Robert Solow Der Entdecker des Wachstums

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Genialer Geist und starker Mann

"Da die Wachstumsrate des technischen Wandels exogen gegeben ist, bestimmt sie und nur sie allein die stetige Wachstumsrate der Wirtschaft"

Der Soldat setzt nach seiner Rückkehr aus Europa das Studium fort – jetzt aber mit dem Schwerpunkt Ökonomie – „zufällig“, wie er später sagt. Sein Lehrer und Freund wird Wassily Leontief (1905–1999), der Erfinder der Input-Output-Rechnungen. Als dessen Assistenzprofessor lernt er, empirisch zu arbeiten, und berechnet Kapitalfaktoren für Leontiefs Modelle, welche das Zusammenspiel verschiedener Faktoren im Produktionsprozess beschreiben.

Der junge Ökonom beginnt sich intensiv mit Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnungen auseinanderzusetzen. Er heiratet und wechselt 1949 die Hochschule. Das MIT, wie Harvard in Cambridge bei Boston gelegen, wird zum Mittelpunkt seines professionellen Lebens. Solow sitzt in Zimmer 383 B, Wand an Wand mit seinem Lehrer Paul Samuelson (1915–2009). Für Solow ist das Forschen mit Samuelson „ein unschätzbar wichtiger Teil meines Berufslebens“. Ein Leben mit „nahezu täglichen Gesprächen über Ökonomie, Politik, unsere Kinder, Gott und die Welt“ beginnt, beschreibt er die Nachbarschaft mit dem Lehrbuchautor, der 1970 den Nobelpreis erhält.

Solow bleibt bis zur Emeritierung in dem winzigen Assistentenbüro, weil ihm die Nachbarschaft zu Samuelson so wichtig ist. Als Hobbysegler ist er es gewohnt, mit wenig Platz auszukommen. Außerdem kann er sich in seinem Assistenten-Kabuff viel ordentlicher und besser organisieren als der chaotische Samuelson, der sich in seinem großen Professorenbüro unter Bergen von Notizen vergräbt. „Samuelson war der geniale Geist des MIT, doch Solow der starke Mann. Durch ihn ist das MIT zum weltweit führenden Department für Ökonomie geworden“, sagt von Weizsäcker.

Interesse am Angebot

Und Solow revolutioniert das Fach. Er entwirft am MIT das Gegenmodell zu der in den Fünfzigerjahren modernen, keynesianisch orientierten Wachstumstheorie von Roy Harrod (1900–1978) und Evsey Domar (1914–1997): Die beiden Ökonomen konzentrierten sich vor allem auf die Nachfrageseite.

Solow analysiert dagegen die Angebotsseite. In seiner Welt ist das Verhältnis der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit flexibel. Allerdings darf nie auf einen Faktor vollkommen verzichtet werden. Solow unterstellt, dass jede zusätzliche Einheit Arbeit oder Kapital umso weniger Zusatzertrag bringt, je mehr davon schon eingesetzt ist.

Die erste Konsequenz daraus ist, dass die Modellwelt langfristig tatsächlich immer wieder in einen Gleichgewichtszustand strebt: Besteht etwa zeitweilig ein Überangebot an Arbeitskräften (ein Mangel an Kapital), so gerät zwar der Reallohn unter Druck. Andererseits aber wird es attraktiver, mehr Einkommen zu sparen und zusätzlich als Kapital einzusetzen – so lange, bis sich ein neues gesamtwirtschaftliches Optimalverhältnis eingependelt hat.

Das führt zu einem zweiten Ergebnis: Konjunkturprogramme, die Investitionen fördern und damit den Kapitaleinsatz erhöhen sollen, tragen nicht zu dem politisch erhofften langfristigen Wachstum der Volkswirtschaft bei, denn der langfristige Wachstumspfad lässt sich nicht durch bloße Erhöhung des Kapitaleinsatzes anheben – die Folge wären nur neuerliche Abweichungen vom Gleichgewicht. Als eigentliche Triebkraft für das Wachstum bleibt nur eine Verbesserung der Produktionstechnologie. Denn nur so wird es möglich, dass dieselbe Zahl an Arbeitskräften durch mehr Kapitaleinsatz tatsächlich auf Dauer ein höheres Gesamteinkommen erzielt.

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