Ökonom Daniel Stelter warnt "Es wird zu einer Korrektur der Vermögenswerte kommen"

Der Ökonom und Autor Daniel Stelter glaubt nicht, dass die Reichen immer reicher werden. Wer das behaupte, übersehe die ebenfalls gewachsenen Schulden.

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Daniel Stelter, Gründer des Thinktanks

WirtschaftsWoche: Herr Stelter, der französische Volkswirt Thomas Piketty hat mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ überraschend einen Bestseller geschrieben, der weltweit enorme Beachtung auch unter Fachleuten findet. Sie haben nun darauf eine Replik, „Die Schulden im 21. Jahrhundert“ geschrieben. Für alle Leser, die Pikettys Werk nicht kennen: Was steht drin?

Stelter: Piketty kritisiert im Wesentlichen, dass sich die Konzentration der Volksvermögen in fast allen Industrieländern historischen Höchstwerten nähere. Dies sei schädlich, da es die Nachfrage hemme. Klar - ein Milliardär kann nur einmal am Tag zu Mittag essen, und wer wenig hat, konsumiert sofort, wenn man ihm mehr gibt. Vor allem aber, so Piketty, habe eine solche einseitige Vermögenskonzentration in früheren Fällen immer zu schweren Krisen und mitunter blutigen Umstürzen geführt. Dabei wurden dann die Verhältnisse wieder etwas ausgeglichener gestaltet. Deswegen müsse man nun gegensteuern, so Piketty, vor allem durch höhere Steuern für Reiche.

Zur Person

In Ihrer Replik brandmarken Sie Teile seiner Arbeit als unvollständig und einseitig, was genau missfällt Ihnen?

Zunächst ist Pikettys Werk ein wichtiger Diskussionsbeitrag. Seine Daten sind glaubhaft. Und allein, sie zu sammeln und aufzubereiten, ist eine enorme Fleißaufgabe, die Respekt verdient. Es sind Millionen von Daten, die bisher so nicht zugänglich waren. Ich glaube aber außerdem, dass Piketty einigen Politikern, die weit höhere Abgaben für große Vermögen und hohe Einkommen fordern, mit seinen Daten Munition und Argumente liefert, und dass er daher die politische Diskussion in den kommenden Jahren viel nachhaltiger prägen wird, als es seinen Widersachern recht ist. Und ich bin mir nicht sehr sicher, ob da immer die richtigen Schritte unternommen werden.

Welche Daten meinen Sie?

Daniel Stelters neues Buch

Aus alten Pachtverträgen, Grundbüchern, Schuldscheinen und ähnlichem hat Piketty die durchschnittlichen Kapitalrenditen, Vermögen  und Volkseinkommen seit 1700 ermittelt. Vor allem für Frankreich und Großbritannien, weil dort die Datenlage besser war als in Deutschland, das mehr Umbrüche zu überstehen hatte. Aber die Kernaussage, dass die Vermögen meist 450 bis 700 Prozent eines jährlichen Volkseinkommens ausmachen, und dass wir seit etwa 30 Jahren wieder in Richtung oberes Ende der Bandbreite unterwegs sind, trifft, soweit ich das beurteilen kann, für alle Industrieländer zu. Für Schweden und Norwegen etwas weniger, für die USA etwas mehr, aber sie ist in der Tendenz nicht falsch. Dass die Vermögen in den Industrieländern also schneller wachsen als die Volkseinkommen, stimmt zunächst. Auch die von Piketty beobachtete Spreizung – also immer mehr Vermögen in den Händen von immer weniger Menschen – ist nicht widerlegbar.

Was missfällt Ihnen dann an seinem Werk?

Zunächst macht Piketty einen Denkfehler: Er geht einfach davon aus, dass die Vermögen der Reichen in den nächsten Jahrzehnten so stark weiterwachsen werden wie seit 1970, und dass wir daher schon bald die historischen Höchstwerte bei den Vermögen in Relation zur Wirtschaftsleistung von vor dem Ersten Weltkrieg sehen werden. Damals betrugen die Vermögen in Europa rund 700 Prozent der Wirtschaftsleistung, in den USA, einer jüngeren Gesellschaft, rund 500 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, BIP. Im Krieg verloren viele Vermögen stark und die Löhne stiegen danach, weil Arbeitskräfte knapp waren,  also ging das Verhältnis der Vermögen zum BIP zurück auf rund 450 Prozent. Heute liegt es je nach Land aber bereits wieder bei rund 550 bis 600 Prozent.

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