Wirtschaftsausblick „Amerika boomt, Europa hadert“

Der niedrige Ölpreis ist für viele Länder ein Segen, sagt US-Ökonom Nariman Behravesh. Dies gelte für die USA, aber auch für Deutschland. Dass die Bundesrepublik dennoch nur moderat wächst, liege an den Nachbarn.

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US-Konjunktur ist besser in Fahrt als die europäische Quelle: dpa Picture-Alliance

Herr Behravesh, ist der Einbruch des Ölpreises Fluch oder Segen?

Nariman Behravesh: Das kommt natürlich drauf an, aus welcher Perspektive Sie den Absturz des Rohölpreises sehen. Es gibt Gewinner und Verlierer. Russland, Venezuela oder der Iran zählen ganz klar zu Letzteren. Alle Industrienation hingegen profitieren immens. Der niedrige Ölpreis wirkt hier stark wachstumsfördernd.

Deutschland ist so eine Industrienation.

Ja, Deutschland profitiert ungemein von den niedrigen Ölpreisen. Fast alle Branchen, die Automobilindustrie, die Zulieferer, der Maschinenbau, die Fluglinien werden bessere Geschäfte machen. Hinzu kommt nun auch, dass der Franken – die Schweizer Wirtschaft ist einer der wenigen Konkurrenten des deutschen Mittelstandes – enorm aufgewertet hat und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz leidet. Auch der Fall des Euros gegenüber dem US-Dollar hilft beim Absatz auf dem großen US-Markt. Deutschland gehört bislang zu den Glückspilzen 2015.

Zur Person

Wie sieht Ihre Wachstumsprognose für Deutschland für dieses Jahr aus?

Deutschland wird – so schätzen wir bei IHS – um 1,6 Prozent wachsen. Neben den oben genannten Gründen glauben wir, dass auch der Binnenkonsum weiter steigen wird. Schließlich sorgt der niedrige Ölpreis dafür, dass die Leute weniger an der Tankstelle und fürs Heizen zahlen müssen und mehr Geld im Portemonnaie haben.

Nariman Behravesh sieht in dem niedrigen Ölpreis große Chancen für die Industrienationen. Quelle: imago images

Dafür, dass Sie so euphorisch waren und Deutschland als Glückspilz bezeichnet haben, hören sich 1,6 Prozent Wachstum nun nicht gerade berauschend an.

Das liegt weniger an Deutschland, als an seinen Nachbarn. Die Euro-Zone wächst in diesem Jahr um 1,4 Prozent. Deutschland macht die meisten Geschäfte mit den Ländern der Währungsunion. Solange die nicht boomen, und dafür sehe ich trotz der EZB-Geldpolitik keine Anzeichen, wird auch das deutsche Wachstum nicht explodieren.

Die EZB hat Ende Januar eine geldpolitische Lockerung beschlossen (das so genannte Quantitative Easing, kurz: QE) und wird künftig monatlich für 60 Milliarden Euro Anleihen kaufen. Ein richtiger Schritt?

Die USA haben QE gemacht, Großbritannien und Japan ebenfalls. Es ist nur folgerichtig, dass nun auch Europa folgt – zumal es in allen drei Ländern geholfen hat. Der Ankauf von Staatsanleihen wird auch in Europa für Wachstum sorgen. Ich halte es also für einen richtigen und notwenigen Schritt. Denn vergessen Sie nicht: Wir haben eine negative Preisentwicklung in einigen Ländern in Südeuropa. Die EZB kann nicht zulassen, dass dieser Trend weitergeht und wir eine Deflation erleben werden. Die Notenbank verhindert also das Schlimmste. Man sollte aber durch QE auch keinen Wachstumsschub erwarten.

„Italien, Frankreich und Griechenland machen Sorgen“

Wieso nicht?

Weil die Probleme der Euro-Zone zu vielseitig sind und nicht durch billiges Geld gelöst werden können. Es herrscht noch immer in vielen Ländern ein Reformstau; es wird gehadert und gebangt. Die Arbeitsmärkte sind zu starr, Branchen zu festgezurrt. Eine Lockerung hier sorgt für Wachstum und Perspektiven, nicht die Lockerung der Geldpolitik.

Welches ist das größte Euro-Sorgenkind?

Ich bin kein Freund von Superlativen. Ich kann nur sagen, dass ich mir vor allem um Italien, Frankreich und natürlich auch um Griechenland Sorgen mache.

Dann gehen wir die Länder einzeln durch. Was muss in Italien besser werden?

Die Produktivität. Das Problem besteht seit Jahren, wennn nicht sogar seit Jahrzehnten. Viele Unternehmen sind weit davon entfernt, ausgelastet zu sein, sie sind zudem technisch nicht auf dem neuesten Stand, weil Investitionen in moderne Anlagen versäumt wurden. Italien braucht eine Erneuerung der Produktionsstätten und sicher auch Innovationen. Das Schuldenproblem, das oft genannt wird, sehe ich als höchstens zweitrangig an. Der Staat ist hoch verschuldet, ja. Aber die meisten Gläubiger kommen aus dem Inland.

Konjunkturindikatoren

Woran krankt Frankreich?

An Reformmüdigkeit. Die Regierungen habe einfach nicht genug gemacht. Es herrscht kein wirtschaftsfreundliches Klima. Bestes Beispiel: Versuchen Sie einmal in Paris am Sonntag einkaufen zu gehen. Es ist eine Weltstadt voller Touristen – aber die Läden sind dicht! Es gibt wenig Wettbewerb, wenig Gründergeist – kurzum: es bewegt sich nichts.

Der französische Präsident Francois Hollande hat angekündigt, den Reformkurs mit neuer Kraft wieder aufnehmen zu wollen.

Puh, ich weiß nicht, ob das gelingt. Er hat viel versprochen, aber wenig gehalten bisher. Ich hoffe, ich werde eines Besseren belehrt und Frankreich erneuert sich unter Hollande. Aber bisher wirkt Hollande auf mich sozialistisch und uninspiriert.

Sozialistisch ist auch der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras. Wie bewerten Sie die Lage in Griechenland?

Unverändert schlecht. Das Land ist kaum wettbewerbsfähig. Aber: Niemand hat ein Interesse an einem Grexit, also dem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum. Es war absehbar, dass Tsipras und die Euro-Zone nicht bei ihren Maximalforderungen geblieben sind und einen Deal gesucht haben, der Griechenland im Euro-Raum belässt und der beiden Seiten hilft, das Gesicht zu wahren.

Die zehn wettbewerbsfähigsten Länder der Welt

Die allgemeine Wahrnehmung ist aber doch: Griechenland ist eingeknickt.

Europa hatte von Anfang an die besseren Karten in der Hand, von daher musste Tsipras von seinen Forderungen abrücken und Bereitschaft signalisieren, Reformen umzusetzen. Griechenland hat in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Die geringen Zinsen, die die Griechen bei der Schuldenaufnahme nach dem Euro-Beitritt zahlen mussten, wurden nicht genutzt: Statt sich zu modernisieren, wurden die Gehälter, auch im Staatsdienst massiv angehoben, die Produktivität ist gefallen. Nun zahlen die Griechen den Preis. Und das noch lange Zeit. Es gibt kein gutes Szenario für Griechenland. Die Lage wird sich zeitnah nicht ändern, egal, ob die Wähtung Euro heißt oder Drachme. Die Frage ist nur, welches Szenario – Euro-Erhalt oder Grexit – schlimmer ist. Und da ist klar: Ein Ausstrieg wäre horrend. Griechenland würde kein Geld mehr bekommen, weder vom Markt noch von EZB oder IWF. Das Land wäre am Boden. Das weiß auch Alexis Tsipras.

„Fracking ist und bleibt attraktiv“

Zurück zum Ölpreis. Sie haben klar benannt, wer die Verlierer sind – Russland, Venezuela – und wer die Gewinner, etwa Deutschland. Auf welcher Seite würden Sie die USA einordnen?

In den Vereinigten Staaten gibt es Gewinner und Verlierer des niedrigen Ölpreises. Die großen Rohstoffkonzerne leiden sicher, haben aber nur einen Anteil von zwei Prozent an der Wirtschaftsleistung. Zu 70 Prozent sind die USA vom Konsum abhängig – und der dürfte kräftig wachsen. Aufgrund des niedrigen Ölpreises haben die Bürger mehr Geld in der Tasche und werden shoppen. Es ist also eindeutig, dass die Vorteile die Nachteile deutlich überwiegen...

Meilensteine der Ölpreisentwicklung

... und die USA kräftig wachsen werden?

Ja, die USA sind in einer robusten Verfassung. Der Arbeitsmarkt hat sich zuletzt so positiv entwickelt wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die Erholung ist flächendeckend angekommen. Und so sorgen mehr Jobs für mehr Konsum – und mehr Konsum ist gleich mehr Wachstum. Wir glauben, dass die USA um drei bis 3,5 Prozent wachsen werden.

Wird auch die Fracking-Industrie in den USA weiter wachsen – oder ist der  Boom durch den niedrigen Ölpreis bereits vorbei?

Fracking in den USA wird weiter wachsen. Im Moment ist das Tempo ein bisschen raus. Aber es ist nicht so, dass die Unternehmen kein Geld verdienen. Im Gegenteil. Unsere Energieexperten sagen, dass die magische Grenze bei 49 US-Dollar pro Barrell liegt. Sobald der Ölpreis über dieser Marke liegt, wird in den USA mit Fracking Geld verdient. Die Technologie wird zudem durch einen zweiten Aspekt weiter attraktiv bleiben. Es ist viel günstiger, in Fracking zu investieren als in andere Ölfördermethoden, etwa in Offshore-Anlagen.

Was bedeutet das für den Ölpreis? Wie wird er sich in den kommenden Monaten entwickeln?

Der Ölpreis wird langsam steigen, aber nicht so dramatisch wie einige hoffen. Die Untergrenze beim Rohöl sehen wir bei 48 US-Dollar pro Barrel. Von diesem Niveau aus wird sich der Ölpreis - wie in den vergangenen Wochen - langsam entwickeln und in den kommenden Monaten im Durchschnitt bei 62 US-Dollar liegen. 

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