Piketty sagt nun, wir gingen wieder in Richtung 700 Prozent und ab da werde es für den sozialen Frieden gefährlich...
Ja, er trifft eine Punktprognose, indem er die Entwicklung der vergangenen Jahre einfach fortschreibt. Er hätte aber mit Szenarien arbeiten sollen, denn so klar ist das nicht.
Warum sollte sich dieser Trend nicht fortsetzen?
Piketty hat für die letzten 300 Jahre eine durchschnittliche Kapitalrendite real, also nach Abzug der Inflation, von jährlich 5 bis 6 Prozent ausgerechnet, seit 1945 gar von acht Prozent. Die setzt er auch weiter an. Aber dieser Wert wird in den nächsten Jahren nie und nimmer zu schaffen sein. Die Zinsen sind auf Jahre hinaus unten, die Notenbanken können sie gar nicht erhöhen, weil es dann sofort zu Banken - und Staatspleiten käme; und die Sachwertpreise, also die von Immobilien, zum Teil auch Aktien, sind enorm aufgebläht, können also auch nicht mehr ewig steigen. Investoren können froh sein, wenn sie in den kommenden Jahren eine Rendite von zwei Prozent - vor Steuern - erwirtschaften.
Also sollten sie froh sein, wenn sie ihre bestehenden Vermögen erhalten?
Ja. Wirtschaftswachstum setzt sich zusammen aus Bevölkerungswachstum und Produktivitätsfortschritten. Beides haben wir in den Industrieländern kaum noch, und auch in den meisten Schwellenländern schwächen sich die beiden Größen schon ab. Das begrenzt das Wirtschaftswachstum. Vermögen können aber nicht dauerhaft immer schneller wachsen als die Wirtschaft. Läge die Kapitalrendite wirklich dauerhaft über dem Wachstum der Wirtschaft, müsste die Gewinnquote ja auf 100 Prozent des BIP steigen. Das geht nicht.
Aber Piketty belegt in seinem Buch, dass die Vermögen schneller steigen als das Wirtschaftswachstum.
Ja, er belegt es ex post. Aber er übersieht dabei völlig, dass ein Großteil des Vermögenswachstums der vergangenen 30 bis 40 Jahre die Kehrseite des ebenfalls extremen Schuldenwachstums ist. Die Quote der Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist in den meisten Industrieländern seit 1970 fast parallel zur Quote der Vermögen zum BIP gewachsen, das Vermögenswachstum oberhalb des Wirtschaftswachstums ist also auf Pump passiert. Für Piketty sind Schulden neutral. Von den Bruttovermögen zieht er die Schulden ab, um zum Nettovermögen zu kommen. Doch Schulden beeinflussen den Wert der Vermögen jenseits dieser einfach Subtraktion. Ohne die Möglichkeit Schulden zu machen, läge die Wirtschaftsleistung und die Preise der Vermögenswerte tiefer. 500 minus 200 sind dann nicht 300 wie Piketty annimmt, sondern vielleicht nur 200.