Beatrice Weder di Mauro im Interview "Rentabilitätsdruck steigt"

Die Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro über den Reformbedarf des deutschen Bankensystems und die Gefahr einer globalen Stagflation.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Schweizerin Beatrice Weder Quelle: AP

WirtschaftsWoche: Frau Weder di Mauro, der Sachverständigenrat hat mit seinem in der vergangenen Woche veröffentlichten Gutachten zum deutschen Bankensystem in ein Wespennest gestochen. Ihre Forderung, die Landesbanken zu privatisieren, ist von vielen Politikern als Kampfansage interpretiert worden.

Weder di Mauro: Das ist nicht mein Eindruck. Das Echo war überwiegend positiv. Natürlich gibt es auch Kritiker, aber das war zu erwarten.

Während Sie bei den Landesbanken eine komplette Privatisierung vorschlagen, zucken Sie bei den Sparkassen zurück. Die sollen zwar in Aktiengesellschaften umgewandelt werden, die Mehrheit daran soll jedoch der Staat behalten. Ist das nicht inkonsequent?

Nein, denn Landesbanken haben deutlich mehr Probleme. Bei einer vollständigen Privatisierung der Sparkassen besteht die Gefahr, dass große und erfolgreiche Institute sich aus dem Sparkassenverbund verabschieden oder aufgekauft werden und nur die schwachen Institute übrig bleiben. Das könnte den Haftungsverbund der öffentlich-rechtlichen Institute ins Wanken bringen und zu Stabilitätsproblemen führen. Um das zu vermeiden, befürworten wir eine mildere Reform mit Stiftungen als Haupteigentümern.

Welche Vorteile soll das haben?

Erstens ermöglicht die Umwandlung in eine AG, dass die Konsolidierung innerhalb des Sektors flexibler wird. Zweitens dürften Stiftungen ein größeres Interesse an Gewinnausschüttungen haben. Dadurch nimmt der Rentabilitätsdruck für die Sparkassen zu. Hinzu kommt, dass wir durch das Stiftungsmodell das Bankgeschäft von dem öffentlichen Auftrag der Sparkassen trennen. Der öffentliche Auftrag wird genauer definiert und kann dann auch transparenter überwacht werden.

Glauben Sie wirklich, die Politiker geben die Sparkassen aus der Hand?

Ich stelle eine gewisse Bereitschaft dazu fest, wenn sie auch nur hinter verschlossenen Türen geäußert wird. Auch im öffentlich-rechtlichen Sektor gibt es einige Leute, die für Veränderungen sind und das Stiftungsmodell für sinnvoll halten.

Bisher ist von einem Rückzug des Staates aus dem Bankensektor nicht viel zu spüren. Die Politiker haben nicht gezögert, den Landesbanken im Zuge der Finanzkrise mit Steuermitteln unter die Arme zu greifen. Fördert das nicht die Bereitschaft der Banken, demnächst wieder risikoreiche Geschäfte einzugehen?

Diese Gefahr ist besonders ausgeprägt bei Instituten, die keine soliden Geschäftsmodelle haben. Zudem hat die Krise den Banken verdeutlicht, dass sie sich auf Stützung durch die Zentralbanken und den Steuerzahler verlassen können. Im Gegenzug werden sie sich darauf einstellen müssen, dass sie schärfer kontrolliert werden und höhere Kapitalpuffer anlegen müssen.

Das stellt den Bankensektor aber immer stärker unter staatliche Kuratel.

Die Krise hat einige Regulierungslücken offenbart. Bisher haben die politischen Entscheidungsträger jedoch vernünftig gehandelt. Sie haben auf international abgestimmte Lösungen gesetzt und nationale Alleingänge vermieden.

Aber die internationale Koordination lässt noch zu wünschen übrig.

Die Finanzkrise erhöht den Druck auf die Staaten, stärker als bisher zusammenzuarbeiten. Besonders dringend ist eine verbesserte Aufsicht in den USA. Sie arbeiten derzeit daran, ihre Aufsichtsstrukturen zu verschlanken und effizienter zu gestalten.

Wie lange wird uns die Finanzkrise noch beschäftigen?

Die Erfahrung mit Bankenkrisen zeigt, dass sie die Wirtschaft oftmals massiv beeinträchtigt haben. Die aktuelle Krise, die zunächst als Liquiditätsproblem begann, hat sich zu einem Solvenzproblem entwickelt – und droht jetzt zu einer Ertragskrise für die Banken weltweit zu werden.

Viele Banken haben ihr Überleben den Kapitalspritzen großer Staatsfonds zu verdanken. Besteht die Gefahr, dass die westlichen Banken unter den Einfluss dieser Staatsfonds geraten?

Nein, dazu ist das Engagement der Staatsfonds nicht groß genug. Die Diskussion um die Staatsfonds wurde zudem auf einer falschen Ebene geführt. Viele Bedenken, die gegen diese Fonds vorgetragen wurden, können mit einem funktionierenden Wettbewerbsrecht ausgeräumt werden. Das ist wirksamer als komplizierte staatliche Genehmigungsverfahren, die zu Willkür und Protektionismus einladen.

Der Sachverständigenrat muss bald wieder über die Perspektiven für die Konjunktur beraten. Haben Sie Angst vor einer Stagflation?

Das Wort Stagflation suggeriert eine lange Periode mit niedrigem Wachstum und hoher Inflation. In den Siebzigerjahren hat es das gegeben, weil die Energiepreise durch die künstliche Verknappung des Ölangebots in die Höhe schnellten. Normalerweise aber lässt eine schwächere gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wie sie sich derzeit abzeichnet, den allgemeinen Preisdruck sinken. Ich gehe davon aus, dass die Inflation wieder sinken wird.

Es wäre also ein Fehler, wenn die Notenbanken jetzt die Zinsen erhöhten?

Die Notenbanken sind in einer schwierigen Situation. Das Problem ist, dass der aktuelle Inflationsdruck, der von den Nahrungs- und Energiepreisen ausgeht, zu steigenden Inflationserwartungen und Zweitrundeneffekten führen könnte. Dann wäre ein schneller Rückgang der Teuerungsraten unwahrscheinlich und ein geldpolitisches Gegensteuern nötig. Das ist wohl auch der Grund, warum die Europäische Zentralbank ihre Bereitschaft zu Zinserhöhungen signalisiert hat. Bleiben die Zweitrundeneffekte aus, nimmt auch die Notwendigkeit von höheren Leitzinsen ab.

Wird die weltweite Abkühlung der Konjunktur die deutsche Wirtschaft mit nach unten ziehen?

Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren einen starken Aufschwung erlebt. Dass sich im Anschluss daran die Konjunktur abkühlt, kann nicht überraschen. Nach dem nochmals starken Auftakt zu Jahresbeginn ist für den weiteren Verlauf dieses und des nächsten Jahres ein deutlich langsameres Tempo zu erwarten. Eine rasche Aufwärtsbewegung, wie manche Experten sie schon für 2009 wieder erwarten, halte ich für unwahrscheinlich. Die Schwächephase dürfte länger andauern.

Hat die Bundesregierung genug getan, um die Wirtschaft für einen Abschwung zu wappnen?

Von grundlegenden Reformen ist leider wenig zu erkennen. Wir müssen schon froh sein, wenn es keine Rückschritte gibt und wir das Erreichte nicht verspielen. Bei einer wichtigen Reformbaustelle gibt es aber noch Hoffnung: Die Regierung sollte alles daran setzen, eine verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse zu installieren, um die Neuverschuldung in Zukunft strengen Regeln zu unterwerfen.

Kritiker werfen dem Sachverständigenrat vor, er habe es in seinen Gutachten zuletzt an ordnungspolitischer Klarheit vermissen lassen.

Ordnungspolitische Klarheit ist kein Ziel an sich. Das oberste Ziel ist die Wohlfahrt, und Ordnungspolitik kann ein Mittel dazu sein. Häufig sind die ökonomischen Fragen aber so komplex, dass man sich schon sehr genau die Daten anschauen muss, um Schlussfolgerungen ziehen zu können. Auch die Wissenschaft hat sich stark in diese empirische Richtung entwickelt.

Die Arbeit im Rat ist sehr zeitintensiv. Haben Sie es schon bereut, nicht mehr genug Zeit für die eigene Forschung zu haben?

Dann wäre ich nicht zu einer zweiten Amtsperiode bereit gewesen. Für mich ist die Forschung nach wie vor sehr wichtig, und sie macht mir großen Spaß. Ich habe meine Forschung auf Fragen konzentriert, bei denen es Synergien mit der Arbeit im Rat gibt. Ich habe zurzeit einige Projekte, die wissenschaftlich und wirtschaftspolitisch vielversprechend sind. Und die Arbeit im Rat bietet die Möglichkeit, die Erkenntnisse in die wirtschaftspolitische Beratung einfließen zu lassen. Und das ist es doch, was uns Ökonomen interessiert: ein relevantes Problem erkennen, einen Beitrag zum Wissensstand leisten – und die Krönung – dazu beitragen, dass Lösungen in die Praxis umgesetzt werden.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%