Riskanter Kurswechsel. Die Welt hat über drei Jahrzehnte stark von Chinas bisherigem Wachstumsmodell profitiert. Das basierte im Kern darauf, dass Devisen aus dem Export von Billigprodukten in die Binnenwirtschaft investiert wurden – oft in massive Infrastrukturprojekte. Im laufenden Fünfjahresplan stecken sich die Pekinger Planer das Ziel, die stark investive Wirtschaft zu einer eher konsumptiven umzubauen – getrieben von der steigenden Kaufkraft am Binnenmarkt.
Das ist ein gewagtes Unterfangen: Das Wachstum soll zwar künftig nachhaltiger sein, aber in der Folge wird es sich zwangsläufig abschwächen. Denn weniger Investitionen haben ein niedrigeres Wachstum zur Folge. Langfristig könnte die Zentralbank die Zinsen erhöhen. Dies führt dann „zu geringerer Kreditaufnahme durch Staatsunternehmen, die wiederum ihre Investitionen in Infrastrukturprojekte reduzieren werden“, sagt Ashley Davies von der Commerzbank Singapur.
Im nächsten Schritt geht es um den Umbau des Finanzwesens. Bislang leihen die Staatsbanken bevorzugt staatlichen Unternehmen Geld – und zwar zum Festzins von fünf Prozent. Private Unternehmen kommen nur über einen grauen Markt und wesentlich teurer an Kapital, weshalb sie weniger investieren. Staatsbetriebe lassen sich wegen der Niedrigzinsen auch mal zu sinnlosen Projekten verführen. Das Geld fließt in immer neue Flughäfen, Bahnhöfe, Autobahnen und Wolkenkratzer – oft auch in leer stehende Städte oder Bauprojekte, die niemals rentabel werden können.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
China und Europa sind voneinander abhängig. Das Reich der Mitte wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer aufsteigen und damit die USA überholen. Umgekehrt ist die Europäische Union der größte Abnehmer chinesischer Ausfuhren. Beide Seiten handeln jeden Tag mit Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Nach einem Zuwachs von 37 Prozent 2010 stiegen die europäischen Ausfuhren nach China im vergangenen Jahr von Januar bis November um 21 Prozent auf 124 Milliarden Euro. Deutschland hat mit deutlichem Abstand und knapp der Hälfte der EU-Ausfuhren nach China den größten Anteil daran, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. 60 Prozent der EU-Ausfuhren waren Maschinen und Fahrzeuge.
Während die 27 EU-Länder im Jahr 2010 rund 19,8 Millionen Autos produzierten, waren es in China nicht viel weniger: rund 18,3 Fahrzeuge.
Die Importe aus China kletterten nach einem Anstieg von 31 Prozent 2010 im vergangenen Jahr bis November um weitere fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 244 Milliarden Euro. Seit Jahren gibt es ein großes europäisches Defizit im Handel mit China, das 2010 noch bei 168 Milliarden Euro lag. Aus diesem Überschuss sammelt China die Euros in seinen weltgrößten Devisenreserven im Wert von insgesamt 3,18 Billionen US-Dollar an. Rund ein Viertel sollen Euros sein.
Während die Leistungsbilanz der 27 EU-Länder im vergangenen Jahr bei minus 24 Milliarden Euro lag, konnte China einen deutlich positiven Saldo von 258 Milliarden Euro verbuchen. Auch das BIP der Chinesen war 2011 mit 12.900 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch wie das BIP der EU (5100 Milliarden Euro).
Die Wirtschaftskooperation zwischen Europa und China ist rasant gewachsen. Doch beklagen europäische Unternehmen in China schlechten Marktzugang, ungleiche Wettbewerbsbedingungen, mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheiten.
Schlechter Schutz des geistigen Eigentums ist unverändert ein großes Problem. Sieben von zehn in China tätigen europäischen Unternehmen wurden nach eigenen Angaben schon Opfer von Urheberrechtsverletzungen mit teils erheblichen Verlusten. Mehr als die Hälfte aller Raubkopien, die der Zoll in Europa sicherstellt, stammt aus China.
Die 27 EU-Staaten zählen mit 7,1 Milliarden Euro 2010 zu den fünf wichtigsten Investoren in China - neben Taiwan, Hongkong, USA und Japan. Rund 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in China stammen aus Europa. China investiert aber nur sehr zögerlich in Europa. Zwar stiegen die chinesischen Investitionen 2010 von 0,3 auf 0,9 Milliarden Euro, doch stammen nur 1,7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Europa aus China.
Die Verzerrungen im Wettbewerb des Finanzsektors will Peking nun anpacken. Experten erwarten, dass eine Liberalisierung des Finanzsystem fünf bis zehn Jahre dauern wird. Profitieren könnten besonders kleinere private Unternehmen, die sich nicht mehr teures Geld am Schattenmarkt besorgen müssen – und in der Folge mehr investieren können. Darüber hinaus hofft die Regierung, dass die wachsende Mittelschicht weiter konsumiert.
Wirtschaftsforscher bremsen die Erwartungen, was die Wachstumszahlen betrifft: Der IWF rechnet für das laufende Jahr mit einen BIP-Zuwachs um 7,8 Prozent, zu Jahresbeginn hielt man noch mehr als acht Prozent für möglich. IHS-Global-Analystin Ren Xianfang sagt: „Langfristig erwarten wir ein Wachstum um sieben Prozent.“ Die Abkühlung auf hohem Niveau hat bereits zur Folge, dass die Exporte im Juni um 3,1 Prozent zum Vorjahresmonat gesunken sind. Allerdings steuern die Planer zuweilen fiskalpolitisch gegen, etwa mit einer Aufstockung der Mittel für den Eisenbahnbau – ganz geheuer scheint die Abkühlung auch Peking nicht zu sein.