Öffentlicher Haushalt Warum die Politik immer mehr Geld ausgibt

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Beamte als Etatmaximierer

Der entscheidende Grund für Mehrausgaben dürfte hingegen politökonomischer Natur sein: Leistungen zu reduzieren widerspricht dem Eigeninteresse der Politik. Schon 1957 entwickelte der Ökonom Anthony Downs ein Modell, das die klassische Nutzentheorie mit ihrem Maximierungskalkül auf die Politik überträgt. Analog zum Unternehmer, der seinen Gewinn maximiert (und quasi als Nebeneffekt mehr und bessere Güter produziert), will der Politiker Wählerstimmen maximieren – als Nebeneffekt kommt ein steigendes Angebot öffentlicher Güter heraus. Am Ende steht ein „stimmenmaximales Budget“, bei dem der durch den letzten zusätzlichen Euro erreichte Stimmenzuwachs dem Stimmenverlust entspricht, der sich durch die mit höheren Leistungen verbundene höhere Steuerlast ergibt.

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Man muss es freilich nicht ganz so theoretisch ausdrücken, sondern könnte auch ganz einfach sagen: Sparen hat keine Lobby. Geld ausgeben schon. „Es gibt starke Interessengruppen, die von steigenden Ausgaben profitieren, etwa im Gesundheitswesen. Diese Lobbyisten versuchen alles, um Kürzungen zu verhindern“, sagt Ökonom Heinemann. Auch der Verwaltungsapparat habe „ein Eigeninteresse an steigenden Etats“. In der ökonomischen Bürokratietheorie sieht die Nutzenfunktion des Beamten nämlich so aus: Er will ein großes Budget, weil das seine Reputation und Vergütung erhöht. Die Staatsdiener sind gegenüber der Politik nicht nur deshalb in einer guten Position, weil in den Parlamenten überproportional viele Vertreter des öffentlichen Dienstes sitzen. „Entscheidend ist, dass die Politik bei der Vorbereitung jedes Gesetzes auf ihre Beamten angewiesen ist. Und gegen den Widerstand des Apparats lässt sich keine Konsolidierung durchsetzen“, sagt Heinemann.

Bei der Frage, warum Staatsausgaben steigen, geht es indes nicht nur um den Zentralstaat, sondern auch um die untergeordneten Gebietskörperschaften. Der Lübecker Wissenschaftler Arnold Brecht wies bereits in der Weimarer Zeit eine Korrelation zwischen Bevölkerungsdichte und staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben nach – etwa weil Löhne, Mieten und Preise in dicht besiedelten Gebieten höher liegen als auf dem Land. Ökonomen der FU Berlin stießen zudem auf ein interessantes Phänomen auf kommunaler Ebene: Ausgabenwut ist ansteckend. Mithilfe von Regressionsanalysen untersuchten die Forscher am Beispiel Bayerns und Nordrhein-Westfalens, ob sich das Schuldenniveau einer Gemeinde verändert, wenn sich eine Nachbarkommune Dinge leistet, für die sie eigentlich kein Geld hat, etwa ein neues Schwimmbad. Ergebnis: In NRW stiegen die kreditfinanzierten Ausgaben einer Gemeinde um 16,30 Euro pro Kopf, wenn spendable Nachbarn ihre Schulden um 100 Euro pro Kopf erhöhten, in Bayern gab es sogar ein Plus von 32,70 Euro.

Wie aber lässt sich die Ausgabenspirale durchbrechen? ZEW-Mann Heinemann hätte da eine Idee: „Wir sollten mehr Schweiz wagen.“ Dort müssen die Kantone ihren Bürgern vorrechnen, wie sich staatliche Wohltaten auf die Steuerlast auswirken.

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