Zoff im Ökonomen-Lager Ist die VWL verbohrt?

Linksorientierte Volkswirte werfen dem altehrwürdigen Verein für Socialpolitik wissenschaftliche Ausgrenzung vor. Zum Jahreskongress der Ökonomenvereinigung organisieren die Kritiker nun eine Konkurrenzveranstaltung.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Quelle: Fotolia

Das Programm steht, die Räume sind gebucht und die Studien geschrieben: Von diesem Sonntag an treffen sich an der Universität Münster rund 800 Ökonomen zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik (VfS).

Es ist die wichtigste Zusammenkunft von Wirtschaftswissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. Auf rund 160 Sitzungen werden bis einschließlich Mittwoch 500 neue Studien und Arbeitspapiere vorgestellt, von der Wachstums- und Arbeitsmarkttheorie bis hin zur Umwelt- und Gesundheitsökonomie.

Ob es dabei aber nur harmonisch zugeht, ist eine andere Frage. Der 1873 gegründete VfS, mit rund 3800 Mitgliedern eine der renommiertesten Ökonomenvereinigungen Europas, muss sich des Vorwurfs erwehren, er grenze wissenschaftskritische Querdenker aus und vertrete einseitig eine neoklassische Mainstream-Ökonomie.

Deutschsprachige Ökonomen und Soziologen des 20. Jahrhunderts

„Ökonomen, die den Marktmechanismus und das herrschende positivistische Wissenschaftsverständnis hinterfragen, sind auf der Tagung nicht erwünscht“, behauptet Lisa Großmann. Sie ist eine von vier Vorsitzenden des Netzwerks Plurale Ökonomik (NPÖ), in dem sich knapp 30 deutsche Hochschulgruppen organisiert haben.

Während Netzwerkvertreter 2014 noch eine eigene Sitzung organisieren durften, seien sie 2015 ausgeschlossen worden, so Großmann. Es gibt zwar auch auf der diesjährigen Tagung eine Session zur „pluralen Ökonomik“, die aber wird von Dennis Snower organisiert, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft. Großmann: „Das hat die plurale Szene vor den Kopf gestoßen.“

Die Reaktion: Die Heterodoxen, wie sie in der Ökonomenszene heißen, werden nun 500 Meter vom Tagungsort entfernt im Fürstenberghaus eine Konkurrenzveranstaltung abhalten. Mit im Boot sind mehr als ein Dutzend Institute, Hochschulen und Vereinigungen, darunter die Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, die Cusanus-Hochschule, die World Economics Association und das bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung angesiedelte Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
János Kornai Quelle: Creative Commons
Lorenz von Stein Quelle: Creative Commons
Steuererklärung Quelle: AP
Mancur Olson Quelle: Creative Commons
Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Auch illustre Gruppen wie die Initiative Ökosozialismus wollen ihr Weltbild darlegen. Das NPÖ hat in einem „Aufruf an alle heterodoxen ÖkonomInnen und Vereinigungen“ gebeten, wissenschaftliche Papiere einzureichen, etwa zu „Keynesianismus, Euro-Krise, Verteilungsfragen, Postwachstum und Feminismus“.

Die heterodoxe Szene lehnt die neoklassische Lehre mit ihren Gleichgewichts-, Effizienz- und Maximierungsannahmen überwiegend ab. Hier sammeln sich linke Ökonomen, die mit Kapitalismus, Markt- und Wachstumsorientierung grundsätzliche Probleme haben, aber auch Libertäre und junge Wissenschaftler, denen die VWL zu mathematisch, zu geschichtsvergessen und zu wenig interdisziplinär erscheint.

Lange schwelender Streit

Der Streit mit dem VfS schwelt schon länger. Bereits 2012 hatten Wissenschaftler in Göttingen eine Konkurrenzveranstaltung zur VfS-Tagung organisiert. Damals kam als Stargast ein Makroökonom namens Oskar Lafontaine.

Im vergangenen Jahr erhielten heterodoxe Ökonomen auf der VfS-Jahrestagung in Hamburg dann eine eigene Sitzung zum Thema Vollgeld, organisiert unter anderem vom Erfurter Ökonomieprofessor Helge Peukert. Allerdings sei das Gebotene nicht übermäßig gehaltvoll gewesen, heißt es beim VfS. Die Heterodoxen hätten ihre Chance „nicht überzeugend genutzt“, es habe intern viel Kritik an Inhalten und Methoden gegeben.

Der Verein weist den Vorwurf der wissenschaftlichen Ausgrenzung denn auch scharf zurück. In der Tat gab es im Vorfeld der Tagung mehrere – durchaus konstruktive – Gespräche zwischen Großmann und der VfS-Vorsitzenden Monika Schnitzer. Die Ankündigung einer Gegenveranstaltung hat den Verein aber überrumpelt. Ursprünglich hatte Schnitzer den Heterodoxen eine eigene Sitzung für 2016 in Aussicht gestellt.

Ob das Angebot aufrechterhalten bleibt, müsse nun im Vorstand neu diskutiert werden, heißt es beim VfS. Schnitzer: „Das Netzwerk hat keinen Alleinvertretungsanspruch auf pluralistische Ansätze“.

Die Kritiker hoffen derweil auf eine Abstimmung mit den Füßen. Die Teilnehmer der VfS-Tagung seien herzlich eingeladen, bei der Konkurrenz vorbeizuschauen – etwa bei einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Wie plural sollte die Jahrestagung deutschsprachiger Ökonomen sein?“

Ein temporärer Überläufer steht schon fest: An der Debatte wird unter anderem Rüdiger Bachmann teilnehmen - der Nachwuchsbeauftragte des VfS.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%