Manche fühlen sich bei diesen Nachrichten an die Zeit kurz nach der Lehman-Pleite erinnert – und hoffen auf ein neues Konjunkturpaket: Als die Weltwirtschaft damals am Abgrund taumelte, pumpte Peking kurzerhand 500 Milliarden Euro in die Wirtschaft. Damals rettete der Stimulus die halbe Welt – und vor allem die deutsche Exportwirtschaft mit ihrem relativ starken China-Geschäft profitierte von der künstlich gesteigerten Nachfrage.
Das Wachstum hatte einen hohen Preis: Billiges Geld führte zu faulen Krediten, und die Inflation schoss in die Höhe. Preissteigerungen sind neben der Arbeitslosigkeit die zweite große Sorge der Regierenden in Peking. Steigt der Preis für Reis, Gemüse und Fleisch, wächst die Gefahr von Unruhe in der Bevölkerung. Mühsam gelang es Peking, die Inflation mit einer Hochzinspolitik wieder einzudämmen: Nach der Geldentwertung um 6,5 Prozent im Juli vergangenen Jahres liegt die Teuerungsrate heute bei 1,8 Prozent. Die Kreditzinsen derweil verharren bei sechs Prozent.
Spielraum für Interventionen
Der Spielraum für Interventionen ist damit wieder größer. Pekings Planer bedienen sich sowohl aus dem geld- wie auch aus dem fiskalpolitischen Instrumentenkasten, um die Krise in den Griff zu kriegen: Im Juni und Juli senkte die Bank of China zweimal in kurzer Abfolge den Leitzins. Dreimal wurde der Mindestreservesatz für Banken gesenkt, um den Markt mit Liquidität zu versorgen.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
China und Europa sind voneinander abhängig. Das Reich der Mitte wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer aufsteigen und damit die USA überholen. Umgekehrt ist die Europäische Union der größte Abnehmer chinesischer Ausfuhren. Beide Seiten handeln jeden Tag mit Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Nach einem Zuwachs von 37 Prozent 2010 stiegen die europäischen Ausfuhren nach China im vergangenen Jahr von Januar bis November um 21 Prozent auf 124 Milliarden Euro. Deutschland hat mit deutlichem Abstand und knapp der Hälfte der EU-Ausfuhren nach China den größten Anteil daran, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. 60 Prozent der EU-Ausfuhren waren Maschinen und Fahrzeuge.
Während die 27 EU-Länder im Jahr 2010 rund 19,8 Millionen Autos produzierten, waren es in China nicht viel weniger: rund 18,3 Fahrzeuge.
Die Importe aus China kletterten nach einem Anstieg von 31 Prozent 2010 im vergangenen Jahr bis November um weitere fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 244 Milliarden Euro. Seit Jahren gibt es ein großes europäisches Defizit im Handel mit China, das 2010 noch bei 168 Milliarden Euro lag. Aus diesem Überschuss sammelt China die Euros in seinen weltgrößten Devisenreserven im Wert von insgesamt 3,18 Billionen US-Dollar an. Rund ein Viertel sollen Euros sein.
Während die Leistungsbilanz der 27 EU-Länder im vergangenen Jahr bei minus 24 Milliarden Euro lag, konnte China einen deutlich positiven Saldo von 258 Milliarden Euro verbuchen. Auch das BIP der Chinesen war 2011 mit 12.900 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch wie das BIP der EU (5100 Milliarden Euro).
Die Wirtschaftskooperation zwischen Europa und China ist rasant gewachsen. Doch beklagen europäische Unternehmen in China schlechten Marktzugang, ungleiche Wettbewerbsbedingungen, mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheiten.
Schlechter Schutz des geistigen Eigentums ist unverändert ein großes Problem. Sieben von zehn in China tätigen europäischen Unternehmen wurden nach eigenen Angaben schon Opfer von Urheberrechtsverletzungen mit teils erheblichen Verlusten. Mehr als die Hälfte aller Raubkopien, die der Zoll in Europa sicherstellt, stammt aus China.
Die 27 EU-Staaten zählen mit 7,1 Milliarden Euro 2010 zu den fünf wichtigsten Investoren in China - neben Taiwan, Hongkong, USA und Japan. Rund 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in China stammen aus Europa. China investiert aber nur sehr zögerlich in Europa. Zwar stiegen die chinesischen Investitionen 2010 von 0,3 auf 0,9 Milliarden Euro, doch stammen nur 1,7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Europa aus China.
„Die Regierung wird wachstumsstabilisierende Maßnahmen ergreifen“, schreiben die Analysten der Deutschen Bank in ihrem jüngsten Bericht. So kurbelt die Regierung auserlesene Branchen an, indem etwa Haushaltsgeräte und benzinsparende Autos staatlich gefördert werden. In den Ausbau des Schnellbahnnetzes sollen dieses Jahr 50 Milliarden Euro fließen. Die Experten der Deutschen Bank halten die aktuelle Wachstumsschwäche für zyklisch und rechnen moderaten Interventionen Chancen aus: „Wir rechnen nicht mit großen Überraschungen.“
Urbanisierung hält die Nachfrage hoch
Daniel Berger von der Unternehmensberatung EAC aus Shanghai will von einem Soft Landing nichts wissen. „Das ist ein no Landing“, sagt der Rostocker, der seit mehr als einem Jahrzehnt in China lebt. „Dass sich die Konjunktur etwas verlangsamt, ist politisch gewollt und als Ziel im zwölften Fünfjahresplan formuliert.“ Vor allem sei es wirtschaftlich notwendig – und wenn die Wachstumszahlen gefälscht seien, so eher im Negativen, sagt Berger: „Viele Unternehmen geben ihren Gewinn geringer an, um weniger Steuern zahlen zu müssen.“ Und die Blase am Immobilienmarkt? Ende 2011 lebten zum ersten Mal in der Geschichte mehr als 50 Prozent aller Chinesen in Städten. Diese Urbanisierung halte die Nachfrage hoch, so Berger.
Christian Sommer ist verärgert. Der Leiter des German Centre in Shanghai, Anlaufstelle für kleine und mittlere Firmen in China, hat aus seinem Deutschland-Urlaub ein Nachrichtenmagazin mitgebracht, dessen Titelstory Chinas Wirtschaft am Rande des Kollaps wähnt. Er glaubt das nicht. „Die Situation im Moment ist auf keinen Fall mit der Krise von 2008/09 zu vergleichen“, behauptet er. „Damals brachen in allen Branchen die Aufträge spürbar ein.“
Zwar sei die Nachfrageschwäche aus Europa und USA spürbar in China. Doch davon seien in erster Linie chinesische Unternehmen betroffen. „Die haben Qualitätsprobleme, weil sie zu lange auf billige Produkte gesetzt haben“, erläutert Sommer. Deutsche Unternehmen betreffe das nicht.