Sell in May and go away? Der Sommer könnte stürmisch werden

Die Brexit-Abstimmung, Konjunktursorgen, politische Krisen – mögliche Auslöser für einen turbulenten Börsensommer gibt es einige. Sollten Anleger getreu der Börsenweisheit „Sell in May“ aussteigen? Was taugt die Regel?

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Quelle: Getty Images

Am Wochenende tanzen Millionen Menschen in den Mai – gut gelaunt, voller Vorfreude auf den Sommer. Den einen oder anderen Börsianer plagen allerdings Zweifel. Alles verkaufen? Raus aus den Aktieninvestments? Das könnte beim Blick auf den Kalender nämlich eine gute Idee sein.

Die Sommermonate sind an der Börse schließlich die schlechteren Monate. Wer sich im Mai von der Börse verabschiedet und erst im Herbst wieder einsteigt, erzielt die bessere Rendite. Das zumindest besagt die alte und viel zitierte Börsenweisheit. „Sell in May and go away, but remember to come back in September“. Doch bringt Anlegern diese Börsenregel wirklich Mehrrendite?

Die Experten der DZ Bank haben errechnet, dass die alte Mai-Regel durchaus ihre Gültigkeit hat. Tatsächlich hat sich der Dax seit 1960 in den Sommermonaten schwächer entwickelt als in den Wintermonaten. Im Zeitraum von Oktober bis April legte der deutsche Leitindex im Schnitt 1,1 Prozent pro Monat zu, von Mai bis September kam er gerade mal 0,1 Prozent pro Monat vom Fleck.

Eigentlich sprechen diese Ergebnisse dafür, dass Anleger entsprechend handeln. „Das ist eine der wenigen Börsenregeln, die so klar sind, dass man ihren Nutzen wissenschaftlich überprüfen kann“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Doch so einfach ist es eben nicht. „Hier scheint es zwar Evidenz zu geben, dass in der Vergangenheit die Monate Mai bis September schlechtere Börsenmonate waren als die übrigen“, ergänzt er. „Allerdings kann man daraus leider nicht schlussfolgern, dass es ratsam sei, in diesen Monaten am Aktienmarkt nicht investiert zu sein.“

Denn eine ausgeprägte Korrektur, wie sie die Börsenweisheit voraussagt, sieht definitiv anders aus. Der Juli ist laut DZ Bank historisch gesehen sogar einer der stärksten Monate im Jahresverlauf. Meistens bewegten sich die Kurse in den Sommermonaten seitwärts.


Es gab aber durchaus Jahre, die „Sell in May“ alle Ehre machen. Im Jahr 2002 beispielsweise ging es deutlich nach unten. Auslöser waren Rezessionsängste in den USA. Und 2011 waren es der Streit über die Obergrenze der US-Schulden, der die Kurse abstürzen ließ. Im vergangenen Jahr verunsicherte EZB-Präsident Mario Draghi die Märkte.

Aber es gibt genauso viele Beispiele für sehr gute Sommermonate an der Börse, meist in den Folgejahren von Rezessionen wie etwa 2003 und 2009. „Sell in May“ stimmt also nicht immer, und das gilt auch für den europäischen Aktienmarkt und den amerikanischen S&P 500.

Die alte Weisheit gilt häufig, aber sie gilt eben nicht immer. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war die Börsenregel noch deutlich treffsicherer. Der Mythos besagt, dass sich die Investoren im Sommer von der Börse verabschiedeten und erst im Herbst zurückkehrten. Die Börsianer flohen vor der Hitze in New York und verbrachten die Sommermonate lieber auf ihren Landsitzen am Meer – fernab der Wall Street. Viele Investments lösten sie vorher auf und kamen erst nach dem Sommer an die Börse zurück. Doch diese Zeiten sind lange vorbei – der Digitalisierung sei Dank.

Dafür, dass „Sell in May“ in einem Jahr funktioniert, gibt es einige Hinweise. „Traditionell weisen die Aktienmärkte zum Jahresstart Stärke auf. In der akademischen Literatur ist der sogenannte Januar-Effekt, der historische Überrenditen in diesem Monat zeigt, intensiv untersucht worden“, sagt Christoph Bruns, Fondsmanager und Mitinhaber der Fondsgesellschaft Loys. „In diesem Jahr war davon aber nichts zu sehen, so dass auch die Mai-Regel dieses Mal nicht zum Tragen kommt.“

Der Ausstieg im Mai sei nämlich vor allem dann ratsam, wenn zu Jahresbeginn kräftige Gewinne aufgelaufen seien. „Im letzten Jahr war das der Fall“, so Bruns. „In diesem Jahr waren Januar und Februar jedoch verhagelt, so dass keine Gewinne auf der Habenseite stehen. Folglich gibt es nach Lage der Dinge im Mai auch nichts zu realisieren und insofern sollten Anleger von dieser Heuristik getrost Abstand nehmen.“ Derzeit spreche manches dafür, dass der Mai ein guter Einstiegsmonat sein dürfte, denn die Dauerniedrigzinsen dürften anhalten und die Alternativlosigkeit der Aktie deshalb fortbestehen.

Die Experte der DZ Bank bezeichnen die alte Börsenweisheit als „nicht viel mehr als eine nette Anekdote“, und in der Tat taugt „Sell in May“ für eine langfristige Anlagestrategie herzlich wenig - zumal die Regel eben nicht in jedem Jahr stimmt. Und wer will schon eine Sommerrally verpassen?

Überhaupt ist gutes Timing an der Börse – also der perfekte Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkt – ein eher hoffnungsloses Unterfangen. „Es kommt nicht so sehr darauf an, wann man etwas kauft, sondern entscheidend ist, was man kauft“, sagt Bruns. Dass selbst Finanzexperten die alte Weisheit immer wieder anführen, hat laut Nauhauser vor allem einen Grund: „Für Banken ist diese Regel aber ein willkommener Vorwand, um die Depots ihrer Kunden mal wieder umzuschichten und frische Provisionen und Ordergebühren zu vereinnahmen“, sagt der Verbraucherschützer. „Anleger, die diversifiziert und kostengünstig anlegen, fahren langfristig damit besser als solche, die ihre Depots ständig nach Marktlage umschichten.“

Ausgeschlossen ist es natürlich nie, dass „Sell in May“ funktioniert, garantiert aber eben auch nicht. Die kommenden Monate könnten durchaus turbulent werden. Die Anlageexperten von Axa Investment Management bringen es auf den Punkt: „Die politischen Risiken kehren nach Europa zurück.“ Doch das hat nichts mit Kalendermonaten zu tun. Seine Anlage auf der Mai-Regel aufzubauen ist mehr eine Wette denn eine langfristige Strategie.

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