Schuldenspirale

Dr. Yellen oder wie wir lernen, die Schulden zu lieben

Wie viel Schulden verträgt die Weltwirtschaft? Die äußerst niedrigen Zinsen haben es Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten sehr leicht gemacht, sich immer höher zu verschulden. Wo ist der Ausweg aus dieser Spirale?

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Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Der Auslöser für die jüngste Schuldenspirale war der starke Wirtschaftseinbruch nach der Lehman-Pleite im Jahr 2007. Vor allem die Industrienationen haben als Reaktion darauf sowohl klassische Konjunkturprogramme als auch Bankenrettungsprogramme aufgelegt. Beides wurde durch eine weitere Kreditaufnahme finanziert. In den G7-Ländern ist die Staatsverschuldung von etwa 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Jahr 2007 bis zum Jahr 2011 auf rund 120 Prozent gestiegen. Seitdem haben sich die Schulden auf diesem Niveau „stabilisiert“. Im Unterschied dazu hat sich die Staatsverschuldung der Schwellenländer im selben Zeitraum nicht nennenswert verändert.

Notenbanken rund um den Globus lockern ihre Geldpolitik

Nun sind Schulden nichts grundsätzlich Schlechtes. Erst ab einer bestimmten Höhe wirken sie destabilisierend. Die Frage ist nun, ob der starke Anstieg der Verschuldung bereits eine destabilisierte Wirkung hat. Von einer Destabilisierung muss man sprechen, wenn die Zinsausgaben der Länder stark ansteigen und damit ihr finanzpolitischer Handlungsspielraum merklich eingeschränkt wird. Fakt ist, dass die Zinsausgaben (in Prozent des BIP) mit Ausnahme von Italien so gut wie nicht gestiegen sind. In einigen Ländern, darunter in Deutschland, haben sie sich sogar trotz steigender Schuldenstände spürbar verringert.

Und wie verhält es sich, wenn die Zinssätze wieder ansteigen?

Die Höhe der Zinsen wird im Wesentlichen von den Zentralbanken und von den Risikoprämien bestimmt. Letztere waren während der Staatsschuldenkrise stark auseinander gelaufen. Für einzelne Euro-Länder war die Risikoprämie so stark angestiegen, dass diese Länder sich nicht mehr refinanzieren konnten. Nur das beherzte Eingreifen der Europäischen Zentralbank konnte einen Zahlungsausfall verhindern. Seit die EZB Staatsanleihen aufkauft, sind die Risikoprämien für alle Euro-Länder wieder deutlich gesunken. Ähnliche Programme gab es auch in den USA, Großbritannien und Japan. Auch dort haben sie zu einem Rückgang der Risikoprämien beigetragen.

Stefan Bielmeier Quelle: Presse

Die zentrale Bestimmungsgröße von Zinsen und Renditen ist also die Politik der Notenbanken und das von ihnen festgesetzte Niveau der Leitzinsen. In den vergangenen Jahren haben die Notenbanken die Leitzinsen extrem stark gesenkt. Sie liegen seit 2008 fast überall nahe null.

Diese extrem niedrigen Zinsen erleichtern es nicht nur Staaten, sich zu finanzieren. Auch Unternehmen und private Haushalte können sich seitdem günstiger finanzieren. Dieses günstige Umfeld wurde sowohl von Unternehmen als auch von Privathaushalten genutzt. Global ist die Verschuldung des Privatsektors in den letzten Jahren erheblich gestiegen.

Differenziert man nach Industrieländern und Schwellenländern, dann wird allerdings sichtbar, dass der Anstieg der privaten Verschuldung in den Schwellenländern wesentlich stärker erfolgte als in den Industrieländern. In den Industrieländern fand teilweise sogar ein Abbau der zuvor kräftig aufgebauten privaten Verschuldung statt. Wir haben hier also gleichsam das Spiegelbild zur Entwicklung der staatlichen Verschuldung, die in den Industrieländern wesentlich stärker angestiegen ist als in den Emerging Markets.

Die Zinsschritte der US-Notenbank Fed

Summa summarum sind die Schulden in der globalen Wirtschaft jedoch deutlich gestiegen. Die niedrigen Notenbankzinsen haben es für Staaten, Unternehmen und private Haushalte eben sehr leicht gemacht, sich zu verschulden. Und die drei Sektoren haben dies auch genutzt.

Welches Niveau an Gesamtverschuldung verträgt die Weltwirtschaft?

Das hängt von der Zinsbelastung ab. Und diese wird im Wesentlichen von den Notenbanken bestimmt. Der Anstieg der Verschuldung, den letztendlich die Notenbanken ermöglicht haben, war für die Stabilisierung der Weltwirtschaft äußerst hilfreich. Jedoch ist auch klar, dass mit steigenden Zinsen die Schuldentragfähigkeit der Staaten und Unternehmen wieder fällt. Strukturell schwächere Länder und Unternehmen werden in Schwierigkeiten kommen. Und wenn die Investoren wieder höhere Risikoprämien verlangen. Würde das zu einem Anstieg der Zinsbelastung führen.

Große Notenbanken zaudern

Diese Überlegung verdeutlicht das Dilemma der Notenbanken. Janet Yellen, die Chefin der US-Notenbank droht schon seit mehr als einen Jahr mit einer Zinsanhebung. Doch bislang konnte sie sich nicht zur Umsetzung ihrer Drohung durchringen. Ein ähnliches Vorgehen ist bei der Bank of England zu beobachten. Das Zaudern der großen Notenbanken ist auf die Sorge zurückzuführen, dass Zinsanhebungen die Schuldentragfähigkeit der Wirtschaft schwächen werden. Möglicherweise sogar so sehr, dass das aktuelle Verschuldungsniveau nicht mehr tragbar ist.

Der Instrumentenkasten der EZB

Aber ist es tatsächlich so, dass die Zinsen, nachdem sie historische Tiefststände erreicht haben, auch wieder steigen müssen? Richtig ist, dass eine zu lange durchgehaltene Niedrigzinspolitik große Gefahren birgt. Wenn die Inflation sich dann schneller als erwartet beschleunigt, ist es nicht mehr mit kleinen Zinsschritten getan. In diesem Fall müssten die Notenbanken mit kräftigen Zinsanhebungen gegenhalten. Und das würde unvermeidlich eine starke Abkühlung der Weltwirtschaft auslösen.

Die entscheidende Frage ist daher: Wie groß ist die Gefahr einer Inflationsbeschleunigung? Zurzeit ist die Inflation – bedingt vor allem durch den Ölpreis – fast überall niedrig. Das Wirtschaftswachstum und die Lohnentwicklung deuten ebenfalls nicht auf eine Inflationsbeschleunigung. Aktuell sind die Notenbanken noch nicht gezwungen, mit dem Zinsanhebungszyklus zu beginnen.

Normalisierung um das Jahr 2020

Solange die Inflation nicht deutlich über die Zielgröße der Notenbanken von rund zwei Prozent steigt, ist es vertretbar, auf Zinsanhebungen zu verzichten. Die Hoffnung ist, dass die weltweite Schuldenlast durch eine maßvolle Inflation langsam abgebaut wird. Solange Wirtschaftswachstum und Lohnentwicklung moderat bleiben, kann man argumentieren, dass das Risiko eines plötzlichen und starken Anstiegs der Inflationsraten nicht so hoch ist, dass es in den Überlegungen der Notenbanken Priorität haben müsste. Diese Notenbankpolitik könnte bis zum Ende des laufenden Zyklus durchgehalten werden.

Dies würde bedeuten, dass eine Normalisierung des Zinsniveaus erst um das Jahr 2020 vollzogen wäre. Erst im nächsten Wachstumszyklus, könnte die Notenbankpolitik dann wieder zu einer normalen, "lehrbuchmäßigen" Zinspolitik zurückkehren.

Doch für die Notenbanken ist eine solche Politik eine Gratwanderung. Einerseits ist die Gefahr einer schnellen Inflationsbeschleunigung niemals vollständig zu leugnen, und damit die Gefahr, dass die notwendigen starken Gegenmaßnahmen die Weltwirtschaft abermals destabilisieren würden. Andererseits, wenn die Notenbanken diese Politik erfolgreich umsetzen, hätten wir die Möglichkeit, die in der Wirtschaftskrise entstandenen Ungleichgewichte langsam abzubauen und mit einer gesunden Wirtschaftsstruktur den nächsten Aufschwung zu beginnen.

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