Inwiefern?
Göhner: Da gibt es Wissenschaftler, die nicht forschen, sondern sich vollständig der Lehre widmen. Das halte ich für ein sehr gutes Modell. Auch die Rahmenbedingungen sind anders. Als ich ein Semester in den USA studiert habe, lag die durchschnittliche Kursgröße bei etwa 30 Leuten. Der Professor kannte spätestens in der zweiten Woche den Namen jedes Kursteilnehmers.
Großmann: Was ich noch wichtiger finde, ist mehr Raum für inhaltliche Debatten. Wenn man diese anmahnt, kommt in Deutschland oft die Antwort: Wir sind eine positive und keine normative Wissenschaft. Das ist ein höchst problematisches und falsches Selbstverständnis. Hinzu kommt, dass 95 Prozent des Studiums aus klausurrelevanten Vorlesungen und Übungen bestehen. Die Studenten repetieren vorgefertigtes Wissen. Es gibt kaum noch Seminare, in denen man Hausarbeiten schreibt, über die dann debattiert wird. Damit können neue Denkräume gar nicht erst geöffnet werden.
Normann: Ehrlich gesagt, ein großer Teil der Studenten ist nach meinen Erfahrungen eher passiv und nicht sonderlich diskussionsfreudig.
Dreher: Da bin ich bei Ihnen. Ich versuche regelmäßig in Bachelorvorlesungen eine Diskussion über die Annahmen makroökonomischer Modelle zu entfachen. Ein Großteil der Studierenden kommt dann nicht, weil die Diskussion nicht klausurrelevant ist.
Göhner: Menschen reagieren nun mal auf Anreize. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass die Studienanfänger in Deutschland durch die Verkürzung der Abiturzeit auf acht Jahre und den Wegfall der Wehrpflicht immer jünger werden. Die Unis brauchen vielleicht auch deshalb einen anderen pädagogischen Ansatz im Umgang mit Studienanfängern.
Normann: Ich sehe das Problem eher auf organisatorischer Ebene. Der Genehmigung von Bachelor- und Masterstudiengängen ist eine formale und qualitative Prüfung durch Akkreditierungsagenturen vorgeschaltet. Diese machen strikte Vorgaben. Da heißt es dann, das Mastermodul x besteht aus zwei Vorlesungen und zwei Übungen pro Woche, und am Ende gibt es eine Klausur über den gesamten Stoff. Da können Sie als Professor nicht viel mehr machen, als durch den Lehrstoff zu hetzen.
Wie breit ist die Wirtschaftswissenschaft denn mittlerweile aufgestellt? Igelt sie sich ein oder nimmt sie Impulse aus anderen Disziplinen auf?
Göhner: Da bewegt sich viel. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von interdisziplinär angelegten Studiengängen. In Mannheim zum Beispiel kann man Philosophie und VWL kombinieren und Nebenfächer wie Mathematik, Jura, Wirtschaftsinformatik, Psychologie oder Politik wählen. Das Spektrum ist breit. Wer dann einen reinen VWL-Studiengang wählt, darf sich nicht wundern, wenn er VWL pur bekommt.
Dreher: Ökonomen arbeiten auch in der Forschung zunehmend interdisziplinär – zusammen mit Juristen, mit Psychologen in der Neuroökonomie, mit Politologen, mit Soziologen. Die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen immer mehr. Viele Politikwissenschaftler in den USA verwenden mittlerweile die gleichen mathematischen, empirischen und experimentellen Methoden wie wir.
Göhner: Was für die ökonomischen Methoden spricht. Die können so schlecht also nicht sein.
Normann: Richtig. Es gibt aber das Phänomen, dass neue volkswirtschaftliche Erkenntnisse häufiger von Publikationen anderer Fachrichtungen zitiert werden als umgekehrt. Da könnte man schon auf die Idee kommen, dass sich VWLer noch nicht genug für andere Disziplinen interessieren.