Als sich die Spitzenliga der Giganten des japanischen Sumoringsports im letzten Monat medienwirksam auf das Finale in Tokio vorbereitete, hat Akiyoshi Takumori wie seit vielen Jahren den Laptop hochgefahren und sein Excel-Programm gestartet. Für den 58-jährigen Ökonomen einer der führenden Vermögensverwalter ist das in Japan bedeutende Ereignis ein zuverlässiger Konjunkturindikator. Dass das in diesem Jahr nicht ganz der Fall ist, sei rein verletzungsbedingt.
Für Takumori ist das archaische Sumoringen auf höchstem nationalem Niveau mehr als Entertainment. Es lasse sich daran ablesen, ob die von Ministerpräsident Shinzo Abe propagierte Seite der japanischen Wirtschaft schon zur Geltung kommt und einen ersehnten den Aufschwung eingeleitet hat. Die Zahl der traditionell kurz vor einer Kampfrunde von Männern mit Pokerface in Kimonos um den Ring getragenen Werbeplakate japanischer Unternehmen lasse überdies Rückschlüsse zu, ob die Führungsetagen dieser Unternehmen optimistisch seien und bereit zu investieren, sagt Takumori.
Takumori interessiert sich besonders für den Ausblick an den Aktienmärkten. Das Prinzip „Abenomics” hat hier eine zwiespältige Bilanz hinterlassen: Nach drei rosigen Jahren zu Beginn der Amtszeit von Abe hatte sich der Nikkei 225 mehr als verdoppelt. Das Jahr 2016 begann allerdings mit schweren Verlusten und so schwach wie bislang noch kein anderes.
„Die Werbetafeln verstehe ich wie die Ampeln an den Hauptraßen - immer wiederkehrende ökonomische Indikatoren”, sagte Takumori, der Chefökonom von Sumitomo Mitsui Asset Management Co. in Tokio. Wer sie beobachte, dem signalisierten sie zumindest, ob die Ampeln auf rot oder auf grün stünden.
Takumori benötigt zur zuverlässigen Trenderkennung etwas Statistik. Das Januar-Turnier hat in den 15 Tagen seiner Dauer 1872 Werbebanner zum Vorschein gebracht, das waren 5,4 Prozent weniger als der bisherige Rekordwert beim November-Turnier in Fukuoka, aber trotzdem der zweithöchste Wert aller Zeiten, wie Takumori betont. Er riet dazu, das Minus nicht überzubewerten, denn einige besonders populäre Wrestler nahmen im Januar verletzungsbedingt nicht teil.
Und hier beginnt laut Takumori die Analogie zu den Aktienmärkten. Der breite japanische Topix Index ist nämlich auch vor allem wegen externer Faktoren in diesem Jahr bereits neun Prozent gefallen, in erster Linie von dem schwächelnden Wachstum in China und den einbrechenden Rohöl- und Rohstoffnotierungen. Anders ausgedrückt: Der Topix musste eine Verletzungspause einlegen.
„Die Zahlen sollten eigentlich gut ausfallen, aber wegen abnormer Bedingungen sehen sie lediglich schlecht aus”, sagte Takumori zu der Zahl der Werbebanner im Januar. Mit vollen Händen seien die Werbegelder zwar nicht ausgegeben worden, gab er zu, aber die Unternehmen hätten sicher weniger gebucht, wenn die Gewinne nicht gut ausgefallen wären. Trotzdem sei er enttäuscht von den schwächeren Zahlen: „Ich hatte eigentlich im Januar mit einem neuen Rekord gerechnet. Das ist schon verwirrend. Ich glaube, ich hatte einfach kein Glück”, sagte Takumori.
Er beobachtet diesen Indikator seit 1990 und entdeckte dabei schnell eine Korrelation mit dem japanischen Bruttoinlandsprodukt. So war die Zahl der Werbetafeln im Januar 2012 überraschend eingebrochen. Es folgte ein negatives BIP im nächsten Quartal. Das Bannerzählen beim Sumoringen gibt dem Chefökonomen nach eigener Einschätzung einen zweimonatigen Vorsprung auf die Werbestatistiken, die das staatliche Statistikamt vorlegt.
Jedes dieser Werbebanner kostet den Auftraggeber 62.000 Yen (475 Euro), und die Unternehmen haben die Möglichkeit, auch nur für einen bestimmten Tag im Laufe des Turniers zu buchen, wie aus Informationen des Veranstalters hervor geht. Und es bucht tatsächlich die gesamte japanische Wirtschaft, von Supermarktbetreiber Lawson bis zum Hersteller von getrockneten Rindfleisch Suzusho.
Alle Wettkämpfe werden live vom staatlichen Fernsehen NHK übertragen. Marktforscher Video Research hat im Großraum Tokio ermittelt, dass etwa ein Viertel aller Haushalte im Januar eingeschaltet hatten.