Ökonomen-Entwarnung Keine Angst vor Inflation

Die meisten Arbeitnehmer in Deutschland dürften sich darüber ärgern, dass ihr Lohnplus in diesem Jahr von der Inflation komplett aufgezehrt wurde. Doch Ökonomen geben Entwarnung. Denn ganz so schlimm ist die Lage nicht.

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Euro-Münzen in einem Geldbeutel: Trotz Steigerungen der Tariflöhne haben die deutschen Arbeitnehmer unter dem Strich nicht mehr Geld in der Tasche. Quelle: dpa

Berlin Führende Ökonomen erwarten als Reaktion auf die Inflation eine deutliche Steigerung der Tariflöhne in Deutschland. „Die Ära sehr zurückhaltender Lohnabschlüsse ist ohnehin vorüber. Schließlich ist die Zahl der Arbeitslosen in den zurückliegenden Jahren deutlich gefallen, in einigen Branchen und Regionen sind Fachkräfte knapp geworden, viele Politiker fordern höhere Lohnsteigerungen“, sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, Handelsblatt Online. „All das erhöht die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften.“ Die Tariflöhne dürften nach Krämers Einschätzung in diesem Jahr um 3,0 Prozent zunehmen und die Inflation von schätzungsweise 1,6 Prozent deutlich übertreffen.

Von einer positiven Lohnentwicklung geht auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, aus. „Im weiteren Jahresverlauf dürften die Gehälter  wieder stärker  zunehmen, so dass im  Jahresdurchschnitt ein reales Plus von etwa 1 Prozent herauskommt“, sagte Horn Handelsblatt Online. Dies sei auch nötig, um die Binnennachfrage, darunter insbesondere den privaten Verbrauch zu stimulieren. „Nur so ist wegen der außenwirtschaftlichen Belastungen durch die Krise im Euro-Raum eine Stagnation in Deutschland vermeidbar.“

Hintergrund ist, dass die Kaufkraft der deutschen Arbeitnehmer dieses Jahr womöglich erstmals seit der Weltwirtschaftskrise 2009 nicht mehr zunehmen wird. Das legen Daten des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden nahe, die am Dienstag veröffentlicht wurden. Die Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen stiegen demnach von April bis Juni zwar um 1,5 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Allerdings erhöhten sich die Verbraucherpreise in diesem Zeitraum genauso stark, so dass die Lohnerhöhungen komplett von der Inflation aufgezehrt wurden. Im ersten Quartal waren die Reallöhne mit 0,1 Prozent erstmals seit Ende 2009 wieder geschrumpft.

Commerzbank-Chefökonom Krämer wandte allerdings ein, dass die Zahl für das zweite Quartal die Entwicklung der Reallöhne unterzeichne. „Denn rechnet man die schwankungsanfälligen Sonderzahlungen heraus, ergibt sich für die Reallöhne im zweiten Quartal ein Plus von 0,4 Prozent“, sagte er.


Sondereffekte belasten die Statstik

IMK-Chef Horn sprach von einer Momentaufnahme, die durch die Abschlussdaten von Tarifverträgen  2012 geprägt sei. Der Wegfall von Einmalzahlungen im Vergleich zum Vorjahr spiele eine Rolle. Zudem würden wieder mehr Arbeitsstunden geleistet, was den Stundenlohn drückt. „Auch der Stillstand bei den Lohnverhandlungen im Einzelhandel, der viele Beschäftigte aufweist, belastet das Ergebnis“, erläuterte Horn.

Nach Ansicht des Chefvolkswirts der Dekabank, Ulrich Kater, stehen Zahlen der Statistiker im Kontrast zu den Tariflohnsteigerungen, die über 2 Prozent liegen. Halbjährliche Diskrepanzen zwischen Tariflöhnen und gemessenen Bruttoeinkommen seien allerdings häufiger der Fall, im Allgemeinen glichen sich diese Werte jedoch an, sagte Kater Handelsblatt Online. „Insgesamt spricht das Ergebnis nicht gegen den Trend moderat steigender Reallöhne in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern der Euro-Zone“, fügte der Volkswirt hinzu.

Der Lohn-Experte des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts, Reinhard Bispinck, geht indes davon aus, dass die Reallöhne in diesem Jahr stagnieren, sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen. "Das ist problematisch, wenn das Wachstum stärker durch den privaten Konsum getragen werden soll." Dieser hat die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr bisher vor einer Rezession bewahrt, während Exporte und Investitionen schwächelten.

Den vergleichsweise geringen Lohnanstieg im Frühjahr führten die Statistiker auf niedrigere Sonderzahlungen zurück. Die Unternehmen dürften wegen der schwächelnden Konjunktur zurückhaltend mit Prämien und Boni gewesen sein. Die deutsche Wirtschaft wird nach Prognose des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in diesem Jahr nur um rund 0,5 Prozent wachsen. "Auch das Arbeitszeitvolumen dürfte gesunken sein, weil weniger Überstunden gemacht wurden und auch die Kurzarbeit leicht zugenommen hat", so Bispinck.


Banker kassieren am meisten

Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer verdiente im zweiten Quartal ohne Sonderzahlungen durchschnittlich 3447 Euro brutto im Monat. Am meisten verdienten sie bei Banken und Versicherungen (4535 Euro), in der Energieversorgung (4522 Euro) sowie im Bereich Information und Kommunikation (4485 Euro). Das wenigste Geld bekamen Beschäftigte im Gastgewerbe mit 2013 Euro.

Die Bruttomonatsverdienste der geringfügig Beschäftigten stiegen mit 5,7 Prozent besonders deutlich, nachdem die Grenze am Jahresbeginn von 400 auf 450 Euro angehoben wurde. Die Löhne der Vollzeitkräfte kletterten dagegen nur um 1,2 Prozent, die der Teilzeitbeschäftigten um 2,6 Prozent.

Der Frankfurter Ökonom Thorsten Polleit führt die niedrigen nominalen Lohnzuwächse darauf zurück, dass das Arbeitsangebot zugenommen hat. Das deckle das Ansteigen der Löhne“, sagte der Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance and Management Handelsblatt Online. Die Entwicklung habe aber auch einen positiven Effekt: „Die geringen nominalen und realen Lohnzuwächse machen es möglich, dass immer mehr Menschen in Lohn und Brot stehen.“ Diese Tendenz nach Polleits Einschätzung anhalten, vor allem auch durch den Zugang von Arbeitnehmern, die aus den Euro-Peripherie-Ländern auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen.

Gleichwohl hält auch Polleit einen Lohnanstieg in der Zukunft für möglich – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. „Die Löhne können langfristig nur steigen, wenn die Kapitalinvestitionen pro Kopf ansteigen“, sagte er.

Dazu sei ein verbessertes Investitionsklima unbedingt erforderlich. Steuersenkungen für Unternehmen, eine verminderte Regulierung und der Abbau bürokratischer Hemmnisse wären dabei hilfreich. Zugleich sei eine Geldpolitik der niedrigen Inflation unabdingbar. „Die Geldmengenausweitung muss im Zaume gehalten werden“, sagte Polleit..

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