische Fragen nur im Faustkampf lösen.

Eigentum, Freiheit und Frieden

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Ökonomie dem empiristischen Postulat Friedmans gefolgt und hat sich den Naturwissenschaften angenähert. Allerdings haben das Scheitern der mathematischen Modelle neoklassischer und neukeynesianischer Provenienz bei der Erklärung der Finanzkrise und das wachsende Unbehagen darüber, dass sich die Ökonomie zunehmend zum Sammelbecken für gescheiterte Mathematiker entwickelt, das Interesse an den Forschungsansätzen der Österreichischen Schule steigen lassen.

Nach Mises’ Tod 1973 hat dessen Schüler Murray Rothbard die Österreichische Schule auf die Spitze getrieben. Er entwickelte einen naturrechtlich begründeten Liberalismus, der sogar staatliche Institutionen ablehnt. Das 1982 gegründete Ludwig-von-Mises-Institut in Auburn im US-Bundesstaat Alabama steht in der Tradition der Rothbard’schen Interpretation des Werkes von Mises. Das politische Pendant zu Rothbards radikal-libertärem Anarchokapitalismus ist in den USA die Tea-Party-Bewegung.

Ob Mises Rothbard gefolgt wäre, mag dahingestellt bleiben. Für Mises hatte „Liberalismus mit Anarchismus nicht das Geringste zu tun“. Doch hat auch er die „Aufgaben, die die liberale Lehre dem Staat zuweist“, mit dem Schutz des Eigentums, der Freiheit und des Friedens eng definiert.

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