Protektionismus-Debatte Was Wissenschaftler von "fairen" Zöllen halten

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Erfolgsbeispiele für Protektionismus fehlen

Zurück ging diese Politik auf Alexander Hamilton, einen der Verfassungsväter der USA. In seinem „Report on the Subject of Manufacture“ hatte Hamilton 1791 dargelegt, wie ein wirtschaftlicher Aufstieg mit den Mitteln der Handelspolitik gelingen könne. Kern seiner Argumentation waren „infant manufactures“, also Wirtschaftszweige, die zwar eine hohe Innovationskraft besaßen, aber noch keine mächtigen Konzerne hervorgebracht hatten. Diese solle der Staat durch hohe Zölle schützen, bis sie am Weltmarkt bestehen könnten.

List baute diese Leitsätze zu einem dreistufigen Modell aus. Staaten durchlaufen demnach Entwicklungsstufen. Auf der untersten Stufe steht der Agrarstaat ohne eigene Industrie. Für diesen ist es zunächst attraktiv, sich auf freien Handel mit entwickelten Nationen einzulassen. So findet er Absatzmärkte für seine Waren und kann selbst Maschinen importieren, um die Produktion effizienter zu gestalten. Sobald im Land genügend Kapital und Wissen vorhanden ist, ist es aus Sicht Lists jedoch notwendig, ein System von Schutzzöllen zu entwickeln, das den Aufbau eigener Industrien ermöglicht.

List sieht dabei klare Grenzen für seine Erziehungszölle: „Das zweckmäßige Schutzsystem gewährt den inländischen Manufakturisten kein Monopol, sondern nur denjenigen Individuen eine Garantie gegen Verluste, die ihre Kapitalien neuen, noch unbekannten Industrien widmen.“ Hat er erfolgreich neue Industrien aufgebaut, sich zur Handelsmacht entwickelt, so List, müsse der Staat gegensteuern und zum Freihandel zurückkehren. Andernfalls würden die Produzenten träge. „Indem man nur zu erhalten, nicht aber zu erwerben strebt, geht man zugrunde“, so Lists Lob der Konkurrenz: „Jede Nation, die nicht vorwärts schreitet, sinkt tiefer und muss zuletzt versinken.“

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Aus Lists Feder klingen die Argumente für den Protektionismus überzeugender als in der Fox-News-Sprache von Donald Trump. Was seiner Theorie jedoch fehlt, sind Erfolgsbeispiele aus der ökonomischen Praxis. Selbst die USA, Lists Ursprungsbeispiel, passen nicht so recht in seine Theorie. Zwar gab es in den USA im 19. Jahrhundert viele „infant industries“ im Sinne Hamiltons, auch war die Wirtschaft zu dieser Zeit landwirtschaftlich geprägt. Eines jedoch unterschlägt List: die schon im 19. Jahrhundert immense geopolitische Macht der USA. Für den Erfolg der wirtschaftspolitischen Abschottung aber ist die ist. Das zeigt auch China, das jüngste Beispiel für zumindest im ersten Schritt erfolgreiche protektionistische Maßnahmen.

Nur wer eine entsprechende Macht und einen ähnlich großen Heimatmarkt hat, kann sich in der Realität Schutzzölle erlauben und im Gegenzug Marktzugang bieten. Wenn sich hingegen, wie es List vorschwebte, ein kleines Land auf Schutzzölle verlegt, steht es der dominierenden Konkurrenzmacht jederzeit offen, mit eigenen Zölle oder Dumpingmaßnahmen zu reagieren. Hinzu kommt stets ein grundsätzliches Anreizproblem: Protektionsmus führt dazu, dass Unternehmen ihre Entscheidungen nicht mehr allein am Markt orientieren. Sobald sich der regulierte Markt öffnet, treten diese Fehlallokationen offen zutage.

Im Übrigen hatte List wohl recht, als er Großbritannien, der Weltmacht seiner Zeit, vorwarf, das Argument des Freihandels vor allem als Ausrede zu missbrauchen. „Die wahre Politik Englands soll durch die von Adam Smith erfundenen kosmopolitischen Redensarten verdeckt werden, um fremde Nationen abzuhalten, diese Politik nachzuahmen“, schrieb er in seinem Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie“. Bei ihrem Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht hatten die Briten sich nämlich ebenso unverhohlen protektionistischer Maßnahmen bedient, wie sie es zu Zeiten Lists dann den Amerikanern vorwarfen. „Fair“ war das sicher nicht.

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