Konjunktur Warum eigentlich muss die Wirtschaft wachsen?

Offiziell ist die Rezession in Deutschland beendet. Überraschend hat das Statistische Bundesamt heute ein Mini-Plus beim Bruttoinlandsprodukt gemeldet. Warum ist es so wichtig, dass die Wirtschaft wächst - und was sind die wichtigsten Wachstumstreiber?

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Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland

Für das Gesamtjahr 2009 rechnen Experten mit einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Leistung um sechs bis sieben Prozent – der stärkste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch schon im nächsten Jahr dürfte die Wirtschaft wieder wachsen, prognostizieren viele Ökonomen. Behalten sie recht, wird sich die aktuelle Rezession im langfristigen Wachstumstrend – wie ihre Vorgänger – nur als scharfer kurzer Knick nach unten erweisen.

Ökonomen unterscheiden daher grundsätzlich zwischen Konjunktur und Wachstum. Zentraler Indikator ist das BIP, das aus der Inlandsproduktion von Gütern und Dienstleistungen erwirtschaftete Einkommen. Als Wachstum bezeichnen Ökonomen die Veränderungsrate des realen BIPs im langfristigen Trend, die durch das Zusammenwirken von Faktoren auf der Angebotsseite der Wirtschaft bestimmt wird. Konjunktur dagegen misst die durch Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ausgelösten Abweichungen der Zuwachsraten des BIPs von ihrem langfristigen Trend.

Es zeigt sich, dass nahezu alle Länder im Trend positive Wachstumsraten aufweisen. So sind die Industrieländer im Schnitt der vergangenen 30 Jahre um 2,5 Prozent pro Jahr gewachsen. Die Wirtschaft in den Schwellenländern Asiens legte im gleichen Zeitraum um jährlich sechs bis sieben Prozent zu, die Länder Lateinamerikas kamen auf drei Prozent. Ebenso hoch lag die Wachstumsrate für die gesamte Weltwirtschaft.

Auf der wirtschaftspolitischen Agenda der meisten Regierungen rangiert das Streben nach mehr Wachstum weit oben. Das hat gute Gründe. Erstens erhöht ein Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion und des Pro-Kopf-Einkommens den materiellen Wohlstand der Gesellschaft und verringert so die Armut.

Zweitens sichert eine wachsende Wirtschaft den sozialen Frieden, indem sie Verteilungskonflikte entschärft. In einer expandierenden Wirtschaft, in der der zu verteilende Kuchen größer wird, können sich einzelne Gruppen ein größeres Stückchen abschneiden, ohne dass andere Gruppen sich mit einem kleineren Stück bescheiden müssen. Die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft steigt also. Anders in einer stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaft. Dort wird der Kuchen kleiner, Zuwächse zugunsten einer Gruppe gehen automatisch zulasten anderer Gruppen, die Verteilungskonflikte nehmen zu.

Drittens erleichtert eine wachsende Wirtschaft die Finanzierung der öffentlichen Haushalte, weil mit steigenden Gewinnen der Unternehmen und höheren Einkommen der Bürger die Steuerzahlungen an den Staat zunehmen. Besonders eine alternde Gesellschaft wie die deutsche ist auf sprudelnde Steuerquellen angewiesen, da die Ansprüche der Menschen an den Staat wachsen. Viertens steigern hohe Wachstumsraten das Markt- und Absatzpotenzial eines Landes – und machen es so attraktiver für internationale Investoren. Romantische Vorstellungen mancher Politologen und Soziologen, das Land könne sich „gesundschrumpfen“, sind daher Traumtänzerei.

Was treibt die Wirtschaft an?

Doch welche Faktoren treiben das Wachstum an? Der US-Ökonom Robert Solow hat bereits in den Fünfzigerjahren ein Modell entwickelt, in dem er das Wachstum durch das Zusammenspiel der Faktoren Arbeit, Kapital und technischer Fortschritt erklärt. Je mehr Menschen am Erwerbsleben teilnehmen und je besser sie ausgebildet sind, desto höher ist die langfristige Wachstumsrate der Wirtschaft. Positive Effekte gehen auch vom Kapitalstock aus, dem Bestand an Maschinen, Computern und Gebäuden. Stattet ein Betrieb seine Arbeitskräfte mit mehr Maschinen und Computern aus, erhöht sich deren Produktivität.

Die Bedeutung des technischen Fortschritts, der sich in Produkt- und Prozessinnovationen äußert, besteht darin, dass er bei gegebenem Einsatzverhältnis von Arbeit und Kapital die Arbeitsproduktivität erhöht. Die Neue Wachstumstheorie, die sich zu Beginn der Neunzigerjahre herausbildete, betrachtet den technischen Fortschritt sogar als wichtigste Wachstumsdeterminante. Eine überragende Rolle bei der Erklärung, wie technischer Fortschritt entsteht, kommt dabei dem Humankapital zu, also der Ausbildung und dem Know-how der Menschen. Auch die Anreize zur Innovation haben großen Einfluss auf den technischen Fortschritt.

Dass dieser für Wachstum und Wohlstand entscheidend ist, zeigt auch ein Blick in die Geschichte. In den acht Jahrhunderten von 1000 bis 1820, in denen es keinen großen technischen Fortschritt gab, legte das Pro-Kopf-Einkommen weltweit im Schnitt nur um mickrige 0,05 Prozent pro Jahr zu. Erst mit der industriellen Revolution und ihren zahlreichen Innovationen beschleunigte sich das globale Wachstum. Von 1820 bis 1870 betrug es 0,5 Prozent, von 1870 bis 1913 beschleunigte es sich weiter auf 1,3 Prozent pro Jahr.

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