Schattenwirtschaft Schwarzarbeit ist heimliche Boombranche in Deutschland

Erstmals seit drei Jahren nimmt Schwarzarbeit in Deutschland wieder zu. Den Sozialkassen entgehen jährlich Milliarden, die Unternehmen leiden, der Schaden für die Volkswirtschaft ist beträchtlich. Während die Ehrlichen bluten, schaut die Politik zu. Doch der Kampf gegen die Schattenwirtschaft ist schwierig - denn sie funktioniert nach eigenen Regeln und Gesetzen.

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In Großstädten gelingt es Quelle: dpa

Thomas Daus ist auf Berliner Baustellen ein gefürchteter Mann. Täglich pirscht der 49-Jährige durch die Hauptstadt. Seine Aufgabe: Schwarzarbeiter aufspüren. Sein Werkzeug: eine Digitalkamera mit starkem Zoomobjektiv. Wie ein Jäger liest Daus die Fährten im Großstadtdschungel. Mal weist ein Transporter ohne Firmenschild den Weg, mal ein Kombi mit ausländischem Kennzeichen, mal eine unordentliche Baustelle, mal ein unscheinbarer Schuttcontainer.

An solchen Orten legt Daus sich auf die Lauer. Wenn dann mittags oder nach Feierabend die Arbeiter ihr schützendes Baustellen-Revier verlassen, drückt Daus auf den Auslöser. Er braucht Gesichter. Möglichst viele Gesichter. Die Fotos bekommt der Zoll, der dann offiziell kontrolliert – und fast immer Schwarzarbeiter überführt. Viele Freunde macht sich Daus damit nicht. Deshalb möchte der ehemalige Polier auch nicht mit seinem richtigen Namen öffentlich auftreten. Sicher ist sicher.

Dass es private Schwarzarbeiterjäger wie ihn gibt, ist ein Armutszeugnis für den Staat. Denn eigentlich ist es Aufgabe des Zolls mit seiner fast 7000 Mann starken Spezialeinheit, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), Schwarzarbeiter aufzuspüren. Doch der Zoll konnte „die Schwarzarbeit in Berlin nicht zurückdrängen“, sagt Wolf Burkhard Wenkel, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau Berlin/Brandenburg. Er engagierte Daus, zusammen mit fünf weiteren Spähern. Der Verbandschef wedelt mit Statistiken: Auf jeder zweiten Berliner Baustelle werde unter der Hand gearbeitet, rein rechnerisch gebe es mehr Stellen in der illegalen als in der legalen Bauwirtschaft. „Von Entspannung“, sagt Wenkel, „kann keine Rede sein.“

Das gilt nicht nur für Berlin. Erstmals seit drei Jahren hat die Schattenwirtschaft nach Schätzungen von Forschern im vergangenen Jahr bundesweit wieder zugenommen, eine Reaktion auf die kräftige Mehrwertsteuer-Erhöhung. Der führende Schwarzarbeit-Experte Friedrich Schneider von der Universität Linz taxiert das Volumen der Schattenwirtschaft, die neben den illegalen Einkünften auch das Material umfasst, auf gewaltige 349 Milliarden Euro. Das entspricht knapp 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts – und reicht fast an die Wirtschaftsleistung von Baden-Württemberg heran.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat anhand von Umfragen ermittelt, wie viele Stunden die Deutschen schwarzgearbeitet haben, und schätzt allein das Einkommen aus der Schwarzarbeit auf 158 Milliarden Euro. Rechnerisch sind das knapp drei Millionen Vollzeitstellen, von denen nach Ansicht des IW ein Drittel legalisierbar ist. „Dem Staat“, so das nüchterne Fazit des IW-Forschers Dominik Enste, „entgehen jährlich fünf Milliarden Euro an Einkommensteuern und zwölf Milliarden Euro an Sozialabgaben.“

Nicht nur die öffentliche Hand, auch Unternehmen und Beschäftigte leiden darunter. Schwarzarbeit vernichtet sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, untergräbt den Wettbewerb und ist Steuerhinziehung und Versicherungsbetrug zulasten ehrlicher Angestellter und Unternehmer. Besonders in der Bauwirtschaft wird gern ohne Rechnung gearbeitet. Auf diesen Sektor entfallen 39 Prozent des Schattenwirtschaftsvolumens.

Aber auch andere Branchen sind durchseucht. Das Friseurhandwerk etwa kämpft verzweifelt gegen illegale Coiffeure. Angeblich geht der Branche ein Viertel des Jahresumsatzes von rund fünf Milliarden Euro flöten. Fast 40 Prozent der Deutschen gehen nach Angaben des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks überhaupt nicht mehr zum Friseur. Einige schneiden sich die Haare selbst. „Die meisten aber“, schätzt Verbandsjustiziar Joachim Weckel, „lassen das schwarz machen.“

Massenphänomen Schattenwirtschaft

Schwarzarbeit ist ein Massenphänomen. Sie blüht überall dort, wo personalintensive Aufgaben anfallen: Illegale Servicekräfte schuften in Eisdielen, Restaurants oder Hotels. Altenpflegerinnen aus Polen erleichtern Angehörigen von Pflegebedürftigen den Alltag. Arbeitslose verdienen sich als Aufpasser in Museen oder am Steuer eines Taxis ein Zubrot. Hinterhof-Schrauber basteln ohne Rechnung an Autos. Lehrer bringen nach Schulschluss die Nachbarskinder durchs Abi. Heerscharen anonymer Putzfrauen wienern gegen Cash fremder Leute Wohnungen.

Nicht mal vor dem Tod scheint Schwarzarbeit haltzumachen. Im Februar rückte der Zoll mit 120 Beamten bei dem Anatom Gunther von Hagens im brandenburgischen Guben an. Der Verdacht: Scheinselbstständige Helfer aus Polen und China könnten dem umstrittenen Leichen-Präparator geholfen haben.

Die Bundesregierung hat offenbar längst resigniert. Noch im Koalitionsvertrag hatte sie festgestellt, dass Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung keine Kavaliersdelikte seien, sondern mit „Nachdruck geahndet“ werden müssten. Doch davon kann keine Rede sein, glaubt man einem Bericht des Bundesrechnungshofes. Die Aufpasser hatten die Effizienz der Finanzkontrolle Schwarzarbeit überprüft. Ihr Urteil ist eindeutig: „Der Gesetzgeber kann nicht davon ausgehen, dass Schwarzarbeit an Attraktivität verloren hat.“

Gerade bei der Kontrolle setzen die Vorwürfe an. Die FKS habe in der Prävention die Vorgaben nicht erfüllt. Einige Standorte hätten monatelang keine Sonn- und Feiertagsdienste geleistet. Dienstwagen würden nicht ausgelastet. Auch würden Bußgelder selten oder nur reduziert rechtskräftig, heißt es in dem Bericht.

Kein Wunder also, dass die FKS auch ihren wirtschaftlichen Auftrag nicht erfüllt hat: Eine Milliarde Euro sollten die Fahnder jährlich in die Staatskassen bringen, versprach die Politik, als sie vor knapp fünf Jahren mit dem Schwarzarbeitsgesetz die Aktivitäten des Staates in der FKS bündelte. Doch der Behörde gelang es nicht einmal, ihre eigenen Kosten wieder reinzuholen.

Die harsche Kritik am Zoll bestätigt CDU-Bundestagsabgeordneten Kai Wegner. Das Mitglied im Wirtschaftsausschuss arbeitete früher selbst in der Bauwirtschaft und wundert sich, warum Politiker das Phänomen der Schwarzarbeit unter den Teppich kehren. Ständig versucht er mit Bundestagsanfragen, Reformen anzustoßen. Bisher vergebens. „Da will keiner ran“, sagt Wegner, „das Thema ist unpopulär.“

Dabei würden schon kleine Änderungen, wie etwa das frühe Anmelden eines Arbeitnehmers bei der Unfallversicherung, helfen, glaubt der Abgeordnete. Bislang hat der Arbeitgeber dafür einen Monat Zeit. Gerät heute ein Schwarzarbeiter in eine Kontrolle, sagt er fast immer, dass er just an diesem Tag mit der Arbeit begonnen habe.

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