Strom Branche streitet um Kernkraft

Eine Verlängerung der Laufzeiten hat unter den Energieversorgern nicht nur Befürworter: Kleine und mittelgroße Stromerzeuger sehen den Wettbewerb gefährdet und fürchten einen Nachteil. Auch die Politik fordert, dass die Gesetzesänderung an strenge Bedingungen geknüpft werden muss.

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Kleinere Stromerzeuger sehen den Trend zu erneuerbaren Energien gefährdet. Nicht nur in Brunsbüttel stellt sich die Frage: Atomstrom oder Windkraft? Quelle: ap Quelle: handelsblatt.com

BERLIN.Die von der neuen Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke in Deutschland sorgt in der Energiebranche für Unruhe. Kleine und mittelgroße Energieversorgungsunternehmen rechnen mit Nachteilen. "Die Laufzeitverlängerung ist eine Investitionsbremse, zementiert das Oligopol in der Stromerzeugung und ist kontraproduktiv für den notwendigen Ausbau der regenerativen Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung", sagte Albert Filbert, Chef der HEAG Südhessische Energie AG in Darmstadt. Der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU), in dem sich die Stadtwerke zusammengeschlossen haben, teilt diese Sorgen: "Eine Laufzeitverlängerung darf nicht dazu führen, dass der Umbau zu mehr erneuerbaren Energien und zu deutlich mehr dezentraler Stromversorgung in Deutschland gestoppt oder auch nur verlangsamt wird", sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck dem Handelsblatt.

Die neue Bundesregierung will sich kurzfristig mit den vier Energiekonzernen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall darüber verständigen, unter welchen Bedingungen die Kernkraftwerke länger als geplant laufen dürfen. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall betreiben alle 17 Kernkraftwerke in Deutschland. Die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich im Jahr 2000 mit den vier Konzernen darauf verständigt, die 17 Reaktoren schrittweise vom Netz zu nehmen. Diese Verständigung wurde später Bestandteil des Atomgesetzes. Die neue Regierung will das Gesetz ändern und den Betreibern längere Laufzeiten zubilligen, wenn sie strenge Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Doch das Zugeständnis an die großen vier könnte allen anderen Unternehmen der Branche zum wirtschaftlichen Nachteil gereichen und zusätzlich den Umbau der Erzeugungsstruktur behindern, so die Befürchtung der kleineren und mittleren Anbieter. Sie fühlen sich ohnehin durch die Marktmacht von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall bedrängt. Zwar gibt es in Deutschland eine große Anbietervielfalt: Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erzeugen rund 1 100 Unternehmen Strom. Doch die vier großen Energiekonzerne vereinigen mehr als 80 Prozent der Erzeugungskapazitäten auf sich.

Die Politik versucht seit Jahren, die Marktmacht der vier mit Abstand größten Unternehmen zu beschneiden. So wurde in der vergangenen Legislaturperiode die Preismissbrauchsaufsicht im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verschärft. Außerdem wurde Newcomern im Erzeugungssektor der Zugang zu den Netzen der vier großen Energiekonzerne erleichtert. Die Erhöhung der Erzeugungskapazitäten in der Hand konzernunabhängiger Anbieter gilt als der Königsweg zur Stärkung des Wettbewerbs.

Auf einer Linie mit dem Kartellamt

Fachleute teilen die Sorgen der kleinen und mittelgroßen Anbieter mit Blick auf die Laufzeiten: "Bei einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über die ursprünglich geplante Frist hinaus haben kleinere Anbieter weniger Anreize, neue Erzeugungskapazitäten zu schaffen", sagte Justus Haucap, Vorsitzender der Monopolkommission, dem Handelsblatt. Die Marktstruktur werde konserviert und die Marktmacht der vier großen Anbieter festgeschrieben. Die Monopolkommission berät die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen. Auch der frühere Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer hatte noch Anfang Oktober auf das Problem hingewiesen. Heitzer ist seit Anfang November beamteter Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.

Auch in der Politik setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Laufzeitverlängerung an strenge Bedingungen geknüpft werden muss. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP bleibt in dieser Frage noch sehr vage. Dort heißt es lediglich, in einer "möglichst schnell zu erzielenden Vereinbarung mit den Betreibern" sollten "nähere Regelungen" für die Laufzeitverlängerung getroffen werden. Zudem heißt es in der Vereinbarung, "der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Gewinne" solle von der öffentlichen Hand vereinnahmt werden.

Wettbewerbsneutrale Lösung suchen

Das Thema Wettbewerb spielt im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung im Koalitionsvertrag dagegen keine Rolle. Energiepolitiker von Union und FDP machen jedoch deutlich, dass sie das Problem erkannt haben und eine wettbewerbsneutrale Lösung anstreben.

Monopolkommissionspräsident Haucap hat konkrete Vorstellungen, wie eine solche Lösung aussehen könnte: "Sinnvoll wäre es, die Betreiber zu verpflichten, bestimmte Produktionskapazitäten zu verkaufen. Dabei sollte es möglichst um komplette Kraftwerke gehen, etwa um Gaskraftwerke."

Betreiber sollen Kapazitäten abgeben

Nach Haucaps Überzeugung reicht es dagegen nicht aus, die Kernkraftwerksbetreiber dazu zu verpflichten, bestimmte Strommengen gesondert zu versteigern. "Das hätte nur marginalen Einfluss auf die Preisentwicklung. Am Ende würden die Strommengen zu denselben Preisen veräußert wie an der Strombörse", sagte Haucap.

Die vier Kernkraftwerksbetreiber beobachten die Debatte mit Sorge, halten sich aber mit eigenen Vorschlägen zurück. Im Moment sei nicht einmal klar, "ob wir netto überhaupt einen Cent rauskriegen", heißt es bei den vier großen Playern. Sie befürchten, dass die Politik die Preise für eine Laufzeitverlängerung extrem in die Höhe treiben wird. Für eine Verteilungsdiskussion sei es daher zu früh. Die Unternehmen gehen davon aus, dass sie zu Beginn des kommenden Jahres mit der Bundesregierung in die Debatte über die Bedingungen für Laufzeitverlängerung einsteigen.

Atomenergie

Wichtiger Beitrag: Rund 23 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms stammen aus den 17 Kernkraftwerken. Der Anteil der Meiler soll nach den derzeit noch geltenden Bestimmungen des Atomgesetzes kontinuierlich sinken: Sobald ein Kernkraftwerk eine bestimmte Strommenge produziert hat, erlischt die Betriebsgenehmigung. Demnach geht der letzte Reaktor 2022 vom Netz. Doch die neue Bundesregierung will das ändern. Sie sieht die Kernkraft zwar auch nur als Brückentechnologie, will aber die Laufzeiten verlängern. Über die Bedingungen muss noch verhandelt werden. Klar ist allerdings, dass der Staat einen wesentlichen Teil der aus einer Laufzeitverlängerung resultierenden Gewinne abschöpft.

Grundlast: Die Kernenergie spielt eine wichtige Rolle bei der Grundlastversorgung. Da die Kernkraftwerke planmäßig Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat dieselbe Menge produzieren, bilden sie - wie die Kohlekraftwerke - die Basis der Stromversorgung. Sie sind besser kalkulierbar als etwa Windräder, die nur sehr schwankend und schwer vorhersehbar Strom produzieren. Allerdings arbeitet die Erneuerbare-Energien-Branche daran, das Ökostrom-Aufkommen verlässlicher zu machen.

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