Ökonomentagung in Lindau Nobelpreisträger Joseph Stiglitz auf Irrwegen

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Fragwürdige Empfehlungen

Mindestens ebenso fragwürdig sind seine Empfehlungen zur Handelspolitik. In den derzeitigen Verhandlungen der EU mit den USA über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sieht er eine gefährliche Ersatzhandlung für staatliche Konjunkturprogramme. "Weil die Regierungen in Europa und den USA Konjunkturprogramme ablehnen, versuchen sie die Wirtschaft nun über Handelserleichterungen zu stimulieren", urteilt Stiglitz. Das aber werde nicht gelingen. Denn die meisten Zölle seien bereits stark gesunken, daher sei das Potenzial für zusätzliche Stimuli gering.

Bei TTIP gehe es vor allem darum, Regulierungen und Vorschriften, die den Außenhandel bremsen, abzubauen. Das sei jedoch gefährlich, weil diese Regeln dem Schutz der Bürger dienten. "Werden die Regeln beseitigt, dient das allein den Unternehmen, nicht aber den Verbrauchern", warnte Stiglitz. Das gelte auch für die Investitionsschutzabkommen, mit denen die Unternehmen die nationalen Vorschriften im Zielland ihrer Exporte und Direktinvestitionen außer Kraft setzen könnten.

Bei den Globalisierungskritikern von Attack, die vor dem Konferenzgebäude in Lindau ihre Plakate ausgerollt hatten, mag Stiglitz mit seinen Äußerungen auf offene Ohren treffen. Überzeugen aber können seine Thesen nicht. Wie kommt er nur auf die Idee, dass der Staat die Bürger in einer Marktwirtschaft vor den Unternehmen schützen muss? Aufgabe und Ziel von Unternehmen ist es, Gewinne zu erzielen. Das können sie nur, wenn ihre Produkte und Dienstleistungen den Wünschen der Kunden entsprechen.

Jubelt ein Unternehmen seinen Kunden minderwertige Waren unter, bricht der Umsatz ein und es verschwindet vom Markt. So dient die Gewinnorientierung der Betriebe letztlich auch den Kunden. Staatlicher Fürsorge bedürfen diese nicht, wissen sie doch selbst besser als die Politiker in Brüssel und Washington, was gut für sie ist und was nicht.

Auch die Angst vor den Investitionsschutzabkommen, die Stiglitz schürt, entbehrt jeder Grundlage. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass die Gefahr nicht von den Unternehmen für den Staat, sondern vom Staat für die Unternehmen ausgeht. Nicht ohne Grund haben die Industrieländer mit vielen Schwellenländen Investitionsschutzabkommen vereinbart, um Firmen vor staatlicher Willkür und Enteignung in den Zielländern ihrer Exporte zu schützen. Diese Gefahr ist weiterhin akut.

Staaten, die als regionale Rechtsmonopolisten keine konkurrierende Rechtsprechung durch unabhängige Schiedsgerichte dulden, stellen eine latente Bedrohung für Unternehmen dar, weil sie die Macht haben, diese jederzeit zu enteignen oder in ihrer Freiheit anderweitig einzuschränken. Wettbewerb in der Rechtsprechung ist für Unternehmen daher ein Gewinn an Freiheit und Eigentumssicherheit.
Es ist schade, dass ein so prominenter Ökonom wie Stiglitz sich an die Spitze der Globalisierungs- und Marktkritiker stellt - und durch das mediale Trommelfeuer den Eindruck erweckt, als stünde die gesamte Ökonomenzunft hinter seinen fragwürdigen Thesen.

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