Psychologie in der BWL Verhaltensforscher studieren den Betriebsalltag

Psychologische Erkenntnisse können viele Wissenslücken in der BWL schließen. Nun trauen sich Forscher vom Labor in die Unternehmen. Wie können Firmen die Erkenntnisse für ihre Zwecke nutzen? Welche Fehler sollten sie tunlichst vermeiden?

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Psychologische Erkenntnisse können viele Wissenslücken der BWL schließen. Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Als Herr Li Post von seinem Arbeitgeber Wanlida bekam, war er sehr erfreut. Der chinesische Elektrokonzern kündigte ihm an, vier Wochen später 320 Yuan mehr Gehalt zu bezahlen. Allerdings: Falls sein Team es bis dahin nicht schaffen sollte, mehr DVD-Player zu produzieren, würde ihm die Sonderzahlung wieder abgezogen.

Was Herr Li nicht wusste: Den Brief hatten nicht die Chefs des chinesischen Herstellers von Elektrogeräten formuliert. Er stammte aus der Feder zweier Wirtschaftswissenschaftler, die in der Fabrik eine groß angelegte Studie dazu machten, wie Beschäftigte auf Anreize reagieren.

Verhaltensforschung ist aus der Betriebswirtschaftslehre (BWL) nicht mehr wegzudenken. Bislang konnten Ökonomen nachweisen, dass Menschen nicht immer so rational handeln, wie es die klassischen Modelle unterstellen. So wiegen Verluste schwerer als Gewinne, Fairness-Aspekte spielen eine große Rolle, und persönliche Erfahrungen beeinflussen die Entscheidungen. Alle diese Belege dafür, dass Menschen aus Fleisch und Blut nicht wie ein "Homo oeconomicus" ticken, haben Forscher in den vergangenen Jahren in Laborexperimenten gesammelt.

Immer mehr Wissenschaftler wenden diese Erkenntnisse jetzt in der BWL an. Welche Bedeutung haben diese Phänomene in Unternehmen? Wie können Firmen die Effekte für ihre Zwecke nutzen? Welche Fehler sollten sie tunlichst vermeiden?

Allein mit Laborexperimenten kommen die Forscher dabei nicht weiter. Die Gemengelage in Unternehmen sei viel komplexer als im Labor, betont Margit Osterloh, Professorin am Institut für Organisation und Unternehmenstheorien an der Universität Zürich. Laborexperimenten stehe sie daher "kritisch" gegenüber.

Betriebswirte setzen daher auf Fallstudien in echten Firmen - sogenannte Feldexperimente. Doch bislang öffnen nur wenige Firmen ihre Türen für die Wissenschaft. "Unternehmen haben häufig - manchmal durchaus aus guten Gründen - Bedenken", weiß Dirk Sliwka, Personalökonom an der Universität Köln. Schließlich gehe es mitunter um sensible Daten, zum Beispiel über Mitarbeiter und Vergütungssysteme.

Unternehmen scheuten zudem, dass durch das Experimentieren mit Anreizsystemen die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden leiden kann. "Für echte Feldexperimente ist es essenziell, gezielt Strukturen nur für eine Teilgruppe von Mitarbeitern zu verändern und in einer Kontrollgruppe zu belassen", sagt Sliwka. Karim Sadrieh, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Uni Magdeburg, warnt: "Zerstörung des Arbeitsklimas und Sabotage können die schlimmsten Folgen sein." Das sei aber kein Grund, auf Feldversuche zu verzichten, betont Sadrieh. "Man muss nur behutsam vorgehen", mahnt er.

Den beiden Forschern, die Herrn Li geschrieben hatten - Tanjim Hossain von der Universität Toronto und John List von der Universität Chicago -, ist es gelungen, den chinesischen Elektronik-Konzern Wanlida für ein langfristiges verhaltensökonomisches Feldexperiment zu gewinnen.

Die Forscher beobachteten sechs Monate lang in einer Fabrik für DVD-Spieler bei 165 Mitarbeitern, wie sich verschiedene Bonussysteme auf die Produktivität auswirkten. Manche der Beschäftigten arbeiteten in kleinen Produktionsteams mit sieben bis 14 Kollegen zusammen, andere waren allein arbeitende Inspektoren, die die Funktionsfähigkeit der Geräte überprüften. Kein Beschäftigter wusste, dass er an einem wissenschaftlichen Experiment teilnahm.

Die Wissenschaftler untersuchten drei verschiedene Szenarien: Eine Gruppe bekam einen Bonus von 80 Yuan pro Woche ganz ohne Vorgaben zur Produktivität. Einer zweiten Gruppe stellte die Firmenleitung einen Bonus in Aussicht, wenn sie bestimmte Produktionsziele erreiche. Herrn Li und Kollegen versprachen sie einen Bonus mit der Auflage, dass sie ihn wieder zurückzahlen müssten, falls sie die Zielvorgabe nicht erreichten.

Selbst eine leistungsunabhängige Prämie steigerte die Produktivität der Arbeiter, stellten die Ökonomen fest. War der Bonus an das Erreichen eines Produktionsziels gebunden, stieg die Produktivität stärker - das Plus lag dann zwischen 12 und 18 Prozent. Wanlida konnte aber seine Mitarbeiter noch mehr motivieren, wenn das Unternehmen Boni gewährte und drohte, diese wieder abzuziehen, falls das Produktionsziel verfehlt wird. Mit dieser Drohung konnte Wanlida die Produktivität noch um einen weiteren Prozentpunkt steigern.

Die Angst vor einem Verlust mobilisierte die Mitarbeiter also offenbar stärker als die Aussicht auf einen Bonus. Diese Verlustaversion hatten 1979 bereits Daniel Kahneman und Amos Tversky in ihrer Prospect-Theorie erklärt. Die allermeisten Verhaltensforscher berufen sich auf diese Theorie.

Hossain und List zeigen in ihrer Studie zudem, dass die Verlustaversion in den Teams offenbar stärker wirkt als bei Beschäftigten, die allein arbeiten.

Als Grund vermuten sie den sozialen Druck innerhalb der Teams. "Der einzelne Arbeiter ist in den Teams dann besonders darauf bedacht, nicht derjenige zu sein, der dem Team den Bonus verwehrt." Sie belegen das damit, dass die Drohvariante in den Gruppen noch besser abschnitt als bei den individuell betrachteten Inspektoren.

Für das Unternehmen zahlte sich das Experiment aus: Die Fehlerquote stieg trotz der höheren Produktionszahlen nicht. Und hätte das Unternehmen die Mehrproduktion mit zusätzlichen Arbeitern stemmen müssen, wäre das deutlich teurer gewesen. Die produktivste Variante mit der Drohung kam für das Unternehmen auch nicht teurer als die normale Bonusvariante, denn es handelte sich ja lediglich um eine andere Formulierung in dem Brief an die Mitarbeiter. Wissenschaftler bezeichnen diese Veränderung als Framing.

Kleine Veränderungen beim Versuchsaufbau können nicht nur bei Anreizen in Experimenten große Wirkungen erzielen. Kleine Veränderungen entscheiden auch darüber, ob Forscher ihre Ergebnisse in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlichen können oder nicht.

Feldexperimente müssen genauso sauber konzipiert werden wie solche im Labor, doch das ist in echten Unternehmen ungleich schwerer, sind sich alle Experten einig. So dürfen die Mitarbeiter von dem Experiment nämlich nichts erfahren.

Doch wie können die Forscher sicherstellen, dass Herr Li nicht mit Herrn Wu spricht, der den Bonus ohne Bedingungen erhalten hat, mit möglicherweise fatalen Folgen für die Produktivität? Genau diese Ungleichbehandlung bildet aber den Kern jedes Experiments. Und der Vergleich mit anderen wird zum größten Hemmschuh für Feldexperimente.

Wer im Feld forscht, muss daher valide Ergebnisse liefern. Im Wanlida-Experiment durchlaufen einige Gruppen hintereinander verschiedene Anreizsysteme. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht problematisch, weil so die Kontrolle der verschiedenen Wirkungen erschwert wird.

Noch ist auch unklar, ob man die Bedingungen bei Wanlida auf andere Firmen übertragen kann. Klar ist in jedem Fall, dass ihre Erkenntnisse für leicht zu messende Arbeiten interessant sind. Doch gilt das auch für Manager, deren Arbeitsergebnis man nicht in Einheiten pro Stunde messen kann?

Dirk Sliwka hat gerade gemeinsam mit zwei anderen Forschern eine Feldstudie zu Führungskräften veröffentlicht, bei der sie sich ebenfalls mit Bonussystemen auseinandergesetzt haben (siehe "Wissenswert"). Dabei spielte der soziale Vergleich zum Beispiel eine entscheidende Rolle. Die Forscher konnten dabei bereits vorhandene Unterschiede innerhalb eines Unternehmens analysieren. Die Studie sei aber kein Feldexperiment im engeren Sinne, schränkt Sliwka ein, "denn wir haben nicht bewusst das Anreizsystem für eine Teilgruppe von Mitarbeitern variiert". Ideale Bedingungen für Feldexperimente sind selten, deshalb sind sie in wissenschaftlich angesehenen Journalen noch rar.

Auch das Papier von List und Hossain ist noch von keiner Fachzeitschrift zur Veröffentlichung akzeptiert. Armin Falk, Verhaltensforscher an der Bonner Universität, fordert daher mehr Mut von Managern und Gewerkschaften, echte Experimente auch zuzulassen und die Ergebnisse offen zu diskutieren, anstatt einfach für alle Mitarbeiter neue Anreizsysteme zu schaffen, ohne zu wissen, ob sie wirklich funktionieren. "Schließlich wird auch kein Medikament zugelassen, das nicht an Versuchspersonen getestet wurde."

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