Utz Claassen „Niveau im Umgang“

Der scheidende EnBW-Chef Utz Claassen über seine Erfahrung mit dem französischen Großaktionär EDF, über Protektionismus und die französische Streitkultur.

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Utz Claassen, 44, ist Vorstandschef von EnBW, dem drittgrößten deutschen Energiekonzern und Mitglied im Comité Exécutif des französischen Stromversorgers EDF. Er will seinen offiziell bis Mai 2008 laufenden Vertrag nicht verlängern. Foto: AP

WirtschaftsWoche: Herr Claassen, Sie sind Chef eines deutschen Unternehmens mit einem französischen Staatskonzern als Großaktionär, der in der Wirtschaftspolitik Frankreichs eine wichtige Rolle spielt. Kann Frankreich für uns Vorbild in der Industriepolitik sein? Utz Classen: Ja, wir können von den Franzosen lernen. Sie sind sehr gute Freunde und Nachbarn. Industriepolitik ist wichtig, das zeigt sich übrigens auch im Energiebereich. Energiepolitik soll dem Klimaschutz dienen, muss aber auch Wachstums-, Beschäftigungs- und Industriepolitik sein. Wir dürfen deshalb in Deutschland die Debatte nicht allein auf das Klima beschränken. Praktizieren die Franzosen nicht eine Industriepolitik, die protektionistisch ist und nur Frankreich dient – auf unsere Kosten? Das würde ich so nicht sagen. Wir gehen sicherlich in Deutschland einen etwas anderen Weg – und trotzdem kann sich unsere wirtschaftliche Bilanz sehen lassen. Generell ist es Politikern im Übrigen nicht verboten, sich für die nationalen Interessen ihres Landes und seiner Unternehmen einzusetzen. Auch da können wir im Einzelfall von Frankreich lernen. Waren wir Deutschen in den vergangenen Jahren zu naiv im Umgang mit Frankreich? Nein. Im Unterschied zu verschiedenen anderen Ländern, insbesondere Asiens, haben England und Deutschland die Offenheit ihrer Märkte betont, und das hat vor allem in Großbritannien zu großen Verschiebungen in den Eigentümerverhältnissen geführt – was die Briten übrigens nicht unbedingt als Nachteil empfinden. Doch angesichts dessen, was in China und Indien entsteht, lautet die Frage ohnehin nicht: mit oder ohne Frankreich, genauso wenig wie mit oder gegen die USA. Wenn wir bei dem Fleiß, den niedrigen Löhnen und den langen Arbeitszeiten in China oder Indien langfristig wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir mit allen Partnern auf beiden Seiten des Nordatlantiks an einem Strang ziehen. Wir werden nur gemeinsam erfolgreich sein. In Frankreich sind die wirtschaftlichen und politischen Eliten durch das Studium an den Grandes Ecoles eng vernetzt – ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn Politiker wissen, wie Unternehmer denken? Auf jeden Fall. Wir brauchen bei uns einen sehr viel intensiveren Austausch zwischen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft. Politiker sollten mehr Einsicht in ökonomische Prozesse und umgekehrt Unternehmen mehr Verständnis für politische Abläufe und Sachzwänge haben. Je mehr Austausch wir bekommen, desto besser. Das betrifft auch einen gezielten Personaltransfer in beide Richtungen. Führt das nicht in Frankreich dazu, dass Politiker auf dem kleinen Dienstweg Handlanger von Wirtschaftsinteressen werden? Das kann ich nicht beurteilen. Ich persönlich habe so einen Fall nicht erlebt. Bei EnBW hat sich die französische Seite nicht eingemischt? Nein. Ich habe nie etwas als unzulässige Einmischung empfunden, und schon gar nicht gegen meine Person. Was ich in über vier Jahren mit dem Aktionär und strategischen Partner EDF erlebt habe, war von großem Vertrauen, Partnerschaft und Freundschaft geprägt. Die Arbeit zeichnete sich durch intensive Diskurse und hohe Sachlichkeit aus. Gelegentlich wurde anderes kolportiert, etwa im Zusammenhang mit Ihrem Ausscheiden bei EnBW. Was diesbezüglich teilweise behauptet wurde, ist absurd. Ich hatte und habe ein sehr gutes professionelles und persönliches Verhältnis zu EDF-Präsident Pierre Gadonneix, wir konnten und wir können alle Themen jederzeit in großer Offenheit besprechen. Hat sich das auch in Ihrer Einbindung in die Hierarchien bei EDF gezeigt? Oder warum waren Sie der erste Deutsche im Führungsgremium Comité Exécutif des Unternehmens? Das war sicherlich eine positive und ungewöhnliche Geste. Dadurch entstand ein noch größeres Vertrauen und Verständnis für die wechselseitigen Interessenlagen. Insofern hat diese Ernennung sowohl der EnBW als auch ihrer Partnerschaft mit der EDF gedient. Ist es für deutsche Unternehmer schwierig, mit Franzosen einen Deal auszuhandeln? Überhaupt nicht. Franzosen sind allgemein sehr präzise in der Artikulation, sehr strukturiert und sehr klar. Deshalb erschienen mir die Gespräche immer besonders professionell und zielführend. Ich muss sogar sagen, dass meine französischen Gesprächspartner in der Artikulation mitunter wesentlich präziser und differenzierter waren, als man das von Deutschen manchmal sagen kann. Und wenn es richtigen Streit gibt? Bei all meinen Kontakten mit Frankreich ist mir aufgefallen, dass die Franzosen eine stets intellektuelle Form des Diskurses pflegen, der selbst bei deutlichen Meinungsverschiedenheiten nie ins Polemische oder Persönliche abgleitet. Franzosen haben Kultur und Niveau im Umgang miteinander – da könnten wir uns sogar ein wenig abschauen. Akzeptieren die Franzosen deutsche Chefs – oder läuft das wie bei EADS darauf hinaus, dass sie ihre Leute installieren? Ich kann nur über meine eigenen Erfahrungen sprechen und muss sagen, dass die Akzeptanz jederzeit sehr gut war – und die Unterstützung im Übrigen auch. Deutschland ist Exportweltmeister – wieso hat Frankreich den Boom verpasst? Beide Länder haben große Stärken. Die meisten ökonomischen Indikatoren zeigen, dass Deutschland und Frankreich im globalen Vergleich sehr eng beieinanderliegen. Unsere Volkswirtschaften sind vergleichbar, wir haben ähnliche Stärken und Schwächen. Es gibt nur ein paar Unterschiede. Deutschland hat einen sehr spezialisierten, an Technologie orientierten exzellenten Mittelstand mit hoher Exportrelevanz. Dafür haben die Franzosen ihre nationalen Champions gut etabliert. Und sie können uns bei der Geburtenrate und der Integration von Frauen in Arbeitsleben und Management ein Vorbild sein. Das deutsche Außenwirtschaftsrecht soll neben der Wehrtechnik künftig auch die Bereiche Energie, Verkehr und Banken schützen. Was halten Sie von einem staatlichen Vetorecht bei Firmenübernahmen? Als Ökonom sind mir Freiheit und Offenheit lieber, als politisch interessierter Mensch möchte ich aber nicht, dass der Staat die Interessen seiner Bürger vernachlässigt. An einer Stelle gibt es dabei eine gewisse Disparität: Das Kapital ist flexibler und mobiler als die Menschen. Politik hat die Aufgabe, diese Disparität auszugleichen und ökonomische Effizienz und soziale Verantwortung in Einklang zu bringen. Die Außenwirtschaft ist auch eine Frage der Reziprozität. Wir müssen uns ansehen, was weltweit bei unseren Partnern üblich ist. Wenn wir als Einzige Liberalisierung und Offenheit unserer Grenzen lebten, dann wären wir naiv. Wenn wir als Einzige Protektionismus betrieben, wären wir dumm.

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