Wirtschaftshistoriker Politik hat Große Depression verhindert

Die Politik hat die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren beherzigt - und damit die Wirtschaft vor einer zweiten Großen Depression bewahrt. Zu diesem Schluss kamen Wirtschaftshistoriker auf einer Tagung in London. Die Herausforderungen der aktuellen Krise seien aber noch lange nicht gemeistert.

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Dass es nicht zu einer neuen Großen Depression gekommen ist, ist, laut Wirtschaftshistorikern, der guten Politik zu verdanken. Quelle: ap

LONDON. Die Geld- und Wirtschaftspolitik hat die richtigen Schlüsse aus der Großen Depression gezogen und damit verhindert, dass die Weltwirtschaft nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers abermals in eine wirtschaftliche Totalkatastrophe abrutscht. Dieses Fazit haben international führende Wirtschaftshistoriker Ende vergangener Woche auf einer Tagung der Economic History Society in London gezogen. "In den vergangenen 80 Jahren hat die Welt zwei große Wirtschaftskrisen erlebt", sagte Stephen Broadberry, Wirtschaftshistoriker an der University of Warwick. "Diesmal aber hat die Politik wesentlich besser reagiert als in den 30er-Jahren."

Anders als damals hätten die Notenbanken und Regierungen verhindert, dass die Geldmenge schrumpft, die Kreditmärkte einfrieren, zahlreiche Banken insolvent werden und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kollabiert. Mit all dem habe die Politik eine zweite Große Depression abgewendet. Die wichtigste Entscheidung sei gewesen, in der Krise nicht den sinkenden Steuereinnahmen hinterherzusparen. "Die automatischen Stabilisatoren waren im Kampf gegen die Krise viel wichtiger als die aktive Konjunkturpolitik", betonte Oxford-Ökonom Christopher Allsopp, der zwischen 2000 und 2003 dem geldpolitischen Ausschuss der englischen Zentralbank angehörte.

Nach Ansicht einiger Ökonomen hat die Wirtschaftspolitik im Kampf gegen die Krise möglicherweise sogar überreagiert. Die Fiskalpolitik habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen, ist Price Fishback, Wirtschaftshistoriker an der University of Arizona, überzeugt. "Die Gegenreaktion war größer als die, die Keynes empfohlen hätte." In der Großen Depression habe die aktive Fiskalpolitik nur eine minimale Rolle gespielt. "Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass der New Deal ein Beispiel für keynesianische Politik war." Im Vergleich zum dramatischen Einbruch der Wirtschaft seien die Stimuluspakete der Roosevelt-Regierung minimal gewesen.

Heute sei es umgekehrt: Der Abschwung in der Realwirtschaft sei viel geringer, die Konjunkturpakete dagegen seien weitaus größer. "Die Politik hat so reagiert, als wäre die Wirtschaftsleistung um 25 bis 30 Prozent eingebrochen", sagte Fishback. Das habe zu einem Anstieg der Staatsverschuldung geführt, wie es ihn in Friedenszeiten noch nie gegeben habe.

Auch in den nächsten Jahren stehe die Geld- und Wirtschaftspolitik aber vor ähnlichen Herausforderungen wie in den 30er-Jahren. 1936 sah es so aus, als wäre die Krise vorbei. Aus Angst vor Inflation straffte die Federal Reserve Bank die Geldpolitik. Die Welt erlebte die nächste Rezession. "Die Fed muss aufpassen und solch einen Schlamassel dieses Mal vermeiden", sagte Fishback.

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