Streitgespräch "Die Rettungspakete haben deutsches Vermögen geschützt"

Marcel Fratzscher und Hans-Werner Sinn diskutieren über Mindestlohn, Rentenreform, Gefahren für den Standort und über die Frage, ob die Euro-Rettung Erfolge vorweisen kann.

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Marcel Fratzscher und Hans-Werner Sinn Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Herr Professor Sinn, Herr Professor Fratzscher, jahrelang galt Deutschlands Standortqualität als beispielhaft. Jetzt aber steigen Energiepreise und Löhne kräftig. Sind wir dabei, unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen?

Fratzscher: Deutschland steht im internationalen Vergleich gut da. Dank der starken Exportindustrie haben wir die Finanzkrise relativ glimpflich überstanden. Die Ausfuhren werden auch in Zukunft eine wichtige Stütze unserer Wirtschaft bleiben. Allerdings haben die großen Dax-Konzerne im vergangenen Jahr knapp 36.000 neue Arbeitsplätze im Ausland geschaffen, aber nur 6000 neue Jobs in Deutschland. Aus Sicht der Unternehmen mag dies klug sein, um ihr geografisches Risiko zu diversifizieren und Marktchancen zu nutzen. Dem Standort Deutschland aber drohen Nachteile, wenn die einheimischen Investitionen lahmen und der Standort im internationalen Vergleich zurückfällt.

Zu den Personen

Sinn: Die Beschlüsse zum Mindestlohn werden die gesamte Lohnskala hochdrücken und Deutschland wieder in eine reale Aufwertung treiben, weil die Gewerkschaften und die Marktkräfte versuchen werden, die alten Lohnabstände zu verteidigen. Damit wird die mühsam errungene Wettbewerbsfähigkeit wieder gefährdet. Das ist in gewisser Weise zwar nötig, wenn der Euro überleben soll. Deutschland ist zu billig im Vergleich zu den anderen Ländern der Euro-Zone, aber…

Verstehen wir Sie richtig: Kräftige Lohnerhöhungen hierzulande sind gut, weil sie den Euro zusammenhalten?

Sinn: …aber es kommt auf den Grund für die Lohnerhöhungen an. Setzt der Staat die Löhne hoch, droht eine Stagflation, also eine Kombination von Stagnation und Inflation. Das strahlt dann auch auf die Krisenländer ab, weil diese weniger Produkte nach Deutschland liefern können. Steigen die Löhne dagegen als Reaktion auf eine Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskräften, geht das in Ordnung. Deutschland benötigt eine nachfragegetriebene Inflation, die von einem Investitionsboom ausgelöst wird. Ein solcher Boom findet oder fand ja statt. Die Sparer trauen sich nicht mehr aus Deutschland heraus und flüchten in deutsches Betongold, was einen Bauboom ausgelöst hat. Aber die europäische Politik tut leider alles, die Ersparnisse wieder aus Deutschland herauszulocken zu Orten, wo es eigentlich nicht mehr hinwill.

Fratzscher: Deutschland ist nicht zu billig im Vergleich zu den anderen Ländern der Euro-Zone. Deutsche Unternehmen stehen mehr mit Unternehmen aus den USA, Südkorea und Japan im Wettbewerb als mit Unternehmen aus Portugal oder Spanien. Zudem sollten wir die Frage der Wettbewerbsfähigkeit nicht allein auf die preisliche Dimension verengen. Deutschland ist nicht erfolgreich, weil es billig ist, sondern weil unsere Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten Nischen auf dem Weltmarkt besetzen.

Davon haben die Arbeitnehmer hierzulande kaum etwas gespürt, die Reallöhne sind jahrelang gesunken.

Fratzscher: Ein Grund dafür ist unsere geteilte Wirtschaft. Auf der einen Seite gibt es die sehr produktiven und exportstarken Branchen wie die Autoindustrie, den Maschinenbau und die Chemieindustrie, wo die Unternehmen sehr gute Löhne zahlen. Auf der anderen Seite stehen viele Dienstleistungssektoren, die wenig investieren und deren Produktivität niedrig ist. Dort stagnieren die Löhne zum Teil schon seit Jahren. Das ist eine Enttäuschung.

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