Im Jahr 1934 prägte der US-Ökonom Alvin Hansen den Begriff der Säkularen Stagnation. Er sagte den USA eine langjährige wirtschaftliche Schwäche voraus. 79 Jahre später griff der US-Ökonom und frühere Finanzminister Lawrence Summers den Begriff wieder auf. Er stieß damit auf viel Zustimmung, weil sich die USA und die meisten anderen Volkswirtschaften tatsächlich unerwartet langsam von der Finanzkrise erholen.
Steilvorlage für Interventionen
Aber wichtiger als das bloße Etikett ist Summers Erklärung der Wachstumsschwäche. Er nimmt an, dass die Investitionsnachfrage weit hinter der Ersparnis zurückbleibe, mithin die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu gering sei. Nur ein negativer Realzins (Zins minus Inflation) könne die Investitionen der Unternehmen ausreichend erhöhen, um die Volkswirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Weil der Zins aber nur wenig unter null Prozent fallen könne, solle die Zentralbank durch Anleihekäufe die Inflationserwartungen erhöhen und so den Realzins senken. Außerdem solle der Staat zusätzliche Schulden aufnehmen, die Mittel in Investitionen stecken und so die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen. Summers’ Theorie der Säkularen Stagnation ist eine Steilvorlage für die Interventionisten in den Parteizentralen und Zentralbanken.
Allerdings spricht zumindest für die USA viel gegen Summers’ Theorie eines strukturellen Nachfragemangels. Erstens ist die Arbeitslosenquote in den USA auf historisch niedrige 4,9 Prozent gefallen, was nicht zum Bild einer unterausgelasteten Wirtschaft passt. Zweitens haben die USA seit Jahren ein Leistungsbilanzdefizit. Die Nachfrage übersteigt also das Güterangebot.
Zur Person
... ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Zuvor hat der am Institut für Weltwirtschaft in Kiel promovierte Ökonom für die HypoVereinsbank und die Investmentbank Merrill Lynch gearbeitet.
Es gibt bessere Erklärungen für das geringe Wirtschaftswachstum der zurückliegenden Jahre als einen strukturellen Nachfragemangel. In den USA hat sich das Wachstum der Erwerbsbevölkerung in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich abgeschwächt. Das erklärt zur Hälfte, warum die US-Wirtschaft seit dem Ende der Finanzkrise um einen Prozentpunkt weniger gewachsen ist als im Durchschnitt der zurückliegenden zwei Konjunkturzyklen. Für die anderen Industrieländer spielt die Demografie eine noch größere Rolle.
Nachfrage- und Angebotsseite leiden
Eine wichtige Erklärung ist aber auch das Platzen der globalen Schuldenblase im Jahr 2007.
Erstens dämpft die notwendige Bereinigung der Schuldenexzesse die Nachfrage. So hatten sich in den USA viele Hausbauer zu hoch verschuldet. Um ihre Schulden zu senken, haben sie sich in den ersten Jahren der Krise beim Konsum zurückgehalten, was das US-Wirtschaftswachstum drückte. Im Euro-Raum kommen diese Bilanzbereinigungen viel langsamer voran, weshalb sich die Wirtschaft noch schleppender erholt als in den USA.
Zweitens leidet auch die Angebotsseite unter den Nachwirkungen einer geplatzten Schuldenblase. Die Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich haben gezeigt, dass die Produktivität als ein wichtiger Treiber des Wirtschaftswachstums nach dem Platzen von Schuldenblasen nur langsam zunimmt. Das liegt auch an dem hohen Bestand fauler Kredite in den Bankbilanzen.
Um Abschreibungen zu vermeiden, erneuern Banken häufig Kredite an hoch verschuldete Unternehmen, besonders wenn die Zinsen wegen der expansiven Geldpolitik niedrig sind. Damit halten sie unproduktive Unternehmen am Leben, während sich produktive Unternehmen wegen eines Mangels an Kredit häufig nicht gut entwickeln können. In der Summe senkt dies das Produktivitätswachstum. Davon ist vor allem der Euro-Raum betroffen. Schließlich sind in Italien 18 Prozent aller Bankkredite faul.
Deutschsprachige Ökonomen und Soziologen des 20. Jahrhunderts
Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph gehörte zwar nicht zur Freiburger Schule, hat Erhard aber dennoch stark beeinflusst. In einem waren sie sich weitgehend einig: Das Wort "sozial" ist in Verbindung mit "Markwirtschaft" unsinnig, weil der Markt an sich Sozialität herstellt. Die Ökonomen Röpke, Eucken und Müller-Armack sahen das ganz anders.
Der Nestor des Ordoliberalismus sorgte mit seinen "Grundlagen der Nationalökonomie" 1939 dafür, dass Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg ein theoretisches Konzept vorlag. Wegweisende Gedanken, vor allem über den Zusammenhang von Macht und (Un-)Freiheit.
Als Mitglied der NSDAP erhoffte sich der Ökonom und Kultursoziologe einen starken Staat mit stabiler Wirtschaftspolitik. 1946 entwickelte das CDU-Mitglied in "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft" den Begriff der "sozialen Marktwirtschaft". Später wirkte er als Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium von Ludwig Erhard.
Der wortmächtigste unter den geistigen Vätern der sozialen Marktwirtschaft war bereits mit 24 Jahren Professor. Der Ökonom und Sozialphilosoph lehnte den Nationalsozialismus als "Massenaufstand gegen die Vernunft" ab und verfasste nach dem Krieg eine Reihe von glänzenden Büchern, in denen er unter anderem den Markt als Kulturform konturierte und ein frühes Lob der Ökologie sang.
SPD-Chef von 1946 bis 1952, wollte "aus Deutschland noch ein sozialistisches Land auf wirtschaftlichem Gebiet" machen. Im Godesberger Programm der SPD (1959), das Karl Schiller maßgeblich mitgestaltete, hieß es: "Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig." Erst 1963 war die SPD so weit, dass der spätere Wirtschaftsminister jede Art von Planung ablehnte.
Helmut Schelsky hat den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft bereits 1953 auf den soziologischen Begriff gebracht. Erhard hat ihn vier Jahre später mit "Wohlstand für alle" ins Volksdeutsche übersetzt. Gemeint ist die Herausbildung einer breiten Mittelschicht mit gut bezahlten Angestellten.
Kontraproduktive Rezepte
Was heißt das für die Wirtschaftspolitik? Politiker und Notenbanker sollten alles tun, um die Bilanzbereinigungen bei Verbrauchern, Unternehmen und Banken voranzutreiben. Sind die Exzesse der Blasenjahre erst einmal bereinigt, erholt sich die Wirtschaft schneller. Dieser Bereinigungsprozess wird befördert, wenn die Notenbank die Politik des billigen Geldes auf die Akutphase der Krise beschränkt und der Staat mit niedrigen Haushaltsdefiziten für Vertrauen sorgt. Kontraproduktiv sind dagegen die Rezepte der Theorie der Säkularen Stagnation – das Anwerfen der Notenpresse sowie auf Pump finanzierte Konjunkturprogramme. Außerdem leisten sie dem Entstehen neuer Finanz- oder Staatsschuldenkrisen Vorschub.