Wirtschaftsweise So entsteht der Bericht zur ökonomischen Lage der Nation

Das bald erscheinende Gutachten der Wirtschaftsweisen zählt zu den wichtigsten ökonomischen Analysen im Land, es wird mit Spannung erwartet. Aber wie kommt es eigentlich zustande?

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Übergabe des Jahresgutachtens 2014 Quelle: dpa

Der Termin klingt nach rheinischem Karneval, aber es geht um ernste Dinge. Am 11. 11. um 11 Uhr werden fünf Ökonomen in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel einen dicken Wälzer in die Hand drücken. Es ist das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), eine Art Bericht zur ökonomischen Lage der Nation. Das rund 400 Seiten starke Werk wird diesmal mit besonderer Spannung erwartet, denn 2014 gab es nach der Übergabe einen Eklat. Die Ökonomen hatten es gewagt, Mindestlohn und Rentenpolitik zu kritisieren, und so brach ein politischer Shitstorm über sie herein. Die Kanzlerin war pikiert, SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warf dem Rat „Plattheiten“ vor, Linksparteichef Bernd Riexinger wütete, der SVR bestehe „fast komplett aus Quacksalbern“.

Auch 2015 dürfte der Politik nicht alles gefallen, was die Ökonomen zu Papier bringen. „Wenn wir uns durch Gegenwind einschüchtern ließen, wäre das wissenschaftliche Feigheit“, sagt SVR-Chef Christoph Schmidt in Richtung Berlin.

Wie arbeitet der Rat? Wie entsteht sein Gutachten? Und wer sind die Leute, die man „Wirtschaftsweise“ nennt?

Der Auftrag

Der Rat entstand 1963 auf Betreiben von Ludwig Erhard, der in diesem Jahr vom Wirtschaftsminister zum Bundeskanzler aufstieg. Der SVR soll laut Gesetz als unabhängiges Beratungsgremium die Wirtschaftslage analysieren und untersuchen, wie „gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsgrad und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum gewährleistet werden können“. Im Gutachten gibt es ein Kapitel zur Wirtschaftspolitik, eines zur Konjunktur, dann folgen Geldpolitik, Europa, Haushalt, Finanz- und Arbeitsmarkt sowie aktuelle Sonderthemen.

Der organisatorische Rahmen

Der Rat hat einen Etat von 2,1 Millionen Euro. Er residiert beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden und beschäftigt einen Stab von 13 Mitarbeitern – die Lehrstühle der Ratsmitglieder sind in der Regel nicht involviert. Acht weitere Mitarbeiter kümmern sich in einer Geschäftsstelle um das Sammeln und Aufbereiten von Zahlen und Statistiken. Die Koordination übernimmt Generalsekretär Jochen Andritzky, ein 38-jähriger Ökonom, der zuvor beim IWF gearbeitet hat.

Die Köpfe

Die fünf Ratsmitglieder betreuen jeweils ein eigenes Kapitel des Gutachtens. Der Vorsitzende Christoph Schmidt (Universität Bochum) ist für Arbeit und Energie zuständig, Isabel Schnabel (Mainz) für die Finanzmärkte. Lars Feld (Freiburg) kümmert sich um die Staatsfinanzen, Volker Wieland (Frankfurt) um Geld- und Europapolitik. Der für seine Minderheitsvoten bekannte Peter Bofinger (Würzburg) ist ebenfalls auf Europapolitik gebucht.

Die Ratsmitglieder werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt, ihre Amtszeit beträgt fünf Jahre und ist verlängerbar. Traditionell dürfen Gewerkschaften und Arbeitgeber über je einen Vertreter mitbestimmen. Das Gewerkschaftsticket hat seit 2004 Peter Bofinger, für die Arbeitgeber ist Volker Wieland im Rennen.

Die Ratsmitglieder erhalten eine Aufwandsentschädigung von jährlich 33.000 Euro, der Vorsitzende bekommt 37.000 Euro. Jedes Jahr im März läuft eine Amtsperiode aus. 2016 ist es die von Lars Feld – was Gerüchte nährt, er werde danach den vakanten Präsidentenposten beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim übernehmen.

Der Weg zum Gutachten

Bereits zu Jahresbeginn bespricht der Rat die Schwerpunkte für das nächste Gutachten. Im März legt er eine aktualisierte Konjunkturprognose vor, in den Wochen danach bastelt der wissenschaftliche Stab an einer Gliederung und präsentiert erste Analysen. Bisweilen holt der Rat auch externe Gutachten ein. Im Juni tauschen sich die Ökonomen mit Gewerkschaften und Spitzenverbänden der Wirtschaft aus. Danach wird eine erste Fassung des Gutachtens erstellt und mit der Politik (Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsministerium) und Institutionen wie Bundesbank und Arbeitsverwaltung diskutiert.

Ab Oktober treffen sich die Ökonomen jede Woche für zwei bis drei Tage in Wiesbaden, um über Analysen, Schlussfolgerungen und Formulierungen zu debattieren und zu streiten. Anfang November kommt es zur traditionellen Schlusspolitur: Die Ökonomen lesen sich drei Tage lang das gesamte Gutachten vor – eine besondere Art des Feinschliffs.

Bisweilen geht die Diskussion nach Feierabend weiter, wenn auch in anderem Rahmen: Seit Jahren wohnen die Ökonomen während der heißen Phase im selben Hotel an der Wiesbadener Kapellenstraße.

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