Öffentlicher Haushalt Warum die Politik immer mehr Geld ausgibt

In diesem Jahr wird der Bund so viel Geld ausgeben wie nie zuvor, 2018 sogar noch mehr. Warum wachsende Staatsausgaben eine Art Naturgesetz sind und Sparen keine Lobby hat – Geld ausgeben aber schon.

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Öffentlicher Haushalt: Ausgaben wachsen. Quelle: Getty Images

Diese Wahlprognose ist sicher: Der 24. September 2017 kommt Steuerzahler teuer zu stehen. Denn egal, welche Partei die Bundestagswahl gewinnt: Sie muss anschließend viel Geld ausgeben, um ihre Versprechen einzulösen. CDU und CSU ziehen unter anderem mit dem Angebot eines Baukindergelds in den Wahlkampf; danach erhalten Häuslebauer zehn Jahre lang 1200 Euro pro Kind und Jahr. Die SPD hat sich ein Familiengeld von 300 Euro pro Monat einfallen lassen, das der Staat berufstätigen Eltern zwei Jahre überweist. Die Grünen versprechen Studenten die „automatische“ Erhöhung des Bafög. Die Linkspartei will Hartz IV durch eine Mindestsicherung von 1050 Euro ersetzen und den Rentenwert Ost „sofort“ und „steuerfinanziert“ an das Westniveau angleichen.

Mit ihren Plänen bedienen die Parteien dabei nicht nur ihre Stammkundschaft, sondern buhlen auch um Nichtwähler. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass Nichtwähler im Schnitt ein niedrigeres Haushaltseinkommen als Parteigänger haben. Sie dürften für monetäre Angebote der Politik besonders offen sein. Anhängern des schlanken Staats wird es da ganz schummrig. „Die langfristigen Risiken für die Staatsfinanzen scheinen im Bundestagswahlkampf keine größere Rolle zu spielen“, heißt es in einer Analyse der Deutschen Bank.

Dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) derzeit keine neuen Schulden macht, liegt vor allem an den hohen Einnahmen. Die Ausgaben steigen derweil munter weiter. 329,1 Milliarden Euro will der Bund in diesem Jahr verbrauchen, gut 3,8 Prozent mehr als 2016 – der höchste Wert der Nachkriegsgeschichte. Und in den kommenden Jahren sattelt Schäuble weiter drauf: 2020 werden die Ausgaben des Bundes fast 350 Milliarden Euro erreichen.

Wo der Staat sparen könnte
Platz 10: Computerspielesammlung Quelle: dpa
Platz 9: Kupferbergbau in Chile Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 8: Kostenlose Sprachkurse Quelle: dpa
Platz 7: Konfliktärmeres Fahrradfahren Quelle: dpa
Platz 6: Markenfleisch von Edeka Quelle: dpa
Platz 5: Grüne Moscheen in Marokko Quelle: dpa
Platz 4: Internationale Fernsehserien Quelle: dpa

Damit bestätigt sich einmal mehr, was der deutsche Ökonom Adolph Wagner schon Ende des 19. Jahrhunderts anhand empirischer Studien herausgefunden hatte. Nach seinem „Gesetz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen und speziell der Staatstätigkeit“ erhöhen sich in einer prosperierenden Volkswirtschaft quasi als Naturgesetz die Staatsausgaben – sowohl absolut als auch relativ zum Bruttosozialprodukt. Wagner erklärt dies mit einem wachsenden Finanzbedarf für zwei zentrale Staatszwecke. Da ist zum einen der „Rechts- und Machtzweck“. In einer prosperierenden Volkswirtschaft nehme der Regelungsbedarf zu, da Wirtschaft und Gesellschaft immer komplexer und arbeitsteiliger werden, so Wagner. Dadurch müssen mehr Ressourcen für Verwaltung, Polizei und Justiz bereitgestellt werden. Einen noch stärkeren Einfluss habe der „Cultur- und Wohlfahrtszweck“: Die mit zunehmendem Wohlstand erfüllten privaten Grundbedürfnisse der Bürger, etwa Kleidung und Nahrung, verlieren an Bedeutung gegenüber „superioren“ öffentlichen Gütern wie Bildung, Sicherheit und Infrastruktur. „In wachsenden Volkswirtschaften ändern sich die Präferenzen. Die Nachfrage nach staatlichen Angeboten wie einem Stadtpark oder einem tollen Kulturangebot steigt umso stärker, je weniger materielle Sorgen die Bürger haben“, erklärt Friedrich Heinemann, Finanzwissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Wagners Theorie ist im Laufe der Jahrzehnte von anderen Ökonomen verfeinert worden. Alan Peacock und Jack Wiseman etwa setzten sich mit der Kritik auseinander, dass Wagners Gesetz keine Budgetsprünge erkläre. Die beiden Briten identifizierten bei ihren Studien einen „displacement effect“. Danach steigen in Krisenzeiten die Staatsausgaben überproportional an, weil unter angespannten Bedingungen Steuerwiderstände geringer sind. Nach der Krise sinken die Ausgaben allerdings nicht wieder auf das alte Niveau – weil die Bürger sich an höhere Staatsleistungen und höhere Abgabenlasten gewöhnt haben.

Ungebremst nach oben: Ausgaben des Bundes. (Zum Vergrößern bitte anklicken)
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