Neue Transparenz-Offensive EZB-Freizügigkeit mit Nebenwirkungen

Notenbanken wie die Fed oder die Bank of England machen es längst: Jetzt will auch die EZB Protokolle ihrer Beschlüsse veröffentlichen. Die Transparenz-Offensive birgt jedoch Risiken – vor allem für die Bundesbank.

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Macht die Europäische Zentralbank den Schritt zur mehr Freizügigkeit? Quelle: Getty Images

Berlin Immer mehr Macht, null Transparenz: Die Europäische Zentralbank (EZB) fällt weitreichende Entscheidungen ganz im Verborgenen, etwa wenn es um den Kauf Staatsanleihen überschuldeter Länder geht und Milliardenrisiken in der Euro-Zone umverteilt werden. Was viele dabei ärgert, ist der Umstand, dass die Politik nicht das Zepter bei der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise in der Hand hält, sondern Mario Draghi.

Der mächtige EZB-Chef überschüttet Banken mit Billigkrediten in Billionenhöhe - gegen fragwürdige Sicherheiten. Die Öffentlichkeit, die hierfür gerne die Gründe nachvollziehen würde, hat das Nachsehen. Denn anders als die US-Notenbank Fed, die drei Wochen nach jeder Sitzung Protokolle veröffentlicht, hütet Draghis Zentralbank das Abstimmungsverhalten ihrer Ratsmitglieder wie ein Staatsgeheimnis. Doch inzwischen dämmert es auch den Notenbankern, dass ihre Geheimniskrämerei nicht mehr zeitgemäß ist.

So deutlich wie noch nie plädieren jetzt die beiden EZB-Direktoriumsmitglieder Jörg Asmussen und Benoît Coeuré für eine Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der Treffen des obersten Führungsgremiums der Bank, des EZB-Rats. Asmussen und sein französischer Kollege Coeuré machten diesen Vorstoß in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" und "Le Figaro".

"Die Protokolle sollten enthalten, wer für was gestimmt hat und mit welcher Begründung", forderte Asmussen. "Transparenz ist wichtig für die Effektivität der Geldpolitik und für das Vertrauen in die Zentralbank", sagte Coeuré. Die Gesellschaft fordere diese Transparenz ein. Das Thema ist hoch umstritten, da befürchtet wird, dass nach einer Veröffentlichung der Druck der Lobby und der Politik auf einzelne EZB-Vertreter steigen könnte. Aus der Politik kommt dennoch Unterstützung, Ökonomen sind geteilter Meinung über den Nutzen öffentlicher Protokolle.

Transparenz sei sicherlich ein hohes Gut und könne das Vertrauen in Institutionen stärken. „Allerdings muss man bedenken, dass Diskussionen nicht mehr offen geführt werden können, wenn die Mitglieder der EZB wissen, dass alles, was sie sagen, ihnen später namentlich zugeordnet werden kann“, sagte der Direktor des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität Köln, Thomas Hartmann-Wendels, Handelsblatt Online.

Insbesondere für diejenigen, die eine „unpopuläre“ Minderheitsmeinung verträten, wie etwa der Präsident der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann, werde der Druck „enorm groß“ werden, gab der Bankenexperte zu bedenken. „Seine kritische Haltung zur EZB-Politik ist ohnehin bekannt, da muss man nicht jede Äußerung von ihm auch noch öffentlich nachlesen können.“ Wichtiger als die Veröffentlichung der Diskussionsbeiträge sei vielmehr, dass die EZB die Grundregeln ihres Handelns offen lege und auch danach konsequent handle, anstatt ihr Aufgabengebiet ständig zu erweitern, etwa was Staatsfinanzierung und Bankenaufsicht betrifft.


Ex-Bundesbankchef Weber löste Debatte aus

Zweimal im Monat trifft sich der EZB-Rat. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt, einmal im Monat stellt Draghi der Presse die Ergebnisse aus den Sitzungen vor. Lange Zeit wurde dabei verschwiegen, ob die Beschlüsse mit Gegenstimmen oder nach heftigem Schlagabtausch gefasst wurden. Das änderte sich erst, als der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber sich öffentlich gegen den Beschluss stellte, Anleihen von Krisenländern zu kaufen.

Sein Nachfolger Jens Weidmann sucht inzwischen die Öffentlichkeit, um seine Opposition zum EZB-Kurs deutlich zu machen. Und Draghi gab im vergangenen September nach Entscheidung zu Anleihekäufen vor der Presse zu: „Es gab eine Gegenstimme.“ Wer das war, wollte er zwar nicht sagen. Aber Weidmanns Kritik ist ohnehin bekannt: „Raten Sie selbst.“

Inzwischen kann sich auch die Bundesbank eine Veröffentlichung der Positionsprotokolle vorstellen. Und die Zentralbank selbst prüft, wie sich die Transparenz erhöhen lasse, ohne den Entscheidungsprozess zu gefährden.

Der EZB-Chefvolkswirt Peter Praet wurde jüngst im Handelsblatt-Interview noch konkreter. Angesprochen auf immer wiederkehrende Spekulationen, wer im Rat welche Meinung vertreten hat, antwortete er: „In der Tat, diese Spekulationen bestärken mich in meiner Meinung, dass wir früher oder später Protokolle veröffentlichen sollten. Die aktuelle Änderung in unserer Kommunikation unterstützt uns im Bestreben, die Märkte besser in die Lage zu versetzen, zu verstehen, unter welchen Bedingungen wir unsere Geldpolitik anpassen würden.“ Die EZB-Ratsmitglieder diskutiere das Thema Transparenz „intensiv“.

Bei der Art der Veröffentlichung der Protokolle sind verschiedene Abstufungen möglich. Die US-Notenbank Fed veröffentlicht ihre Protokolle zum Beispiel jeweils drei Wochen nach den Sitzungen. Denkbar wäre aber auch, sie sofort zu veröffentlichen oder mit einer längeren Pause. Es könnten auch nur bestimmte Teile der Sitzung veröffentlicht werden. Umstritten ist auch, ob das Abstimmungsverhalten mit protokolliert werden soll.

Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, begrüßt die neue Offenheit der Zentralbank. Bei fast allen Entscheidungen des EZB-Rats spielten „handfeste nationale Interessen eine große Rolle“, sagte Krämer Handelsblatt Online. „Die Bürger haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wie die für sie sehr wichtigen Entscheidungen der EZB zustande kommen.“

Krämer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, wie sich die Aufgaben der EZB inzwischen verändert haben. „Anders als ursprünglich geplant betreibt die EZB mittlerweile nicht mehr nur reine Geldpolitik“, sagte er. Vielmehr habe sie mit dem unbegrenzten Anleihekaufprogramm “Outright Monetary Transactions” (OMT) „faktisch Funktionen der Finanzminister übernommen, die sich vor Parlamenten rechtfertigen müssen“. Außerdem könne die EZB mit Notkrediten (ELA, Emergency Liquidity Assistance) die Bankensysteme einzelner Krisenländer am Leben erhalten, was im Fall Zyperns auch geschah.


Breite politische Unterstützung für EZB-Vorstoß

Der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Hans-Peter Grüner hält indes nichts davon, die Protokolle zu veröffentlichen. Es gebe mehrere „gewichtige“ Nachteile: „Die Veröffentlichung macht es leichter, auf einzelne Ratsmitglieder Einfluss zu nehmen. Außerdem ist sie nicht gut für einen offenen aber internen Diskurs, in dem sich ein Ratsmitglied auch einmal überzeugen lassen kann, ohne dass ihm ein Zacken aus der Krone bricht“, sagte Grüner Handelsblatt Online. Und Schließlich spiele in der Geldpolitik gezielte Doppeldeutigkeit manchmal eine wichtige Rolle. „Das heißt, es ist manchmal gut, dass die Märkte nicht genau wissen, wann die Zentralbank auf eine Entwicklung wie eine spekulative Blase reagiert. Das macht die Marktteilnehmer vorsichtiger“, so Grüner.  Die Vielstimmigkeit der Ratsmitglieder tute im Übrigen der Zentralbank-Kommunikation schon jetzt nicht gut. „Für die nötige Transparenz kann die Zentralbank in den regelmäßigen Pressekonferenzen sorgen.“

In der Politik kommt der Vorstoß von Asmussen und Coeuré aber gut an. „Die Diskussion über die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle ist richtig und kommt zur rechten Zeit“, sagte der Finanzexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus (CDU), Handelsblatt Online. Vor allem im Hinblick auf ihre neue Tätigkeit als Aufsicht über die bedeutenden Banken der Euro-Zone sei es „nicht länger zu rechtfertigen“, dass die EZB ihre Sitzungsprotokolle nicht veröffentlicht. „Die Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben muss einer ausreichenden demokratischen Kontrolle unterworfen werden, die nur bei größtmöglicher Transparenz erreicht werden kann.“

Das Bundesfinanzministerium wollte auf Anfrage das Thema nicht kommentieren, weil man, wie ein Sprecher sagte, „aus Respekt vor der Unabhängigkeit der EZB grundsätzlich nichts zu internen EZB-Angelegenheiten“ sage.

Lobend äußerte sich dagegen die Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Brigit Reinemund.  Transparenz und Berechenbarkeit schafften Vertrauen. „Daher betrachte ich es positiv, wenn sich die EZB in ihrer Unabhängigkeit zu diesem Schritt entscheiden könnte, den andere große Notenbanken längst unternommen haben - ohne negative Folgen“, sagte die FDP-Politikerin Handelsblatt Online.

Nach Ansicht des Vize-Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, sollten die Äußerungen von Asmussen und Coeuré Anlass genug sein, die Veröffentlichung der EZB-Protokolle „sehr wohlwollend“ zu diskutieren. „Ob es allerdings nicht klüger wäre, die Namen der einzelnen Ratsmitglieder zu anonymisieren, ist zu bedenken“, sagte Poß Handelsblatt Online. „Es kommt schließlich nicht auf die Personen, sondern auf die Argumente an.“ Gleichwohl dürfe die EZB nicht weniger transparent sein als die anderen wichtigen Notenbanken der Welt. Die Unabhängigkeit der EZB müsse aber gewahrt werden. „Sie hängt aber sicherlich nicht von der Veröffentlichung der Protokolle ab“, sagte der SPD-Politiker.

Die Grünen sehen sich durch die Aussagen von Asmussen und Coeuré bestätigt. Das Europaparlament habe bereits mehrfach die Veröffentlichung der EZB-Protokolle gefordert. „Das ist jedoch eine souveräne Entscheidung der Geldpolitik durch die EZB“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, Handelsblatt Online.

Die Debatte über eine transparentere EZB ist auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Rolle der Zentralbank in der Krise verändert hat. Für viele ist die EZB inzwischen die heimliche Regierung Europas. Als Griechenland im Mai 2010 am Abgrund stand, beschloss die Notenbank über Nacht, Hellas-Bonds zu kaufen. Damit hielt die EZB das Land über Wasser, bis die Regierungen der EU-Länder den ersten Rettungsschirm aufspannen konnten. Mehr als 200 Milliarden steckte die EZB in Staatspapiere, den Banken lieh sie Billionen zu Niedrigzinsen.


Auch EZB-Bankenaufsicht soll transparent sein

Die EZB betont ihre Unabhängigkeit, knüpft ihr Handeln aber zunehmend an politische Entscheidungen. Das neue Kaufprogramm für Anleihen ist an die Bedingung gebunden, dass die betreffenden Staaten zuvor einen Hilfsantrag beim Euro-Rettungsfonds ESM stellen - und damit ihre Reformen international kontrollieren lassen.

Und es ist ein weiterer Machtzuwachs geplant. Ab Herbst 2014 soll die EZB zur zentralen Aufsicht für die Banken im Euro-Raum ausgebaut werden. Das wird sie zwar in enger Abstimmung mit den nationalen Aufsehern - in Deutschland Bundesbank und Bafin - tun, aber dennoch wird damit der Einfluss der Notenbank noch größer. Denn nach den Plänen soll die neue mächtige Aufsicht marode Banken notfalls auch dichtmachen können. Wie genau das alles organisiert wird, ist allerdings noch offen. Ein Knackpunkt: Wie sollen Geldpolitik und Bankenaufsicht getrennt werden, wenn künftig weitgehend dieselben Köpfe über das eine wie das andere entscheiden?

So viel Macht kann auch gefährlich sein. Denn inzwischen hängen die Schicksale von ganzen Ländern und damit von Millionen Menschen stark von Entscheidungen aus dem Frankfurter Eurotower ab: Dort sitzen zwar ausgewiesene Fachleute, diese sind aber nicht gewählt und nicht demokratisch legitimiert. Trotzdem nehmen sie riskante Papiere in die Bilanz, für die im Pleitefall der Steuerzahler haften müsste. Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon warnte bereits: „Es ist am Ende eine supergefährliche Argumentation zu sagen, wir haben in Europa im Grunde nur eine funktionierende Institution: die EZB.“

Die Grünen dringen denn auch im Bereich der Bankenaufsicht auf volle Transparenz. Das Verhandlungsteam des Europaparlaments fordere fraktionsübergreifend im Rahmen der laufenden Verhandlungen zur interinstitutionellen Vereinbarung zwischen Parlament und EZB Einsicht in die Protokolle des neues Aufsichtsgremiums in der EZB sowie des EZB-Rats, wenn sie Aufsichtsfragen betreffen. „Ausgenommen werden sollen nur Informationen, die Firmengeheimnisse betreffen“, sagte Grünen-Finanzexperte Giegold. „Die Veröffentlichung ist schon deshalb notwendig, weil die EZB auch rechtsetzungsähnliche Kompetenzen erhält.“ Wenn Gremien Verordnungen zur Aufsicht erlassen, so müsse öffentlich sein, wer sie beschlossen hat. „Nur so wird die rechtsstaatliche Verantwortungspflicht von Macht hergestellt.“


„Bankaufsicht kann zur Belastung öffentlicher Haushalte führen“

Dem Wunsch der Europaparlamentarier nach mehr Transparenz wir die EZB wohl auch nach kommen, wenn sie die Aufsicht über die 130 größten Banken der Euro-Zone übernimmt. „Wenn die Aufsicht auf die EU-Ebene wechselt, ist es im Interesse der EZB, die größtmögliche Rechenschaftspflicht und demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament zu haben„, sagte EZB-Direktor Asmussen.

„Bankaufsicht kann im Falle einer Restrukturierung zur Belastung öffentlicher Haushalte führen. Deswegen brauchen wir bei der Aufsicht eine stärkere Rechenschaftspflicht als bei der Geldpolitik“, sagte auch sein Direktoriumskollege Coeuré. Bevor die Aufsicht startet, will die EZB dem Bericht zufolge eine Überprüfung der Bankbilanzen vornehmen. Die beiden Direktoren gaben nun bekannt, dass diese Prüfung "Anfang des kommenden Jahres beginnen" werde.

Der Aufsicht der EZB werden Banken mit großer Bedeutung für das Finanzsystem unterstellt, deren Bilanzsumme bei über 30 Milliarden Euro liegt oder mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des jeweiligen Mitgliedstaates beträgt. Die Aufsicht soll überwachen, dass diese Banken die Anforderungen an Kapital, verfügbare Mittel und im Bereich des Managements einhalten.

Die einheitliche Bankenaufsicht ist ein Pfeiler der geplanten, aber umstrittenen europäischen Bankenunion. Diese soll für mehr Stabilität im europäischen Finanzsektor sorgen - als Reaktion auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise der vergangenen Jahre.

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