Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften Jean Tirole erhält den Ökonomie-Nobelpreis

Jean Tirole erhält den Ökonomie-Nobelpreis - für seine "Analyse der Macht der Märkte und der Regulierung". Der in Toulouse lehrende Franzose ist Experte für Industrieökonomik und Wettbewerb.

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Experte für Industrieökonomik: Jean Tirole gewinnt den Ökonomie-Nobelpreis. Quelle: Bloomberg

Im Oktober 2011 verlieh die Universität Mannheim drei Ökonomen einen Ehrendoktor. "Ich wäre nicht überrascht, diese international renommierten Volkswirtschaftler in der Vorschlagsliste für den nächsten Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften wiederzufinden", sagte der Mannheimer Professor Martin Peitz anlässlich der Preisverleihung.

Drei Jahre später zeigt sich: Peitz hatte Recht - denn unter den Geehrten war damals auch Jean Tirole. Und der gewann heute den Ökonomie-Nobelpreis. Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt. Er werde für seine Forschungen über Marktmacht und Regulierung ausgezeichnet, erklärte die Jury am Montag.

Wirtschaftsnobelpreisträger nach Nationen

Zugegeben: Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft gehört nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Denn der schwedische Forscher und Großindustrielle Alfred Nobel hatte lediglich Preise in fünf Bereichen vorgesehen - Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden.

Doch 1968 beschloss die Schwedische Notenbank, den Preis zur Erinnerung an Nobel zu stiften und 1969 erstmals zu vergeben. Daher heißt der Preis heute offiziell "Preis der Reichsbank Schwedens für die ökonomische Wissenschaft zum Andenken an Alfred Nobel". Und der neue Preisträger ist aus zwei Gründen anders.

Die Wirtschaftsnobelpreis-Sieger seit 2001
2001George Arthur Akerlof (geboren am 17. Juni 1940 in New Haven, Connecticut) lehrt als Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, Berkeley. 2001 erhielt er zusammen mit Joseph E. Stiglitz und Michael Spence den Nobelpreis für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten. Ende Oktober 2009 gründete Akerlof mit anderen das Institute for New Economic Thinking (INET) mit dem Ziel, neue Denkansätze für die Volkswirtschaftslehre zu entwickeln. Quelle: AP
2001Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz, geboren am 9. Februar 1943 in Gary, Indiana, wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch sein Buch "Die Schatten der Globalisierung" bekannt. Stiglitz gilt als scharfer Kritiker der Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten. Quelle: dapd
2001Preisträger Andrew Michael Spence ist der Vater der sogenannten „Job Market Signaling“-Theorie, die sich allgemein mit dem Problem der asymmetrischen Information auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Der Ökonom wurde am 7. November 1943 in Montclair, New Jersey, geboren und ist Professor an der Harvard University, lehrt aber auch an der Business School der New York University. Quelle: AP
2002Daniel Kahneman (geboren am 5. März 1934 in Tel-Aviv) ist ein israelisch-US-amerikanischer Psychologe. Er erhielt 2002 zusammen mit Vernon L. Smith den Wirtschafts-Nobelpreis. Die zugrundeliegende Theorie – die „Prospect Theory“ – entwickelte der Wissenschaftler zusammen mit Amos Tversky. Die Theorie erlaubt es, die Entscheidungsfindung in Situationen der Unsicherheit zu beschreiben. Bekannt wurden vor allem Kahnemanns Arbeiten zu Urteilsheuristiken und kognitiven Verzerrungen. Er ist emeritierter Professor der Princeton University. Quelle: REUTERS
2002Der US-Amerikaner Vernon L. Smith gilt als der bedeutendste Vertreter der experimentellen Kapitalmarktforschung. Der 1927 in Wichita (Kansas) geborene Smith ist Professor für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und forscht unter anderem an der George Mason University in Arlington (Virginia). Quelle: AP
2003Sir Clive William John Granger (1934-2009) wurde für seine Arbeit an "Methoden zur Analyse ökonomischer Zeitreihen mit gemeinsam veränderlichen Trends (Kointegration)" ausgezeichnet. Beispiele hierfür sind der Zusammenhang zwischen Vermögen und Konsum, Wechselkursen und Preisniveau oder kurzfristigen und langfristigen Zinssätzen. Der Brite war zuletzt emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, San Diego, und lehrte in Nottingham. Quelle: REUTERS
2003Robert F. Engle III ist Professor für Management von Finanzdienstleistungen an der New York University. Engle wurde am 10. November 1942 in Syracuse/New York geboren. Geehrt wurde er für seine Verdienste hinsichtlich der Entwicklung von Methoden zur Analyse ökonomischer Zeitreihen mit zeitlich variabler Volatilität. Den Preis teilt er sich mit dem 2009 verstorbenen Clive W. J. Granger. Quelle: dpa

Zum einen ist Tirole erst 61 - und damit knapp sechs Jahre jünger als der durchschnittliche Ökonomie-Nobelpreisträger. Zum anderen ist er nach Maurice Allais (1988) und Gérard Debreu (1983) erst der dritte Franzose, der den begehrten Preis erhält.

Tirole lehrt an der Universität Toulouse. Die Hochschule gilt unter Ökonomen als Hochburg der so genannten Industrieökonomik - ein Bereich der Volkswirtschaft, der sich mit dem Zusammenspiel von Märkten und Unternehmen beschäftigt. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die industrielle Organisation, Banken- und Finanzwesen sowie psychologische Aspekte der Wirtschaftswissenschaft.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

So unbekannt der Franzose außerhalb der ökonomischen Zirkel ist, so bekannt ist er in der Wissenschaft. 2005 wertete der Dienstleister Thomson Scientific aus, wie häufig die in internationalen Zeitschriften veröffentlichten Forschungsergebnisse der Ökonomen von anderen Wirtschaftsforschern zitiert wurden - eine Art Maßstab, um die Forschungstätigkeit der Wissenschaftler zu vergleichen. Tirole landete damals auf dem fünften Rang weltweit. Schon seit Jahren wurde er als Kandidat für den Nobelpreis genannt. Ein Grund: Seine Forschung ist aktuell wie nie.

Denn inzwischen ist bekannt: Auf vielen Märkten haben Akteure unvollständige Informationen. Außerdem verfolgt jeder Teilnehmer unterschiedliche Interessen und hat andere Anreize. Aber wie verhalten sich die Marktteilnehmer vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit? Wie entstehen Monopole? Wann versagen Märkte - und was sollten Regierungen dagegen tun? "Jean Tirole hat der Erforschung von Marktversagen neues Leben eingehaucht", sagte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften.

Diese Fragen beschäftigen Tirole seit Mitte der Achtzigerjahre, sein erstes umfangreiches Werk ("Theory of Industrial Organization") veröffentlichte er bereits 1988. Nun erhält er den Lohn für seine Arbeit. Der Nobelpreis ist mit 870.000 Euro dotiert.

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