Dass Länge und Zustand von Grashalmen keine Kleinigkeit sind, sondern Gegenstand ernsthafter Debatten, wissen wir seit der Fußball-Europameisterschaft. Nach der "Regenschlacht von Basel" zwischen der Türkei und der Schweiz musste gleich der ganze ramponierte Rasen im Stadion ausgewechselt werden.
Berlin will da nicht zurückstehen und zeigt, dass Grashalme sehr wohl auch eine politische Dimension haben können. Denn das Grünflächenamt des Bezirks Berlin-Mitte hat dem verdutzten Verteidigungsministerium rechtskräftig untersagt, auf der Grünfläche vor dem Reichstag (Platz der Republik) und den umliegenden Straßen am 20. Juli ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr zu organisieren. Die Grün-Experten fürchten eine doppelte Abnutzung: Erstens würde der Rasen durch eine drohende "Übernutzung" in Mitleidenschaft gezogen, heißt es in dem Ablehnungsbescheid. Zweitens störe es die Würde des "optischen Vorbereichs des Zentrums der deutschen Demokratie", wenn er als "reine Veranstaltungsfläche" abgewertet würde.
Das klingt nach einer der üblichen Possen aus Bürokratistan - dumm nur, dass die Angelegenheit hochpolitisch ist: Denn Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) höchstselbst hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am 1. April den Vorschlag für das Gelöbnis gemacht; dieser, als Hausherr des Parlaments, begrüßte die Initiative. Die Zustimmung des Grünflächenamtes galt als reine Formalie, auch wenn der Antrag dann erst am 28. Mai gestellt wurde. Immerhin handelt es sich bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee. Und immerhin sollte der Anlass des Gelöbnisses das öffentliche Gedenken an die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 sein.
Doch die Absage hat nun dafür gesorgt, dass es hinter den Kulissen brodelt. In der rotroten Senatsführung gibt man sich überrascht. Doch man könne nichts machen, weil die Berliner Bezirke nun mal autonom seien. Ulrike Mertens (SPD), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, zeigt sich verwundert. Doch zu spät: Längst plant das Verteidigungsministerium das Gelöbnis wieder im Bendler-Block.
Ach übrigens - das Grünflächenamt betrachtet Olivgrün nicht grundsätzlich als Unkraut. 2005 ließ es den Großen Zapfenstreich vor dem Reichstag zu - mit der Begründung, dass der Anlass des fünzigjährigen Bestehens der Parlamentsarmee ein "einmaliges Ereignis" sei. Der zuständige Stadtrat Ephraim Gothe hält deshalb auch ein Gelöbnis zum 60. Jahrestag der Bundeswehr im kommenden Jahr für möglich.
Und das Kriterium der "Einmaligkeit" auf dem Platz der Republik gilt auch für den Fußball: Die regelmäßig spielenden Hobbykicker vor dem Reichstag sind schon vor Jahren vertrieben worden. Doch der Sportkonzern Adidas durfte den Platz während der Fußballweltmeisterschaft 2006 für seine kommerzielle Arena nutzen - übrigens zur Freude der Zuschauer oder ohne erkennbare Dauerschäden für die Würde des Ortes.