Wirtschaftswissenschaft Werner Sombart - der Geschichtenerzähler

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Geburt aus dem Geist der Verschwendung

Freilich, seine Nähe zum Marxismus, seine methodische Freiheit, seine national gefärbte Zivilisationskritik und seine rassisch getrübte Typologie – das alles führte ihn in die akademische Isolation. Erst 1918, im Alter von 55 Jahren, erhielt Sombart einen Ruf an die Universität Berlin. Andererseits stieg er in den Zwanzigerjahren zum führenden Theoretiker des Kapitalismus auf. Seine Schriften erlebten hohe Auflagen, seine Thesen wurden heftig diskutiert, und sein enormes institutionelles Engagement – etwa als Vorstand im Verein für Socialpolitik, in der Gesellschaft für soziale Reform oder in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie – begünstigte seine Popularität als Redner, ehe er sich in seinen Siebzigern, anfangs sympathisierend, anbiedernd und auf Einfluss hoffend, später enttäuscht und auf Abstand bedacht, mit den „Hakenkreuzlern“ arrangierte.

An der Aktualität seines Versuchs, die Existenz eines „kapitalistischen Geistes“ aufzuweisen, ändert das nichts, im Gegenteil: Dieser Geist weht uns als „Diktat der Zahl“ und als „Herrschaft des Geldes“ heute heftiger denn je an. Die bleibende Leistung Sombarts besteht demnach darin, dass er – quer zur naiv-unhistorischen (und normativen) Erzählung der klassischen Nationalökonomie von der Arbeitsteilung als Urszene des Kapitalismus – die Genesis der kapitalistischen Gesinnung nachzeichnet und den Rationalisierungsprozess ohne ethisches Sentiment, mit gleichsam notarieller Neutralität dingfest macht. Mehr noch: Sombart öffnet uns nicht nur die Augen dafür, dass es immer der „Geist“ ist, der der Zeit ihr Gepräge gibt, sondern auch der Geist der Zeit, dem wir unser (eingeschränktes) Nachdenken über sie verdanken – als Gefangene unserer Wirtschaftsgesinnung.

Wem das zu theoretisch ist, der erfreue sich zum Beispiel an Sombarts plastischer Schilderung des Frühkapitalismus, also jener Phase des Übergangs, während der sich die kapitalistische Wirtschaftsgesinnung (Stadt, Geld, anonyme Geschäftsbeziehung, Erwerbsprinzip) innerhalb der feudalistischen (Land, Naturalien, Personalität, Nahrungsprinzip) gegen diese durchsetzt. Die Originalität, mit der Sombart die Geburt des Kapitalismus aus dem Geist der Verschwendung beschreibt, wie er konsumfreudige Könige und tandverliebte Hofdamen die kapitalistische Wirtschaft auf Trab bringen und rund um Paläste, Burgen und Villen die moderne Stadt entstehen lässt, wie er die Verwöhnung der Kurtisanen zum Zellkern des Fernhandels erklärt (Seide!) und das Prachtbedürfnis Madame de Pompadours zum Nukleus der Textilindustrie – das ist und bleibt ganz großes Wirtschaftskino.

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