Rana Foroohar "Die Wall Street dominiert unser Leben"

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"Die Ausgaben sind zu 99 Prozent kreditfinanziert"

Sehr zur Freude der Finanzindustrie.
Die Verschuldung der Privathaushalte hat seit 2008 massiv zugenommen. Inzwischen haben die US-Amerikaner mehr als doppelt so hohe Schulden als noch 1980. Die Banken verdienen prächtig. Zumal die Kreditzinsen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind – während sich die Leitzinsen gen Null bewegt haben. Noch ein Beispiel im Übrigen, dass die Märkte nicht so effizient sind, wie uns die Branche vorgaukelt.

Warum regt sich so wenig Widerstand? Immer mehr Menschen sind frustriert und wenden sich vom System ab. Massendemonstrationen aber gibt es keine. Die Protestbewegung Occupy Wall Street ist längst verschwunden, von größerer Unruhe nichts zu sehen.
Wir haben in den USA jahrzehntelange eine Rassen-, nicht wie in Europa eine Klassendiskussion geführt. Ungleichheit haben wir auf die Hautfarbe zurückgeführt, nicht auf das Wirtschaftssystem. In weiten Teilen ist das noch heute so. Deswegen hat es auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders so schwer, Minderheiten anzusprechen. Er übt Systemkritik, während Afroamerikaner und Hispanics ihre schlechten Jobchancen und mangelnden Lohnzuwächse überwiegend auf ihre Hautfarbe zurückführen.

Dennoch punkten die Protestkandidaten: Donald Trump hat sich bei den Republikanern durchgesetzt, Bernie Sanders ist ein stärkerer Konkurrent von Hillary Clinton, als alle Beobachter gedacht haben.
Der Frust ist groß, und in diesem Umfeld punkten Populisten. Dennoch ist das was, wir in diesem Wahlkampf erleben, Kindergarten im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, wenn der nächste US-Präsident nichts Grundlegendes ändert. Sollten die kommenden vier Jahre nicht genutzt werden, um den Weg in Richtung einer neuen Wirtschaftsordnung einzuschlagen, erwarte ich französische Verhältnisse. Sprich: Eine Radikalisierung der politischen Diskussion, die bei Weitem über das hinausgeht, was ein Donald Trump derzeit von sich gibt.

Wie könnte ein Wirtschaftsprogramm aussehen, das die Verhältnisse stabilisiert?
Die Politik muss Konzepte vorlegen, wie die USA auf globaler Ebene wettbewerbsfähig und die Jobs im Land bleiben können. Das gelingt nicht per Abschottung. Vielmehr müssen die kleinen und mittelständischen Betriebe unterstützt werden. Der erste Schritt dahin: Die Wall Street muss wieder der Main Street dienen. In den vergangenen Jahren hat die Finanzindustrie ihre eigentliche Funktion – die Unterstützung der Realwirtschaft mit Expertise und Krediten – nicht wahrgenommen. Die Hälfte aller kleinen Unternehmen konnte nicht wie gewünscht Geld aufnehmen. Die Folge: Fast ein Drittel der Firmen musste seine Ausbau- und Expansionspläne hinten anstellen.

Also brauchen wir doch eine Aufspaltung der Banken in Investment- und Geschäftsbanken.
Ja, ich halte diesen Schritt für notwendig. Die Institute müssen die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten gewährleisten, entsprechende Bonität immer vorausgesetzt. Nur so entstehen Jobs. In den vergangenen Jahren aber haben sich die Banken zu sehr auf das Zocken fokussiert. Das können Investmentbanken gerne machen. Aber auf eigene Kosten , transparent für Politik und Gesellschaft – und entsprechend besteuert.

Die Aufspaltung der Banken ist aber nur ein Aspekt von vielen.
Ja. Wir brauchen einen Mentalitätswandel. Durch die Aufspaltung der Banken werden einige der Institute zu einer neuen Ausrichtung gezwungen. Darüber hinaus brauchen wir eine kritischere Ausbildung an Schulen und Universitäten, insbesondere in den Wirtschafts-Fächern. Schließlich werden dort die Manager von Morgen ausgebildet. Und nicht zuletzt brauchen wir ein Steuersystem, das Arbeit mehr wertschätzt als Spekulation – und folglich Kapitalerträge höher besteuert als Lohn oder Gehalt.

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