Streitgespräch "Die Rettungspakete haben deutsches Vermögen geschützt"

Seite 7/7

"Ohne Sparen und ohne Reformen geht es nicht"

Fratzscher: Deutschland hat dies nach 2000 gezeigt. Der Staat hat den Arbeitsmarkt reformiert, mehr Wettbewerb geschaffen und seinen Haushalt konsolidiert. Das alles hat mit dazu geführt, dass wir heute so stabil dastehen. Wenn Sie also sagen, die Wirtschaftspolitik ist irrelevant, dann stimme ich nicht mit Ihnen überein.

Sinn: Die Lohnsenkung selbst kommt aber nur durch eine vorangehende Flaute zustande. Diese Länder müssen erst durch das Tal der Tränen. Das ist unvermeidlich.

Fratzscher: Es gibt bessere Alternativen als die Strategie des „Gesundschrumpfens“. Ohne Sparen und ohne Reformen geht es nicht, aber wir müssen auch über neue Wege nachdenken, um das Wachstum zu stärken. Es gibt Projektfinanzierungen von der Europäischen Investitionsbank, auch bilaterale Kredite können helfen, und es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, wie man Anreize an Unternehmen geben kann, damit sie investieren und Beschäftigung schaffen. Das ist der einzige Weg, aus der europäischen Krise herauszukommen. Wir brauchen Wachstum.

Sie beide sagen, Löhne und Preise müssen sinken, und tatsächlich geschieht das ja auch, wenn wir uns die Inflationsraten in den Krisenländern und in der Euro-Zone ansehen. Nun grassiert bereits die Warnung, Europa könne in eine gefährliche Deflation abrutschen. Ist das wirklich eine Gefahr – oder sehen wir hier nur eine notwendige Preiskorrektur?

Sinn: Eine allgemeine Deflation wäre schädlich. Die relative Preisänderung über Deflation in einzelnen Euro-Ländern ist dagegen Teil der nötigen Korrektur der Ungleichgewichte. Wobei klar sein sollte, dass dies eine Belastung für die Gesellschaften ist.

Fratzscher: Ich sehe ein großes Risiko in einer Verstetigung der Deflationserwartung. Unternehmen investieren weniger, wenn sie erwarten, dass die Preise über die nächsten Jahre fallen werden. Denn dann sinkt die Rendite von Investitionen, der Realzins und die Schuldenlast wachsen. Das heißt dann auch weniger Beschäftigung, weniger Einkommen, weniger Wachstum, und damit entsteht eine Spirale, in der sich der Deflationsdruck verfestigt.

Sinn: Aber diese Spirale kann es doch gar nicht geben, solange es sich nur um eine Korrektur der relativen Preise in einem Teilgebiet der Währungsunion handelt. Irgendwann ist die Wettbewerbsfähigkeit wieder erreicht, und wenn die Preise dann noch weiter fallen würden, würde ja die Nachfrage überborden.

Fratzscher: Nein, die Nachfrage wird nicht überborden – im Gegenteil, eine solche Spirale führt zu einem weiteren Fall der Nachfrage, da noch mehr Menschen ihre Beschäftigung verlieren und die Einkommen weiter sinken. Eine solche Deflationsdynamik hat nichts Positives; sie zerstört permanent einen Teil der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

Sinn: Klar, aber es kann keine Spirale ins Bodenlose geben nach Art einer säkularen Stagnation wie in Japan. In einem Teil der Währungsunion kann das nicht sein, das könnte nur für eine ganze Währungsunion insgesamt gelten – und davon sind wir weit entfernt.

Fratzscher: Der Schaden einer Deflation gilt für jede Volkswirtschaft, egal, ob innerhalb oder außerhalb einer Währungsunion. Und das Risiko ist akut: Die Deflationserwartungen an den Finanzmärkten ist deutlich unter dem Ziel von zwei Prozent, selbst in Ländern wie Frankreich und Italien fällt ein Drittel der Güterpreise. Eine Verstetigung dieser Erwartungen hätte dann negative Auswirkungen auf das Wachstum in der Euro-Zone insgesamt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%