Maurice Obstfeld beim IWF Pragmatischer Griechenlandversteher

Der US-Ökonom Maurice Obstfeld wird neuer Chefvolkswirt des IWF. Er legt oftmals den Finger in die Wunde, besonders beim Thema Griechenland.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Maurice Obstfeld Quelle: Stephen Jaffe,IWF,dpa

Maurice Obstfeld sieht so gar nicht zum Fürchten aus. Der schlaksige Makroökonom mit der kauzigen runden Brille wirkt eher skurril, sicher aber ungefährlich – wie ein typischer Wissenschaftler halt. Und doch sind europäische Kollegen skeptisch, wenn der Wirtschaftswissenschaftler am Dienstag kommender Woche seinen neuen Job als Chefökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF) antritt. Obstfeld wird damit zum wichtigsten Ratgeber von IWF-Chefin Christine Lagarde. Ausgerechnet ein US-Amerikaner, der dazu noch mit dem Deutschlandkritiker Paul Krugman eng zusammengearbeitet hat. Schlägt sich der IWF, der seine harte Linie längst hinter sich gelassen hat, nun in der Schuldenkrise noch mehr auf die Seite der Reformverweigerer?

Alan Auerbach beruhigt. „Maurice Obstfeld ist Keynesianer, aber kein Dogmatiker.“ Mit Krugman sei er nicht zu vergleichen. Auerbach muss es wissen. Seit seinem Studium kennt er Obstfeld, seit 21 Jahren sind die beiden Ökonomen Kollegen an der Berkeley-Universität in Kalifornien. Maury, so nennen Freunde wie Auerbach den 63-Jährigen, sei ein kluger Beobachter. Er schaue sich Probleme mit analytischem Blick an, vertraue auf Zahlen. Aber: „Wenn die Welt sich ändert, realisiert Obstfeld dies. Er klammert sich nicht an überholten Regeln fest und weiß um politische Befindlichkeiten“, betont Auerbach.

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
János Kornai Quelle: Creative Commons
Lorenz von Stein Quelle: Creative Commons
Steuererklärung Quelle: AP
Mancur Olson Quelle: Creative Commons
Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Das bewies Obstfeld in einem Interview mit der WirtschaftsWoche im Dezember 2011. Darin hatte der Berkeley-Professor bereits betont, dass eine Rückkehr der Euro-Staaten zu nationalen Währungen „unter rein ökonomischen Aspekten eine gute Lösung“ wäre. Allerdings sei diese politisch nicht realisierbar, da dann das „geopolitische Gewicht Europas“ schwände.

Obstfeld studierte Mathematik in Philadelphia, ging anschließend nach Cambridge und promovierte in Wirtschaftswissenschaften am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), jener keynesianisch geprägten Eliteuniversität, die auch EZB-Chef Mario Draghi und Ex-Fed-Chef Ben Bernanke einst besucht haben.

Anschließend wechselte Obstfeld in den Lehrbetrieb und erarbeitete sich schnell den Ruf eines Fachmanns für Kapitalströme und Fragen zur internationalen Finanz- und Wechselkurspolitik. Zusammen mit Paul Krugman hat er das Lehrbuch „Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Außenwirtschaft“ geschrieben, mit Kenneth Rogoff „Grundlagen der internationalen Makroökonomie“ – beide Werke sind Pflichtlektüre eines jeden angehenden Ökonomen. Seit 2014 berät Obstfeld Barack Obama in wirtschaftspolitischen Fragen.

Dem US-Präsidenten erklärte Obstfeld unter anderem die Euro-Krise – und schlug dabei die aus den USA bekannten Töne an. Die Regierungschefs der Euro-Staaten bräuchten „mehr Mut“ und müssten langfristig denken. „Sparprogramme für Griechenland alleine reichen nicht“, findet Obstfeld. Stattdessen müsste die Euro-Zone vertieft werden, hin zu einer echten Fiskalunion. „Sollten die Euro-Länder nicht bereit sein, auf Souveränität zu verzichten, wird es keine Stabilität geben“, schrieb Obstfeld in einem Arbeitspapier für die EU-Kommission.

Obstfeld legt den Finger in die Wunde, auch beim Thema Griechenland. Das Land werde seine Schulden nicht vollständig zurückzahlen können, sagte er schon 2011 im WirtschaftsWoche-Interview. Damals hoch umstritten, heute weitestgehend traurige Gewissheit. Obstfeld nutzt die Euro-Krise, anders als Ökonomen wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz, aber nicht für eine Generalabrechnung mit der Währungsunion und einzelnen Mitgliedstaaten. Das macht seine Kritik, mit Argumenten und Zahlen unterlegt, nicht weniger wirkungsvoll.

Bequem wird es für die Europäer mit dem neuen IWF-Chefökonomen nicht. Da hilft es auch nicht, dass Obstfeld seine Kritik wohl nicht an die große Glocke hängen wird. Bei Veranstaltungen hält er sich im Hintergrund, wirkt uneitel, nahezu schüchtern. „Er wird die politische Arbeit Christine Lagarde überlassen“, ist sich auch Kollege Auerbach sicher. Obstfeld sei loyal, er „macht es den Menschen einfach, ihn zu mögen“. Er sei bei seinen Studenten beliebt wie respektiert. Große Reden schwinge er aber nicht. „Er ist Wissenschaftler, kein Menschenfänger.“ Das wiederum passt zu seinem Äußeren.

Dem Autor auf Twitter folgen:

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%