Positives Denken reicht nicht Hört endlich auf zu träumen!

Positives Denken allein reicht nicht. Wir realisieren Pläne, Träume und Ziele eher, wenn wir auch die Widerstände mitdenken, sagt die Motivationspsychologin Gabriele Oettingen. „Mentales Kontrastieren“ ist die Devise.

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Positives Denken bedeutet nicht, dass man der Erfüllung der Träume näher kommt, wenn man sich ihnen hingibt. Quelle: Getty Images

Düsseldorf In den meisten Ratgebern kann man, plakativ ausgedrückt, lesen: Glaube an deine Träume, dann werden sie war. Die Motivationspsychologin Gabriele Oettingen sagt jedoch, dass man auch die Schattenseiten und Hindernisse eines Vorhabens klar benennen sollte. Nur dann arbeite man wirklich an der Verwirklichung der Träume.

Frau Oettingen, viele Menschen suchen heute nach Motivationshilfe. Wieso eigentlich?

Möglicherweise ist das Bedürfnis nach Motivation bei vielen Menschen auch früher vorhanden gewesen. Aber man sprach weniger darüber. Es gab ja oft auch keine Alternativen. Die Lebensläufe waren weitgehend vorgezeichnet. Wenn es klar ist, dass bestimmte Berufe und Rollen von Generation zu Generation weitergegeben werden, wenn vorgezeichnet ist, wer mit wem wo wann spricht, und wenn der Sohn des Schreiners auch wieder Schreiner wird, so stellt sich die Frage von vornherein weniger, ob jemand für diese Aufgabe motiviert ist. Erst wenn sich die Möglichkeit eröffnet, verschiedene Dinge zu tun und die eigenen Ziele zu bestimmen, stellt sich auch die Frage, was man will und wie man die Ziele erreichen kann.

Ein großer Teil der Ratgeber-Literatur besteht, plakativ ausgedrückt, aus der Botschaft: Denke positiv, lebe deine Träume, dann werden sie wahr.

Ich möchte kein Urteil über andere Autoren fällen. Positive Tagträume sind auch grundsätzlich nichts Schlechtes. Sie können in schwierigen Lebenslagen beispielsweise akutes physisches und psychisches Leiden erleichtern - sich vorzustellen, wie schön die Zukunft sein wird, ist angenehm. Aber das bedeutet nicht, dass man der Erfüllung der Träume näher kommt, wenn man sich ihnen hingibt. Unsere jahrelangen Untersuchungen haben gezeigt, dass positive Tagträume davon abhalten können, dass man wirklich aktiv wird. Es erlaubt uns die Erfüllung der Wünsche virtuell, wodurch sie uns die Energie entziehen, die notwendig wäre, um sie im wirklichen Leben zu erreichen. So kann es vorkommen, dass Menschen nie die Frau oder den Mann ihrer Träume ansprechen, eine oft in Gedanken durchgespielte Reise nie versuchen oder den ersehnten Ausbildungsgang nie starten.

Mit Ihrer Methode des „mentalen Kontrastierenswollen Sie die Menschen zum Handeln bringen.

Ja. Mentales Kontrastieren ist eine mentale Strategie, die auf Zukunftsträumen basiert, aber hier nicht stehen bleibt, sondern die positiven Zukunftsphantasien mit einem klaren Bewusstsein für die widerständige Realität anreichert. Die Lösung ist nicht, auf Träume und positives Denken zu verzichten. Es geht vielmehr darum, unsere Fantasien motivational zu nutzen - dadurch, dass wir sie dem gegenüberstellen, was uns oft zu ignorieren geraten wird: nämlich die Hindernisse in uns, die Sperren, die uns vom Handeln abhalten, die uns im Wege stehen. Mentales Kontrastieren, so zeigt eine Vielzahl von Studien, führt dazu, dass wir Pläne machen und Kraft gewinnen zur Umsetzung unserer Wünsche, wenn diese wichtig und auch erreichbar sind; mentales Kontrastieren führt aber auch dazu, dass wir unsere Energie in andere vielversprechendere Projekte investieren können, wenn die Wünsche nicht erreichbar oder am Ende doch nicht so wichtig sind.

Wunsch-Ergebnis-Hindernis-Plan

Was ist dann der Unterschied zwischen mentalem Kontrastieren und dem, was Sie WOOP nennen?

Der Psychologe Peter Gollwitzer hat die so genannten Wenn-dann-Pläne entdeckt. Wenn wir die mit mentalem Kontrastieren ergänzen, dann sind wir bei WOOP, also „Wish Outcome Obstacle Plan“. Kurz gesagt: WOOP ist eine Vier-Stufen-Strategie, mit der wir Klarheit im Leben gewinnen und unsere erreichbaren Wünsche erfüllen können. WOOP hilft uns, unsere Wünsche zu erfüllen, auch wenn die Hindernisse schwierig zu überwinden sind, beispielsweise wenn schlechte Gewohnheiten der Wunscherfüllung im Weg stehen. WOOP hilft aber auch, von den weniger wichtigen oder den unrealistischen Wünschen abzulassen.

Aber ist es nicht deprimierend, sich stets auch die Widerstände vor Augen zu halten, wenn man an Ziele denkt?

Ja, wenn man nur die Widerstände und Hindernisse bedenkt. Aber WOOP beginnt ja mit dem Finden des Wunsches und dem positiven Ausmalen der Erfüllung des Wunsches; hier legt man die Richtung fest und stimuliert die Passion für das Erreichen des Wunsches. Wenn man nach dem Ausmalen der erwünschten Zukunft das Hindernis bedenkt, wird man energetisiert; es kann aber auch durchaus dazu führen, dass man erkennt, dass das Hindernis zu groß ist und der Wünsch nicht erfüllbar ist, zumindest unter den gegebenen Umständen. Und dann kann man sich davon verabschieden oder die Wunscherfüllung delegieren oder auf später verschieben. Das kann sehr befreiend wirken.

Gibt es möglicherweise Charaktereigenschaften, die einen Menschen für Ihre Methode ungeeignet machen?

Wir haben in unseren Studien nicht gefunden, dass WOOP nur für bestimmte Personen geeignet ist. Und wir sehen auch nicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen in Stein gemeißelt ist. Schon eine einzige Übung WOOP kann Menschen verändern.


Motivation für jeden Tag

Nehmen wir mal einen Menschen, der ziemlich frustriert ist, weil er den falschen Job zu haben glaubt, der ihm keine Erfüllung bietet. Er oder sie ist gelangweilt und muss täglich tun, was ihn nicht interessiert. Wie soll sich dieser Mensch mit Ihrer Methode motivieren?

Die mentale Kontrastierung taugt nicht nur für die ganz großen Lebensziele, sondern auch für die kleinen des Alltags. Zum Beispiel der Wunsch: Ich möchte gerne besser mit diesem oder jenem Kollegen zusammenarbeiten. Oder ich möchte in meiner Freizeit mehr Sport machen und fitter sein. Hat eine Person einen solchen Wunsch, ist es nicht ausreichend, immer davon zu schwärmen, wie toll es wäre fit zu sein und gut Fußball oder Tennis zu spielen. Dazu muss die Frage kommen: Was hält mich davon ab, mindestens einmal oder zweimal in der Woche Sport zu treiben? Fühl ich mich abends nach dem Büro zu müde? Investiere ich nicht die Energie, mir einen Fussballverein oder einen Tennis-Partner zu suchen? Oder was auch immer - in mir selbst - im Wege steht. Und dann kann man einen „wenn Hindernis..., dann werde ich...“-Plan schmieden wie beispielsweise: „Wenn ich abends nach dem Büro müde nach Hause komm, zieh ich meine Turnschuhe an und lauf viermal um den Block.“

Wir reden die ganze Zeit von der Selbstmotivation. Was kann denn ein Vorgesetzter mit WOOP anfangen, um seine Mitarbeiter zu motivieren?

WOOP ist für uns alle. Alle, auch die Vorgesetzten können sich überlegen, wie sie ihre Arbeit – gerade mit Personen, die in ihrem Team arbeiten – verbessern können. Sie können mit dem W in WOOP anfangen: Was ist mein Wunsch, was will ich wirklich? Für die Mitarbeiter im Team generell, für die nächsten Wochen oder für den nächsten Tag - oder ganz kurzfristig, für das nächste Meeting? Wenn sie den Wunsch identifiziert haben, können sie nach dem ersten O in WOOP fragen: Was wäre der schönste „Outcome“ wenn ich den Wunsch erfülle? Nachdem sie den gefunden und imaginiert haben, kommt das zweite O: Was ist es in mir, dass mich davon abhält davon, dass ich den Wunsch erfülle? Was ist mein „Obstacle“? Ist es ein Angstgefühl, oder geht mir der Ärger durch? Ist es mangelnde Vorbereitung oder Unkonzentriertheit? Falls es ein Angstgefühl ist, können sie folgenden Wenn-Dann Plan schmieden: Wenn die Angst hoch kommt, dann geh ich direkt zu X und spreche das Problem an.

Und das funktioniert?

Studien zeigen, dass WOOP hilft, gesünder zu leben, persönliche und berufliche Beziehungen besser zu pflegen und mehr Erfolg in der Ausbildung zu haben. Menschen, die abnehmen wollten, haben mit WOOP es geschafft, tatsächlich ihre Pfunde zu verlieren, gesünder zu essen und mehr Sport zu treiben. Personen, die Beziehungsangst hatten, konnten besser mit den Ängsten umgehen und fühlten sich ihrem Partner nachher näher. WOOP erlaubt es, integrative Lösungen zu finden, eher die Perspektive des anderen zu übernehmen und kooperativer zu sein. WOOP hilft auch von schlechten Gewohnheiten abzulassen und weniger Alkohol zu trinken. Wo immer Personen sich verbessern möchten, können sie WOOP – ganz individuell auf das eigene Leben zugeschnitten – nutzen.

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