Wissenschaft Eiserne Gesetze der Ökonomik gibt es nicht

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Mehr Bescheidenheit

Broker Quelle: dpa

Insbesondere das Tempo der Finanzmärkte – Stichwort Hochfrequenzhandel – läuft heutzutage mit der Geschwindigkeit der Veränderungen in der realen Wirtschaft nicht (mehr) synchron. Das schadet der realen Wirtschaft. Statt ihr Schmieröl zu sein und für einen reibungslosen Ablauf von Markttransaktionen zu sorgen, treiben die Finanzmärkte die Güter-, Arbeits- und Kapitalmärkte wie einen Spielball vor sich her. Das wäre kein makroökonomisches Problem, sondern eine nützliche Informationshilfe, wenn Finanzmärkte effizient wären. Das sind sie aber nicht. Vielmehr ist ihr Versagen die Regel und eben nicht die Ausnahme.

Um realitätsnähere und damit relevantere Einsichten in das Zusammenspiel von Real- und Finanzwirtschaft zu liefern, muss die Makroökonomie das Wesen der Finanzmärkte besser analysieren. Sie muss anerkennen, dass das Eigeninteresse der Spieler und die Eigendynamik der Prozesse zu einem Eigenleben der Finanzmärkte führen. Damit Finanzmärkte, bewertet aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive, effizient funktionieren, bedarf es nicht unbedingt mehr, aber zumindest einer besseren Regulierung der Spieler und ihrer Verhaltensweisen.

Globalisierung frisst Inflation

Ein letzter Punkt: Es ist gemeinhin akzeptiert, „dass Geldmengenwachstum die wirkliche Ursache der Inflation ist und dass die Gesellschaft nur kurz-, aber nicht langfristig zwischen der Höhe der Inflationsrate und der Höhe der Arbeitslosenquote wählen kann“ (Gregory Mankiw). So richtig diese Erkenntnis für die Vergangenheit gewesen sein mag, so zögerlich sollte man sie als Gesetz herbeizitieren. Es bleibt offen, welchen Mechanismen die geldpolitischen Kanäle in einer global hochgradig verflochtenen Weltwirtschaft folgen. Einmal weil Globalisierung Inflation frisst, also irgendwo in der Welt immer ein günstige(re)s Angebot für eine Nachfrage zu finden ist. Aber auch, weil elektronisches Geld und virtueller Zahlungsverkehr zu einer Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft geführt haben, die eine neue Analyse der Geldpolitik erforderlich machen.

Und – welche eisernen Gesetze der Ökonomik bleiben übrig? Vor allem wohl das Gesetz, dass es in der Ökonomik keine wirklichen Gesetze gibt. Zweitens, dass die Mikroökonomik einige grundsätzliche Erkenntnisse liefert, wie Menschen ticken. Dass aber, drittens, sich daraus keine makroökonomischen Prinzipien ableiten lassen, weil die gesellschaftlichen und (polit-)ökonomischen Gleichgewichte alles andere als stabil sind. Was zu je seiner Zeit in einer von individuellen Interessen und gesellschaftlichen Normen geprägten Wirtschaftspolitik als vor- oder nachteilig bewertet wird, ist und bleibt eine zeitbedingte, subjektive Einschätzung. Das Zusammenwirken von Menschen sorgt für ein stets erneuertes Spannungsfeld der Kräfte mit nicht vorhersehbaren Ergebnissen. Eben deshalb muss es viertens in der Makroökonomik vor allem um das Verständnis von Ungleichgewichten gehen.

Weniger Wahrheit - mehr Erkenntnis

Keine Hoffnung also für die Ökonomik, überzeugende, nützliche und relevante Erkenntnisse zu liefern? Doch, aber mehr Bescheidenheit ist angezeigt. Ökonomik kann helfen, zu verstehen, nicht aber festzulegen, was die richtigen Antworten auf komplexe Zukunftsprobleme sein können. Die Erkenntnisse der Ökonomik dürfen nicht als in Stein gemeißelte Wahrheiten verstanden werden, sondern als Hilfsmittel: Man kann mit ihnen die Vor- und Nachteile von Entscheidungen offenlegen, die Kosten und den Nutzen von bestimmten Verhaltensweisen aufzeigen, die Entwicklung und Dynamik von Aktion und Reaktion erkennen und verschiedene Szenarien – immer wieder neu – durchspielen. Kurzum: Weniger Wahrheitsanspruch verspricht mehr Erkenntnis.

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