Ökonomie Die Kraft der Gefühle

In Dutzenden Studien kommen Wirtschaftswissenschaftler immer wieder zu dem Schluss: Führungskräfte, die mitfühlen und Gefühle beeinflussen können, sind erfolgreicher als kühle Karrieristen. Wer emotional intelligent ist, trifft bessere Entscheidungen, führt sein Personal geschickter und macht schneller Karriere.

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Emotionale Intelligenz kann ein Schlüssel für den unternehmerischen Erfolg sein. Quelle: handelsblatt.com

KÖLN. In der Versand-Abteilung eines Medizintechnik-Herstellers zu arbeiten und Tag für Tag künstliche Hüftgelenke zu verpacken kann eine ziemlich eintönige Angelegenheit sein. Bei einer Hüftoperation dabei zu sein und den Patienten später bei den ersten Schritten mit dem neuen Gelenk zu begleiten ist dagegen sehr ergreifend.

Regelmäßig bringt der Duisburger Prothesenhersteller Stryker Beschäftigte mit Endkunden zusammen - nicht nur die Ingenieure, auch die Mitarbeiter im Vertrieb, im Einkauf und im Lager. Alle bei Stryker sollen begreifen, dass sie nicht einfach nur Kunststoff und Metall verarbeiten, sondern ein wichtiges Hilfsmittel für Menschen herstellen.

Für Jochen Menges, Betriebswirt an der University of Cambridge, ist der Mittelständler aus dem Ruhrgebiet ein Vorzeigebeispiel für eine neue Unternehmergeneration - für solche, die es verstehen, die Kraft der Gefühle für sich zu nutzen. "Das schafft Identifikation mit dem Produkt und der Firma", sagt Menges. Wie man dies umsetzen kann und welche Vorteile es mit sich bringt, das ist ein neues Forschungsgebiet in der Betriebswirtschaftslehre.

Die Ökonomen haben den Fachbegriff der Psychologen für die Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer Menschen hineinzudenken, übernommen: emotionale Intelligenz. Dazu gehören auch ein Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und die Gabe, Konflikte zu erkennen und zu lösen.

In Dutzenden Studien kommen Wirtschaftswissenschaftler immer wieder zu dem Schluss: Führungskräfte, die mitfühlen und Gefühle beeinflussen können, sind erfolgreicher als kühle Karrieristen. Wer emotional intelligent ist, trifft bessere Entscheidungen, führt sein Personal geschickter und macht schneller Karriere.

So hat ein Forscherteam um Stéphane Côté, Professor an der Rotman School of Management in Toronto, in Experimenten festgestellt: In einem Team ohne formale Hierarchie-Stufen, das gemeinsam ein Problem lösen muss, sind die Wortführer in der Regel Menschen mit überdurchschnittlich hoher emotionaler Intelligenz. "Traditionell hätten wir angenommen, dass die Wortführer einen höheren IQ haben, besonders gesellig sind oder eine dominante Persönlichkeit haben", sagt Côté. "Unsere Studie zeigt, dass es nicht nur auf diese klassischen Faktoren ankommt - was zusätzlich zählt, ist die Fähigkeit, die Gefühle der anderen Menschen lesen zu können." Der Betriebswirt ist überzeugt: Jede Führungskraft kann von dieser Fähigkeit, die auf keinem Lehrplan steht und die sich aus keinem Lebenslauf ablesen lässt, profitieren.

Die dunkle Seite erforschen

Richard Boyatzi, Verhaltensforscher an der Universität in Cleveland, kommt in einer Fallstudie zu einem ganz ähnlichen Schluss. Boyatzi ließ die Mitarbeiter einer Unternehmensberatung die emotionale Intelligenz ihrer Top-Manager bewerten und verglich die Ergebnisse mit der Performance dieser Manager. Führungskräfte, denen ihre Mitarbeiter eine hohe emotionale Intelligenz attestierten, erwirtschafteten in den folgenden Quartalen die besten Ergebnisse.

Nicht nur auf individueller Ebene, auch für Unternehmen als Ganzes sind die positiven Effekte eines ausgeprägten Sinns für Gefühle greifbar. So stellte Jochen Menges am Beispiel von 156 deutschen Unternehmen fest: Dort, wo emotionale Kompetenzen stark ausgeprägt sind, ist die finanzielle Situation überdurchschnittlich gut. Die Firmen sind innovativer, Mitarbeiter seltener krank.

Allerdings sind emotional intelligente Manager keineswegs automatisch Softies. Sich besonders gut in die Gefühlslage anderer hineindenken zu können bedeutet nicht, für alles immer Verständnis zu haben. "Es geht nicht darum, alle im Unternehmen glücklich zu machen", betont Menges. "Die emotionale Intelligenz an sich ist ein wertfreies Konzept."

Manager könnten emotionale Intelligenz durchaus zulasten anderer einsetzen - zum Beispiel, indem sie strategisch wichtige Personen gezielt herausfiltern und emotional auf ihre Seite ziehen, die strategisch irrelevanten Mitarbeiter dagegen ignorieren.

Für Führungskräfte könne es sich auch lohnen, bei Mitarbeitern bewusst negative Gefühle wie Angst und Ärger hervorzurufen, argumentiert der Betriebswirt aus Cambridge. Wenn es Managern gelinge, die daraus entstehende Energie produktiv für das Unternehmen zu nutzen, sei das eine erfolgreiche Management-Strategie.

Negative Emotionen richtig zu kanalisieren erweist sich in der Praxis allerdings oft als schwierig: Denn negative Geschichten über Vorgesetzte verbreiten sich in Unternehmen wesentlich schneller als positive, zeigen die Organisationsforscher James Detert (Cornell University) und Linda Trevino (Pennsylvania State University) in einer Studie. Und Führungskräfte, die Angst und Schrecken verbreiten, dürften nicht damit rechnen, dass ihre Mitarbeiter offen mit ihnen reden und Probleme ansprechen oder Verbesserungsvorschläge machen.

Ohnehin sind die Grenzen zwischen einfühlsamem Verhalten und Manipulation fließend. Wer weiß, wie seine Mitmenschen ticken und wie er Gefühle beeinflusst, kann das ausnutzen. "Wie jede andere Begabung kann emotionale Intelligenz in guter und in schlechter Absicht eingesetzt werden", sagt Stéphane Côté.

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