Konjunkturschub Deutschland ist wieder da

Nach dem vielleicht besten zweiten Quartal seit vielen Jahren sind weite Teile der Wirtschaft in bester Stimmung. Mehrere wichtige Branchen melden volle Auftragbücher. Der Schub könnte noch Monate tragen. Langfristig wächst die deutsche Wirtschaft aber nur langsam, warnen Konjunkturforscher.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Bau und andere wichtige Branchen melden volle Auftragsbücher, die Konjunktur zieht an. Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Wenn es um Konjunktur geht, gerät Rainer Brüderle neuerdings regelrecht ins Schwärmen. "Deutschland ist wieder da - nicht nur sportlich, auch wirtschaftlich", lobt der FDP-Wirtschaftsminister. Deutschland sei mittlerweile die "Konjunkturlokomotive für die gesamte Europäische Union".

Das klingt wie ein Abrücken von der eigenen Konjunkturprognose. Ende April hatte Brüderle für dieses Jahr 1,4 und für nächstes 1,6 Prozent Wirtschaftswachstum vorhergesagt. Turnusmäßig wird die Regierungsprognose erst im Oktober überarbeitet. Doch im Regierungslager ist man überzeugt, dass es besser läuft.

Die meisten Volkswirte erwarten für Deutschland bereits rund zwei Prozent Wachstum in diesem Jahr. Und auch 2011 dürften noch 1,5 Prozent drin sein, obwohl die Konjunkturprogramme rund um den Globus auslaufen.

Für das gerade abgelaufene zweite Quartal geht das Institut für Weltwirtschaft sogar davon aus, dass die Wirtschaft so rasant gewachsen ist wie seit 14 Jahren nicht mehr - fast 1,5 Prozent allein gegenüber dem ersten Quartal.

Aufschwung in allen Branchen

Gute Nachrichten lieferten gestern gleich mehrere Branchen: Der Maschinenbau bekam im Mai 61 Prozent mehr Aufträge als im Vorjahresmonat. Zwar sei der Mai 2009 der schwächste Monat überhaupt gewesen, sagte Verbandsvolkswirt Olaf Wortmann. Doch beruhe der hohe Zuwachs nicht nur auf diesem Basiseffekt. "Fast alle Bereiche laufen im Plus." Bei Gießerei-, Textil- und Bergbaumaschinen hätten die Aufträge um über 100 Prozent zugelegt.

Auch im krisengeschüttelten Einzelhandel gab es Lichtblicke: Die Läden setzten im Mai real 0,4 Prozent mehr um als im Vormonat. "Konsum und Einzelhandel dürften sich stabilisieren", sagte Jürgen Michels von der Citigroup. Gründe seien der Rückgang der Kurzarbeit und die steigende Beschäftigung.

Der Bau boomt bundesweit

Das Geschäftsklima im ostdeutschen Baugewerbe hellte sich ebenfalls kräftig auf. Der "auffallend positive Grundton" ziehe sich durch alle Sparten, vor allem die Geschäftslage habe sich nochmals deutlich verbessert, sagte Brigitte Loose vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Dass der Bau auch bundesweit boomt, signalisiert die Architekten-Umfrage des Ifo-Instituts: Das Volumen der Neuaufträge stieg danach zum Vorquartal um fast ein Fünftel, das Auftragspolster reicht nun für knapp sechs Monate - der beste Wert seit Mitte der 90er-Jahre, so Ifo-Ökonom Erich Gluch.

IG Metall bereitet Kurswechsel vor

Ebenso aufmerksam wie Brüderle verfolgt indes auch die IG Metall die Konjunktur - und justiert ihren Kurs neu. Ihr baden-württembergischer Bezirkschef Jörg Hofmann kündigte gestern an, die "Einkommensinteressen" der Beschäftigten künftig wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Vereinzelt ist sogar bereits von einem "tarifpolitischen Nachschlag" die Rede.

Das Problem der Metaller: Erst im Februar hatten sie einen langfristigen Krisenpakt geschlossen. Dieser sieht für 2010 gar keine Tariferhöhung vor, dafür aber Jobsicherungsklauseln mit betrieblicher Absenkungsoption. Solche Vereinbarungen würden nun nicht mehr verlängert, kündigte Hofmann an.

Prognos-Studie: Industrie bleibt Herzstück

Deutschland muss sich in den nächsten 25 Jahren auf niedrige Wachstumsraten einstellen. Die Konjunkturforscher der Baseler Prognos AG, die heute in Berlin den "Deutschland-Report 2035" vorstellt, rechnen damit, dass die Wirtschaftsleistung im Schnitt nur um ein Prozent pro Jahr wachsen dürfte. Grund ist nicht zuletzt die schrumpfende Bevölkerung. Ein immer größerer Anteil der Arbeitnehmer wird künftig in der Dienstleistungsbranche arbeiten. Während die Beschäftigung im Servicesektor kaum zurückgeht, sinkt die Zahl der Erwerbstätigen in der Industrie zwischen 2010 und 2035 um insgesamt 12,7 Prozent, schätzt Prognos.

Gleichwohl dürfe dieser Trend nicht mit Deindustrialisierung gleichgesetzt werden, sagt Prognos-Chef Christian Böllhoff. Im Gegenteil: Der Wertschöpfungszuwachs falle im verarbeitenden Gewerbe mit einer Rate von 1,3 Prozent sogar höher aus als im Dienstleistungsbereich. Allerdings sorgten die höheren Produktivitätsfortschritte dafür, dass in der Industrie entsprechend weniger Beschäftige benötigt würden.

Die Industrie bleibe "wichtiger Treiber der Volkswirtschaft". Viele Dienstleistungen, die früher von industriellen Betrieben selbst erbracht wurden, seien inzwischen ausgelagert und würden statistisch als Dienstleistungen ausgewiesen. Insgesamt werde Deutschland mehr und mehr zur "industriellen Dienstleistungsgesellschaft".

Dabei dürfte künftig ein noch größerer Anteil der Produktion ins Ausland verkauft werden. Steuern die Exporte heute 48 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, werden es in 25 Jahren 72 Prozent sein. Mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2,7 Prozent expandierten die Exporte fast dreimal so stark wie die Gesamtwirtschaft. Der Handelsbilanzüberschuss werde von 4,4 auf 8,5 Prozent des BIP ansteigen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%