Rana Foroohar "Die Wall Street dominiert unser Leben"

Die 25 erfolgreichsten Hedgefonds-Manager verdienen heute mehr als alle Kindergärtner der USA zusammen. US-Autorin Rana Foroohar beklagt: Die Finanzbranche hat trotz der Krise nichts dazu gelernt, die Regulierer haben versagt.

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New York Wall Street: Das Leben mit dem Geld. Quelle: Bloomberg

Wirtschaftswoche: Frau Foroohar, Kritik an der Wall Street ist seit Jahren in Mode, auch Hillary Clinton und Donald Trump wollen die Finanzindustrie zügeln. Kommen Sie mit Ihrer Kritik zu spät?
Rana Foroohar: Ich wünschte, es wäre so. Der öffentliche Druck auf die Wall Street hat seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 zugenommen, ja. Aber am System hat sich nichts geändert. Die Banken und Schatteninstitute sind heute größer denn je. Wenn ich mir anhöre, was die Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf vorschlagen, dann fürchte ich, dass sich an den Missständen zeitnah auch nichts ändern wird. Das große Ganze wird einfach nicht erkannt.

Was verkennen die Wahlkämpfer?
Dass die Wall Street nicht nur das Wirtschaftsleben bestimmt, sondern nahezu alle Bereiche unseres Lebens. Eine Branche, die gerade mal vier Prozent aller Jobs in den USA stellt und sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, ist allgegenwärtig und dominiert inzwischen unser Denken und Handeln. Wir haben sowohl die Sprache als auch die Mentalität der Finanzindustrie übernommen.

Rana Foroohar

Wann spreche ich Wall-Street-Deutsch?
Wenn Sie Worte wie „Optimierung“, „Humankapital“, oder „Gesundschrumpfen“ in den Mund nehmen. Oder auch, wenn Sie vermeintliche Gesetzmäßigkeiten nicht infrage stellen und glauben, dass „der Markt“ die Dinge immer am besten regelt oder „der Markt“ alles weiß.

Aber die Marktwirtschaft hat doch zweifelsohne dazu geführt, dass die Menschen heute fundamental reicher sind als vor 100 Jahren.
Ich bin keine Anti-Kapitalistin. Ganz im Gegenteil. Ich glaube an die Marktwirtschaft – an die Regelungsfunktion von Angebot und Nachfrage, an das Leistungsprinzip. Doch diese wichtigen Grundlagen sind heute außer Kraft gesetzt. Es gibt diejenigen, die geben: Kleine und mittelständische Unternehmen und deren Angestellte, oder auch die große Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Und es gibt diejenigen, die nehmen. Investmentbanker und Großanleger. Die 25 erfolgreichsten Hedgefonds-Manager verdienen heute mehr als alle Kindergärtner in den USA zusammen.

Was die Menschen vom Kapitalismus halten

Spiegelt sich in dieser Zahl Marktversagen wider – oder nicht eher Politikversagen? Grund dieser Ungleichheit ist doch neben der mäßigen Bezahlung im Sozialbereich vor allem eine Steuerpolitik, die Kapitaleinkünfte im Vergleich zu Lohneinkünften bevorteilt.
Es stimmt schon: Ein Großteil, manchmal bis zu 80 Prozent des Einkommens, beziehen Investmentbanker, Spitzenmanager und Berater in Form von Aktienpaketen oder Optionen auf Vorzugsaktien. Und Gewinne aus Kapitaleinkünften werden in den USA mit maximal 20 Prozent besteuert. Geringe und mittlere Einkommen werden allerdings bereits mit 25 und 28 Prozent besteuert. Ein großer Fehler, der der Politik anzulasten ist. Die Finanzindustrie hat gleichzeitig ihre Regeln durchgesetzt und den Markt so manipuliert, dass Exzesse belohnt werden. Der Markt reguliert nicht mehr, er verzerrt. Bestes Beispiel sind die steigende Zahl der buybacks...

… also Aktienrückkäufe durch die Unternehmen…
... genau. Die werden vom Markt belohnt. Sobald ein Konzern ankündigt, eigene Aktien aufzukaufen, steigt dessen Kurs sprunghaft an. Dabei helfen die buybacks überhaupt nicht, die Wettbewerbsfähigkeit oder die Profite der Konzerne zu erhöhen. Im Gegenteil: Um die Rückkäufe zu finanzieren, muss woanders gespart werden. Meist werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung gekürzt. Die Finanzindustrie hat nahezu alle großen Unternehmen zu Zockern gemacht, von Öl-Multi ExxonMobil über Pharmakonzerne wie Valeant bis hin zu Apple.

Hörigkeit der Politik

Der Technologie-Konzern hat sich verschuldet, um die Aktienrückkäufe zu finanzieren.
Ein völlig absurder Vorgang. Apple hat sich 17 Milliarden US-Dollar am Markt geliehen, um seine buybacks zu tätigen. Dabei verfügt der Konzern über Barreserven in Höhe von rund 150 Milliarden Dollar. Nur: Das Geld liegt in Steueroasen. Würde Apple es in die USA zurückholen, müssten sie ordentlich Steuern zahlen. Das wollen sie nicht. Also verschulden sie sich lieber – obwohl der Technologiekonzern reich ist wie kaum ein zweites Unternehmen. Statt auf Nachhaltigkeit und auf Innovationen zu setzen, hat sich bei Apple die Wall-Street-Mentalität durchgesetzt. Und die Politik schaut zu.

Warum hören alle – vom mächtigen Apple-CEO Tim Cook bis zum US-Präsidenten Barack Obama – auf die Wall Street?


Es gibt drei Gründe: Zum einen profitiert die Elite. Die Spitzenmanager, die ja selbst große Aktienpakete ihres Unternehmens haben, verdienen gut mit. Die Politik wiederum bekommt hohe Wahlkampfspenden von der Wall Street. Selbst in diesem Wahlkampf – in dem die Finanzindustrie verbal attackiert wird – sind sechs der zehn größten Einzelspender Hedgefonds-Manager. Punkt drei: Der Glaube an die Kraft des Marktes ist so groß, dass Widerspruch unvernünftig erscheint. Und so holte sich bisher jeder US-Präsident Berater oder gar Minister ins Weiße Haus, um mit ihnen über vermeintliche Regulierungen zu sprechen. Das ist schon tragisch-komisch.

Sie schreiben in Ihrem Buch, wie ein ehemaliger Obama-Berater auf Nachfrage, wieso man bei der Ausarbeitung von Gesetzen zur Bankenregulierung auf Banker hört, irritiert reagierte.
Ich war 2013 mit ein paar Kollegen zu einem Hintergrundgespräch mit einem ehemaligen führenden Mitglied aus der Regierung eingeladen. Thema war die Bankenregulierung. Ich hatte kurz zuvor recherchiert, dass Besprechungen zu einem Gesetzesentwurf in diesem Bereich zu 93 Prozent mit Mitgliedern aus der Finanzindustrie stattgefunden haben.

Die wichtigsten Begriffe in der Kapitalismus-Debatte

Welch ein Irrsinn. Das kommentierte der Obama-Berater mit der Rückfrage: „Mit wem hätten wir denn sonst sprechen sollen?“ Es kam der Regierung offenbar gar nicht in den Sinn, Ökonomen, Verbraucherschützer oder Think Tanks zu konsultieren. In dem Moment wusste ich, dass ich das Buch „Makers & Takers“ schreiben musste.

Inzwischen bezeichnen sich nur noch 19 Prozent der US-Amerikaner zwischen 14 und 29 Jahren als Kapitalisten. Nur 42 Prozent von ihnen halten den Kapitalismus, jenes System, das die USA zum reichsten Land der Welt machten, für eine gute Idee. Dennoch spielen sie nach deren Regeln.
Leider haben wir in den USA – anders als etwa in Europa – über Jahrzehnte den Schein aufgebaut, dass Schulden völlig normal und per se nichts Schlechtes sind. Dass Verbindlichkeiten für Aufbruch stehen, für Investitionen in die Zukunft. Das mag bis zu einem gewissen Grad richtig sein, etwa wenn kleine und mittelständischen Unternehmen in ihre Fabriken investieren oder Privatpersonen Eigentum erwerben und etwa ein Haus kaufen. Leider neigen wir in den USA zu Extremen …

… und so sieht man an den Universitäten Studenten sitzen, die die teuersten Computer und Smartphones haben; so sind die Cafés und Restaurants in New York trotz immenser Preise immer voll und so feiert die Autoindustrie einen Absatzrekord nach dem anderen, obwohl die Löhne stagnieren. Wie machen die US-Konsumenten das?
Die Ausgaben sind zu 99 Prozent kreditfinanziert. Unsere Studenten sind maximal verschuldet, da hat sich eine riesige Blase gebildet. Die US-Amerikaner hantieren mit fünf oder sechs Kreditkarten, immer im Glauben, dass sie die Rechnungen eines Tages schon bezahlen können. Das neue Auto wird mit der zweiten oder dritten Hypothek auf das Haus finanziert. Und zum Autokauf lässt man sich noch 2000 oder 3000 Dollar Cash auszahlen.

"Die Ausgaben sind zu 99 Prozent kreditfinanziert"

Sehr zur Freude der Finanzindustrie.
Die Verschuldung der Privathaushalte hat seit 2008 massiv zugenommen. Inzwischen haben die US-Amerikaner mehr als doppelt so hohe Schulden als noch 1980. Die Banken verdienen prächtig. Zumal die Kreditzinsen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind – während sich die Leitzinsen gen Null bewegt haben. Noch ein Beispiel im Übrigen, dass die Märkte nicht so effizient sind, wie uns die Branche vorgaukelt.

Warum regt sich so wenig Widerstand? Immer mehr Menschen sind frustriert und wenden sich vom System ab. Massendemonstrationen aber gibt es keine. Die Protestbewegung Occupy Wall Street ist längst verschwunden, von größerer Unruhe nichts zu sehen.
Wir haben in den USA jahrzehntelange eine Rassen-, nicht wie in Europa eine Klassendiskussion geführt. Ungleichheit haben wir auf die Hautfarbe zurückgeführt, nicht auf das Wirtschaftssystem. In weiten Teilen ist das noch heute so. Deswegen hat es auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders so schwer, Minderheiten anzusprechen. Er übt Systemkritik, während Afroamerikaner und Hispanics ihre schlechten Jobchancen und mangelnden Lohnzuwächse überwiegend auf ihre Hautfarbe zurückführen.

Dennoch punkten die Protestkandidaten: Donald Trump hat sich bei den Republikanern durchgesetzt, Bernie Sanders ist ein stärkerer Konkurrent von Hillary Clinton, als alle Beobachter gedacht haben.
Der Frust ist groß, und in diesem Umfeld punkten Populisten. Dennoch ist das was, wir in diesem Wahlkampf erleben, Kindergarten im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, wenn der nächste US-Präsident nichts Grundlegendes ändert. Sollten die kommenden vier Jahre nicht genutzt werden, um den Weg in Richtung einer neuen Wirtschaftsordnung einzuschlagen, erwarte ich französische Verhältnisse. Sprich: Eine Radikalisierung der politischen Diskussion, die bei Weitem über das hinausgeht, was ein Donald Trump derzeit von sich gibt.

Wie könnte ein Wirtschaftsprogramm aussehen, das die Verhältnisse stabilisiert?
Die Politik muss Konzepte vorlegen, wie die USA auf globaler Ebene wettbewerbsfähig und die Jobs im Land bleiben können. Das gelingt nicht per Abschottung. Vielmehr müssen die kleinen und mittelständischen Betriebe unterstützt werden. Der erste Schritt dahin: Die Wall Street muss wieder der Main Street dienen. In den vergangenen Jahren hat die Finanzindustrie ihre eigentliche Funktion – die Unterstützung der Realwirtschaft mit Expertise und Krediten – nicht wahrgenommen. Die Hälfte aller kleinen Unternehmen konnte nicht wie gewünscht Geld aufnehmen. Die Folge: Fast ein Drittel der Firmen musste seine Ausbau- und Expansionspläne hinten anstellen.

Also brauchen wir doch eine Aufspaltung der Banken in Investment- und Geschäftsbanken.
Ja, ich halte diesen Schritt für notwendig. Die Institute müssen die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten gewährleisten, entsprechende Bonität immer vorausgesetzt. Nur so entstehen Jobs. In den vergangenen Jahren aber haben sich die Banken zu sehr auf das Zocken fokussiert. Das können Investmentbanken gerne machen. Aber auf eigene Kosten , transparent für Politik und Gesellschaft – und entsprechend besteuert.

Die Aufspaltung der Banken ist aber nur ein Aspekt von vielen.
Ja. Wir brauchen einen Mentalitätswandel. Durch die Aufspaltung der Banken werden einige der Institute zu einer neuen Ausrichtung gezwungen. Darüber hinaus brauchen wir eine kritischere Ausbildung an Schulen und Universitäten, insbesondere in den Wirtschafts-Fächern. Schließlich werden dort die Manager von Morgen ausgebildet. Und nicht zuletzt brauchen wir ein Steuersystem, das Arbeit mehr wertschätzt als Spekulation – und folglich Kapitalerträge höher besteuert als Lohn oder Gehalt.

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