Systemkritik Kapitalismus in der Reichtumsfalle

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Der Wohlstand in Deutschland ist geborgt

Die Schuldenuhr, am Gebäude vom Bund der Steuerzahler in Berlin: Der Wohlstand in Deutschland wurde bereits vor der Krise mit neuen Schulden erkauft. Man hat ihn sich geborgt. Das Wachstum ist ein Scheinwachstum. Quelle: dapd

Damit sie weiterlaufen kann, damit die Unternehmen weitere, neue Dinge produzieren, brauchen sie Menschen, die sie ihnen abkaufen. In diesem Sinne bekam die große Maschine Ende der achtziger Jahre neuen, ungeahnten Schwung. Nach dem Mauerfall breitete sich der Kapitalismus rund um die Welt aus, bis in den letzten Winkel Osteuropas, Asiens, Afrikas, und überall fand er: neue Märkte. Er kam zu den Ukrainern und Rumänen, Indern und Chinesen, Vietnamesen und Kambodschanern. Und zu den !Kung.

Seit seiner Entstehung in den Industrieländern Europas und Nordamerikas hat sich der Kapitalismus in mehreren Schüben um den Globus verbreitet. Immer waren diese Expansionsphasen mit hohem Wirtschaftswachstum verbunden. Nun, da die Marktwirtschaft endgültig gesiegt hatte, war es keine Überraschung, dass die kapitalistische Maschine in den Industrieländern erneut auf Hochtouren lief. Dass die Wirtschaft so stark wuchs wie nie zuvor.

Besser gesagt: Es wäre keine Überraschung gewesen. Aber es ist nicht geschehen. Das Gegenteil ist eingetreten, etwas Seltsames, völlig Unerwartetes: Die kapitalistische Maschine der großen Industrieländer funktioniert nicht mehr richtig.

Es gibt einen Geldbetrag, der das sehr gut veranschaulicht: 381 Milliarden Euro. Er beziffert den Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsprodukts in den Jahren 2000 bis 2007, also noch vor Beginn der Finanzkrise, ermittelt vom Statistischen Bundesamt. Umgerechnet auf die 82 Millionen Bundesbürger bedeutet das: Das Einkommen des durchschnittlichen Deutschen ist in diesen Jahren um 4.646 Euro gestiegen. Das ist weniger als früher, aber man soll ja nicht gierig sein. 4.646 Euro, davon kann man sich schon ein paar weitere Dinge kaufen.

Die wahre Bedeutung der 381 Milliarden erschließt sich erst, wenn man sie mit einer zweiten Zahl vergleicht. Sie beziffert den Zuwachs der deutschen Staatsverschuldung in den Jahren 2000 bis 2007. Diese zweite Zahl lautet ebenfalls: 381 Milliarden Euro.

Schon im Deutschland vor der Krise wurde der neue Wohlstand also durch neue Schulden erkauft. Man hat ihn sich geborgt. Das Wachstum ist ein Scheinwachstum. Die deutsche Wirtschaftsmaschine läuft, aber sie dreht leer.

Das allein muss einen nicht am Kapitalismus zweifeln lassen. In diesen ersten Jahren des neuen Jahrtausends hatten es die deutschen Unternehmen nicht leicht. Die Lohnkosten waren hoch, die Konkurrenz auf den Weltmärkten war groß, die deutsche Wirtschaft galt als überreguliert. Gut möglich also, dass es sich hier nicht um ein Problem des Kapitalismus handelt, sondern um ein Problem der Deutschen. Schließlich gibt es die kapitalistische Maschine in verschiedenen Ausführungen, nicht nur in der deutschen, auch, zum Beispiel, in der französischen, der amerikanischen, der japanischen. Jede ist ein bisschen anders, geformt von Gesetzen und Arbeitsverträgen, Regierungen und Gewerkschaften.

In den anderen großen Industrieländern könnte die Maschine rasant weitergelaufen sein.

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