Lohnnebenkosten Viel Druck im Beitragskessel

Die Lohnnebenkosten sollen runter. Aber bisher heben sich viele Maßnahmen gegenseitig auf. Handelsblatt.com gibt einen Überblick über die Problemfelder der deutschen Politik im Jahr 2006:

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Eine Senkung der Lohnnebenkosten soll mehr Arbeitsplätze schaffen. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

Arbeitsmarkt

Die Zukunft der Arbeitsmarktpolitik entscheidet sich in einer Arbeitsgruppe. Im neuen Jahr, so haben es Union und SPD im Koalitionsvertrag festgelegt, soll eine Runde aus Fachpolitikern ein Konzept für ein Kombilohnmodell entwickeln. Dahinter steht die Absicht, niedrig entlohnte Tätigkeiten durch staatliche Zuschüsse attraktiver zu machen. Vor allem gering qualifizierte Langzeitarbeitslose sollen damit bessere Chancen auf einen regulären Job bekommen.

Unumstritten ist, dass auf diesem Feld ein wichtiger Schlüssel zum ersehnten Aufschwung am Arbeitsmarkt liegt. Denn gut 40 Prozent aller Arbeitslosen sind ohne Ausbildung. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist beinahe deckungsgleich. Das Problem ist, dass passende Jobs für die Betroffenen aus Arbeitgebersicht nicht mehr rentabel sind, wenn der Lohn oberhalb der Arbeitslosenunterstützung liegt.

Im Detail sind aber noch erhebliche Differenzen in der Koalition zu überbrücken. Die Kombilohn- Initiative geht von der Union aus, die SPD will im gleichen Zusammenhang Mindestlöhne regeln, die es bisher nur für das Baugewerbe und einige Nachbarbereiche gibt. Trotzdem steht die politische Absicht, darüber "im Verlauf des Jahres 2006 Lösungen herbeizuführen". Daneben soll die Bedürftigkeitsprüfung bei "Hartz IV" verschärft werden, um die im alten Jahr mit 25 Mrd. Euro unerwartet hohen Ausgaben für das Arbeitslosengeld II unter Kontrolle zu bringen. Zugleich wollen Union und SPD in der ersten Jahreshälfte das Arbeitslosengeld II im Osten um 14 Euro auf den westdeutschen Regelsatz von 345 Euro anheben.

Im späteren Jahresverlauf steht ein weiterer wichtiger Beschluss auf der Agenda: Der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung soll zum 1. Januar 2007 von 6,5 auf 4,5 Prozent des Bruttolohns gesenkt werden. Ob die Bundesagentur für Arbeit (BA) wie geplant einen der zwei Beitragspunkte durch eigene Einsparungen finanzieren kann, wird auch vom Verlauf der Konjunktur abhängen. Der andere Beitragspunkt soll über die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer aus dem Bundesetat finanziert werden.

Gesundheit

Wie gewonnen, so zerronnen: Nach dieser Devise droht den Wählern, das, was sie durch eine Senkung des Arbeitslosenbeitrags an Nettoeinkommen ab 2007 gewinnen sollen, durch höhere Krankenkassenbeiträge wieder zu verlieren. Schon im nächsten Jahr wollen einige Kassen die Beitragssätze erhöhen. 2007 werden alle Krankenkassen anheben müssen, wenn die Politik nicht gegensteuert.

Union und Sozialdemokraten haben diese Krise selbst heraufbeschworen, als sie beschlossen, den Kassen ab 2004 den Steuerausgleich für versicherungsfremde Leistungen in Höhe von 4,2 Mrd. Euro 2007 wieder wegzunehmen. Sie haben damit künstlich zusätzlichen Reformdruck geschaffen.

Was bislang fehlt, ist ein gemeinsames Konzept. Beim Streit Bürgerversicherung (SPD) gegen Gesundheitsprämie gibt es nur den im Koalitionsvertrag vereinbarten guten Willen, nach einem dritten Weg zu suchen. Konkrete Inhalte: Fehlanzeige. Auch beim Thema mehr Wettbewerb gibt es nur Lippenbekenntnisse.

Dagegen stehen 450 Lobbyverbände, die jede Änderung des Status quo verhindern wollen. Dort werden schon heute Wetten angenommen, dass im nächsten Jahr statt der großen Gesundheitsreform nur ein neues Kostendämpfungsgesetz mit Leistungskürzungen und höheren Zuzahlungen der Patienten verabschiedet wird. Es wäre das 38. seit 1977.

Rente

Auf eine kurzfristige Entspannung der Lage in den kommenden zwölf Monaten setzen hingegen die Rentenpolitiker. Der im abgelaufenen Jahr erstmals notwendige Kredit des Bundes von 900 Mill. Euro ist zurückgezahlt, und 2006 dürfte sich die Liquidität der Alterskassen etwas verbessern. Für eine Entwarnung besteht jedoch kein Anlass. Im Gegenteil: Die Einnahmeverbesserung im neuen Jahr beruht alleine auf einem Einmaleffekt. Die Arbeitgeber müssen ihre Beiträge nämlich künftig schon 14 Tage früher überweisen. Dadurch kassieren die Rentenkassen 2006 insgesamt 13 Überweisungen.

Verbergen lassen werden sich die Probleme trotzdem nicht. Spätestens im März will Schwarz-Rot nämlich den seit November überfälligen Rentenversicherungsbericht vorlegen, der eine mittelfristige Beitragsprognose enthalten muss. Schon die Vorhersage des vergangenen Jahres hatte mittelfristig einen Beitragsanstieg auf exakt 20,0 Prozent vorhergesagt. Bei Überschreitung dieses Wertes muss der Gesetzgeber dem Bundestag Gegenmaßnahmen vorschlagen. Seither hat sich die Einnahmesituation der Sozialversicherungen deutlich verschlechtert. Zudem will die große Koalition die Bundeszuschüsse einfrieren und die Rentenbeiträge der Langzeitarbeitslosen kürzen, was weitere Löcher in die Alterskassen reißt.

Experten sind daher fest davon überzeugt, dass die neue Prognose einen Anstieg auf über 20 Prozent aufzeigt. Die Frage ist nur, wie schnell diese Beitragsschallgrenze durchbrochen wird. Die Rentenkassen befürchten bereits für das Jahr 2007 einen Satz von 20,0 und für 2008 einen Satz von 20,1 Prozent. Die Koalition hat bislang lediglich für 2007 eine Anhebung von derzeit 19,5 auf 19,9 Prozent angekündigt.

Frühestens im nächsten Jahrzehnt wird ein weiteres Vorhaben von Schwarz-Rot erste Früchte tragen:Das Renteneintrittsalter soll ab 2012 bis spätestens 2035 in kleinen Schritten von derzeit 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Die Details sollen 2007 gesetzlich geregelt werden. dc/pt/doe

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%